Alles in Wolken? Langfristige Perspektiven für Channel-Partner

Von Eric Scherer

Im Bereich Business Software tut sich aktuell einiges. Doch welche Entwicklungen sind dabei tonangebend und wie können und müssen sich die Channel-Partner darauf einstellen? Eine Suche nach zukunftsträchtigen, erfolgsversprechenden Lösungen.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2013/10

     

Nach einer gewissen Zeit der Ruhe am Schlagworthimmel wird die IT im Moment von Schlagwörtern nur so überschüttet. Unter dem Begriff SMAC (Social Mobile Analytic & Cloud) versammelt sich quasi eine Quadriligia, die von mehreren Fronten den Angriff auf etablierte Ökosysteme bläst. Die Frage, die sich dabei stellt, ist an erster Stelle, ob es sich hier wirklich um eine Revolution handelt oder wieder mal nur um eine Seifenblase. Die Frage, die sich direkt anschliesst, ist, wie sich Anbieter und Channel-Partner in Zukunft ausrichten müssen.
Wenn man die aktuelle Trendwolke etwas genauer ansieht, muss man zuerst einmal feststellen, dass einiges anders ist als früher. Zunächst einfach ein paar Äusserlichkeiten: IT ist wieder in aller Munde. In den letzten zwölf Monaten waren IT-Themen öfters auf der Titelseite des deutschsprachigen Magazins «Der Spiegel» als wahrscheinlich in allen anderen Erscheinungsjahrzehnten davor zusammen. Aber auch andere Medien berichten regelmässig über IT und Business Software. Gab es das so oft schon früher? Eher nein, hier ist ein klarer Paradigmenwechsel erkennbar. IT ist in aller Munde, aber der Konsument, der gleichzeitig auch User und Mitarbeiter ist, stellt die Anforderungen, während sich die klassischen Entscheider – sprich IT-Leiter, CFO oder CEO – schwer tun, da ihre auf Kontrolle und zentrale Steuerung ausgelegten IT-Governance-Konzepte zunehmend der Vergangenheit angehören. Damit ist auch der grösste Wandel für die Zukunft skizziert: Das Anspruchsverhalten hat sich geändert, die IT-Affinität der User hat sich – teilweise massiv – geändert und die IT-Governance-Prozesse in den Unternehmen müssen sich hier noch ändern und anpassen.

Spagat zwischen neu und alt


Im unternehmerischen Kontext ist die aktuelle technologische Veränderung bei weitem kein so schneller und revolutionärer Prozess. Unternehmen müssen beinahe museale Legacy-Systeme verwalten und in Betrieb halten und sollten gleichzeitig den Spagat schaffen, neue Technologien und neue Anwenderverhaltensmuster zu bisher unbekannten und innovativen Lösungen zu kombinieren. In den Unternehmen sind hier grössere Reorganisationsanstrengungen gefordert, die aus dem akrobatischen Akt des Spagats eine geordnete Zweigleisigkeit machen. Klar sind dabei zwei Dinge: Erstens werden die etablierten Legacy-Systeme so schnell nicht verschwinden, nicht zuletzt wegen der hohen Qualität und Performance der darin abgebildeten Kernprozesse. Und zweitens wird, wer nicht zumindest anfängt mit den neuen SMAC-Technologien zu experimentieren, den Anschluss an Kunden und Partner langfristig verlieren. Hier zeigt sich letztlich auch ein globaler Wettbewerb von IT-Führungs- und Betriebsmodellen in einem globalen Markt, denn gerade die industriellen Schwellenländer in Fernost, aber auch typische Laisser-faire-Arbeitskulturen wie im angelsächsischen Raum haben eine geringere Durchdringung mit «perfekten», aber veralteten Legacy-Systemen.

