Wer einen ersten Gradmesser für die Stimmung im Schweizer ICT-Jahr 2024 sucht, wurde am 25. Januar im Berner Kursaal fraglos fündig. Aufs Neue lud Veranstalterin Vania Kohli unter dem diesjährigen Motto "Alles hat zwei Seiten" mittlerweile zum 21. Mal zur traditionellen ICT-Networkingparty – und die Branche folgte dem Aufruf. Mit rund 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern von Herstellern wie
AWS,
Cisco,
Dell,
HP,
Huawei und
Microsoft sowie IT-Dienstleistern wie
Aveniq, Bedag,
Netcloud,
SoftwareOne und
Ti&m war der stattliche Kursaal voll ausgelastet und brummte durch die zahllosen Gespräche (gegen die so mancher Speaker mit Nachdruck anreden musste).
Und ein Thema darf heutzutage auf einer ICT-Bühne selbstverständlich nicht fehlen: Künstliche Intelligenz. Immerhin ist KI aktuell technischer Taktgeber der Branche und steht bei nahezu jedem der Marktgrössen auf die eine oder andere Weise auf der Agenda. In seiner Begrüssung wählte Peter Grütter, seines Zeichens Präsident des Schweizer Telekommunikationsverbandes Asut, jedoch eine überraschende, zumindest diskussionswürdige Perspektive. Er sprach nicht etwa über potenzielle Risiken, ethische Fragestellungen oder auch die ohne Frage gewaltigen Chancen der Technologie, sondern kritisierte allem voran eine zu umfangreiche Regulierung sowie die gesellschaftliche Sorge vor den Folgen des technologisch diktierten Umbruchs.
Aber: "Wir sollten uns nicht von KI beeindrucken lassen", so Grütters Überzeugung. So seien beispielsweise mit KI generierte Fake-Bilder nun einmal eine "neue Realität, an die wir uns gewöhnen müssen". Und dafür ist auch ausreichend Zeit. Denn die Digitalisierung schreitet laut dem Verbandspräsidenten nicht so schnell voran, wie es oftmals wahrgenommen und kolportiert wird. Und wenn die Innovationen dann doch kommen, dann würden sie sich ohnehin relativ nahtlos in das Gefüge eingliedern – wie es beispielsweise auch beim Smartphone der Fall war. In Hinblick auf die kreative, schaffende "Überlegenheit des Menschen" schlussfolgerte Grütter daher: "Wir sollten KI mit offenen Armen empfangen" und nicht regulieren, nicht bremsen.
Für Einstimmigkeit im Plenum sorgte im Anschluss wiederum das Autoren- und Speaker-Duo Roman Tschäppeler und Mikael Krogerus mit spannenden psychologischen Häppchen für Entscheidungsfindung, Teamlead und die ganz alltägliche Arbeitsbewältigung. Zeigte sich bei der Frage ans Publikum, wer sich bei der abendlichen Filmauswahl eher schneller oder eher langsamer entscheidet, ein noch halbwegs ausgewogenes Ergebnis, war die Antwort auf die folgende Frage wiederum eindeutig: "Wer vor euch hatte mal ein Nokia-Handy?" – im Saal gingen nahezu alle Hände in die Höhe. Anhand des Beispiels des ehemaligen finnischen Marktführers, der einen tiefen Fall verkraften musste, zeigte das eingespielte Team auf, warum rentable Produkte (Nokias Klapphandy als Antwort auf das Motorola Razr) ohne allzu viel Innovationsgeist selten die beste Entscheidung sind. Positives Gegenbeispiel: Ignaz Semmelweis' «Erfindung des Händewaschens» – trotz anfänglicher Kritik nicht nur hochgradig innovativ beziehungsweise unorthodox, sondern allem voran rentabel: "Denn was kann rentabler sein, als Menschenleben zu retten?"
"Alles hat zwei Seiten" – das Motto des Abends griff schliesslich auch Keynote-Speaker Thomas Zurbuchen auf, Astrophysiker und bis Ende 2022 Wissenschaftsdirektor der NASA. Er gewährte nicht nur einen unvergleichlichen Einblick in die Planung der laufenden Marsmission rund um den Rover Perseverance ("Das konnte niemand buchstabieren!"), sondern referierte zudem über die jeweiligen Effekte von Ja und Nein, also einer positiven oder negativen Herangehensweise an neue Ideen und Vorschläge. So sei der mit dem Rover auf dem Mars gelandete (mittlerweile jedoch flugunfähige) Helikopter Ingenuity ein hervorragendes Beispiel für ein Konzept, das zu Beginn viele Zweifler hatte, letztlich jedoch ein voller Erfolg wurde. Zurbuchens Rat an die versammelte Schweizer ICT-Branche vor dem Hintergrund seiner achtjährigen Erfahrungen bei der NASA: Öfters ja sagen, auch wenn man Zweifel hat, und Chancen einräumen, beispielsweise jungen Fach- und Führungskräften mit innovativen Ideen.
Nach diesem Griff nach den Sternen übernahm Regula Esposito alias Helga Schneider dann den komödiantischen, auflockernden Abschluss der Agenda. Sie war bereits 2020 zu Gast auf der ICT-Networkingparty und brachte auch dieses Jahr wieder ihr energiegeladenes Programm auf die Bühne in Bern und sparte nicht mit Kritik an der allzu Smartphone-zentrierten Gesellschaft. Die zahlreichen Gespräche an den Tischen im Kursaal, gegen die sich Schneider durchsetzen musste, liessen den offiziellen Teil der Veranstaltung jedoch bereits nahtlos in den namensgebenden Networking-Part übergehen, den die Entscheiderinnen und Entscheider noch lange nutzten, um das ICT-Jahr 2024 gemeinsam und bestens gelaunt einzuläuten.
Wer sich im kommenden Jahr selbst ein Bild des Schweizer Branchentreffens machen will, der hat am 23. Januar die Gelegenheit dazu. Das ist der bereits bestätigte Termin der ICT-Networkingparty 2025.
(sta)