Auswirkungen auf den Channel


Was bedeutet dies nun für Anbieter und Channel Partner? An erster Stelle muss man sich bei der Innovation der eigenen Lei­stungsportfolios mit dieser zukünftigen Zweigleisigkeit zwischen veralteten Systemen und neuen Technologien auseinandersetzen. Es ist zu erwarten, dass hier alle Optionen Zukunft haben. Man kann als Business-Software-Anbieter konservativ bei seinem Kerngeschäft bleiben und die Kunden dabei unterstützen, ihre alten Systeme halbwegs fit zu halten und vor der Geria­triephase zu bewahren. Oder aber man konzentriert sich auf neue Technologien und neue Anwendungsfelder. Oder man macht beides. Die Wachstumsperspektiven sind hier sicher unterschiedlich, aber gerade auch Kompetenz zu (Ur-)Altsystemen und -technologien wird mit Sicherheit in den nächsten Jahren zu einem lukrativen Markt werden. Auf keinen Fall sollte man aber seine Energie darauf verwenden, etablierte Themenfelder auf neue Technologien zu heben. So ist zu erwarten, dass der Markt für klassische ERP-Systeme auf Basis von Cloud eher ruhig verläuft, da letztlich niemand, der heute mit Erfolg ein ERP-System auf Anwenderseite betreibt, sein zukünftiges Heil zwingend in der Cloud suchen muss. Andererseits kann man Geschäftsprozesse, die traditionell eher mit Excel-Lösungen abgebildet wurden, sehr gut in die Cloud bringen und hier dem anwenderseitigen Verantwortlichen und Entscheider Sicherheit, Ruhe und Kontrolle bringen – schon immer ein Wertetrio, dass gerade in der Business-IT eine hohe Wertschätzung geniesst.

Schatten-IT als Chance


Wer also Anwendungsfelder für seine neuen Cloud- oder Mobility-Angebote sucht, sollte sich zuvorderst mit der Schatten-IT im Unternehmen beschäftigen. Excel, Access aber auch Lotus Notes belegen noch immer zahlreiche (Micro-)Anwendungsfelder und haben gleichzeitig geschäftskritische Dimensionen angenommen. Die Cloud könnte sich hier in Zukunft quasi zu einem Kammerjäger für die Schatten-IT entwickeln.
Das bedeutet aber auch, dass Anbieter ihre Technologieverliebtheit und ihren Spieltrieb endlich aufgeben und sich mit der täglichen Realität in Unternehmen beschäftigen müssen. Des weiteren muss man als Anbieter mit anderen Kostendimensionen und zeitlichen Rahmenbedingungen kämpfen, wenn man bei einem Anwenderunternehmen Applikationen im Bereich der Schatten-IT ablösen möchte. Die Projekte müssen günstig, schnell und leichtfüssig sein. Am Ende heisst das auch, dass die Projektumsätze sinken werden. Dafür besteht aber das Potential, die Frequenz zu erhöhen. Es gilt hier insbesondere, Plattformen für die taktische Entwicklung zu verdrängen und neue zu etablieren. Auch hier ist es sinnvoll, einen Blick auf die aktuellen Erfolgsmodelle zu werfen: Der Erfolg von Excel begründet sich darin, dass es das Programm erlaubt, dass sich der Anwender als Entwickler betätigt. Ein erster Schritt sind hier die App Stores, die quasi aus dem Anwender einen IT-Entscheider machen. Noch heute laufen die Mehrheit der Lizenzumsätze der wahrscheinlich aktuell führenden Cloud-Lösung im Business-Software-Bereich mehrheitlich über die Kreditkarten und das Spesenbudget der betroffenen Fachabteilungen und nicht über das offizielle Budget der IT. Ein scharfer Vergleich mit Excel zeigt aber auch, dass der Schritt zur Entwicklungskompetenz durch den Anwender gerade in der App-Welt noch nicht wirklich vollzogen ist.

Eigenentwicklungen kommen wieder auf


Des weiteren sind die Anwender heute dank der Smartphone- und Tablet-PC-Welle durch die Bank mit leistungsfähigen Endgeräten ausgestattet. Bring your own Device (BYOD)ist dabei genauso ein Trend wie eine Herausforderung. Die Verfügbarkeit von mobilen Endgeräten bei allen traditionellen, aber auch noch nicht von der offiziellen IT-Governance erfassten Mitarbeitern und Mitarbeitenden in Partnernetzwerken bietet ungeahnte Möglichkeiten. Grösstes Problem sind hier die grossen OEM selbst, die sich im Moment mit Lizenzmodellen selbst im Weg stehen, die letztlich jeden vernüftigen IT-Ko­stenverantwortlichen zurückschrecken lassen sollten. Ein Cloud-CRM ist für eine breite und mobile Anwendermasse noch immer viel zu teuer. Da helfen die freudigen Gesichter der grossen Anbieter nichts, wenn sie verkünden, dass sie die Preise nochmals um 20 Prozent gesenkt haben. Für die wirklich grossen User-Zahlen ist das weiterhin viel zu teuer. Damit bringt BYOD auch ein IT-Handlungsfeld nach oben, das in vielen Unternehmen schon längst totgesagt war, nämlich die Eigen- respektive die Individualentwicklung. Die Kombination von schlanken Lösungen, kurzen Projektzeiten, kurzen Lebenszyklen und lizenzfreien Kostenstrukturen machen Eigenentwicklungen wieder attraktiv. Auch hier müssen Anbieter und insbesondere Partner in Zukunft nachdenken. Denn das klassische und insbesondere sich wiederholende Lizenzgeschäft wird immer schwieriger.

Auch Services anbieten

Ein Ausweg aus dieser Misere ist es, neben Software in Zukunft auch immer mehr Services anzubieten. Ein weiteres Schlagwort von Bedeutung ist hier das sogenannte Business Process Outsourcing (BPO). Die Anzahl der möglichen Ideen in diesem Bereich ist schier unbegrenzt und eine gute Idee mit echtem Mehrwert und kostengünstigem Deployment hat schon manchen Start-up-Unternehmer zum Millionär gemacht. Aber auch hier muss man die Geschäftsprozesse und Lebenswelten im geschäftlichen Alltag kennen, um wirklich gute und greifbare Ideen zu entwickeln. Denn der Schweizer Business-Software-Markt allein erlaubt nur in den seltensten Fällen die ausreichenden Economies of Scale. Globalisierungsstrategien sollten daher von Anfang an mit berücksichtigt werden.
Ein weiteres und interessantes Feld sind die Möglichkeiten, immer mehr automatische User einzusetzen. So ist es heute nicht mehr abwegig, die GPS-Systeme in den Fahrzeugen einer Service-Techniker-Flotte konsequent mit der Personaleinsatzplanung zu verbinden und so neue Kapazitäten und Flexibilitäten zu erschliessen. Mobile Technik lässt sich immer besser mit Sensorik und Messtechnik verbinden und so werden der eigene Maschinenpark, die eigenen Geräte bei Kunden des Anwenders oder die Fahrzeuge einer Logistikkette sehr schnell und einfach zu Anwendern und Informationsgebern für die eigene Business Software. Hier werden sich in Zukunft viele Möglichkeiten ergeben, die gerade für ein Ingenieur- und Tüftlerland wie die Schweiz von besonderem Interesse sind. Aber die Ideen müssen funktionieren, man muss sie verkaufen und sie müssen im Kostenrahmen bleiben. Das ist alles nicht ganz einfach. Wichtig für alle Verkäufer in Zukunft wird sein, letztlich zu verstehen, dass jeder Anwender auch immer mehr zum IT-Entscheider oder zumindest zum IT-Stimmungsmacher wird. Dies wird die Verkaufs- und Marketingprozesse in Zukunft immer mehr auf den Kopf stellen.


Dr. Eric Scherer ist Geschäftsführer von i2s consulting in Zürich.

Kommentare
Leiber Herr Dr. Scherer Las Ihren interessanten Artikel in einem Zug durch. Bin nicht der grosse Fachmann auf dem Gebiet, aber durch meine Trainings für Service Desks grösserer Firmen, bekomme ich so Einiges mit. Und das finde ich eben das Positive an Ihrem Artikel: man muss nicht der Profi sein um zu erfassen, um was es hier geht. Vielen Dank. Ruedi Müller
Dienstag, 8. Oktober 2013, Ruedi Müller



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