Der tiefe Euro und die IT-Branche
Quelle: Swico

Der tiefe Euro und die IT-Branche

Die Aufhebung des Euro-Mindestkurses schüttelt die ICT-Branche durch. Vor allem Reseller, die reinen Produkteverkauf machen, dürften Probleme bekommen.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2015/01

     

Im Januar hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Euro-Mindestkurs aufgehoben. "Swiss IT Reseller" hat mit Swico-Präsident Andreas Knöpfli darüber gesprochen, welche Auswirkungen dieser Schritt auf die Schweizer ICT-Branche hat.

Welche Konsequenzen hat die Aufhebung des Euro-Mindestkurses auf die Schweizer Wirtschaft?
Andreas Knöpfli, Swico-Präsident: Die Schweizer Wirtschaft wird momentan – nicht nur auf IT-Seite – stark durchgeschüttelt. Vor allem Firmen, die stark im Euro-Raum involviert sind – wie etwa Zulieferer der Export-Branche oder etwa Unternehmen aus dem Tourismus –, werden Investitionen nun überdenken und dies wird sich auch auf das Volumen im Informatikbereich auswirken. Gleichzeitig haben Privatpersonen aktuell eigentlich wieder mehr frei verfügbare Mittel als noch vor zwölf Monaten, weil vieles wie Hypotheken oder das Öl billiger geworden ist. Hinzu kommt, dass diverse Sachen, die aus dem Euro-Raum importiert werden, nun günstiger werden. Die Frage ist, ob dieser Mehrbetrag, den die Leute frei zur Verfügung haben, für Informatikprodukte ausgegeben wird oder ob er gespart wird.


Das ist die Grosswetterlage. Wie sieht die Situation konkret in der ICT-Branche aus?
In der IT läuft auf der Produkteseite – sprich vor allem bei Hardware aber auch bei Software – mehr in Dollar als in Euro. Der heutige Dollarkurs (Stand 23. Januar 2015) ist fast vergleichbar mit demjenigen im September 2014 und von vor einem Jahr. Wegen des höheren Dollar-Kurses wollten die Hersteller eigentlich die Preise erhöhen, machen dies nun aber doch nicht aufgrund des reduzierten Wechselkurses. Vielmehr haben sie zum Teil sogar die Preise gesenkt. Die Hersteller werden also einige Produkte mehr verkaufen müssen, um den Umsatzschwund zu kompensieren und ein Wachstum in Franken zu generieren.
Im Bereich der Software-Entwicklung und -Dienstleistungen sind wir in der Schweiz kostenmässig auf einem sehr hohen Level, verglichen mit Anbietern aus dem EU-Raum oder dem sonstigen Ausland. Und dieser Druck wird zunehmen. Allerdings denke ich, dass der Einfluss des Eurokurses im Softwarebereich etwas kleiner ist, weil wir uns hier über Qualität und Kundennähe differenzieren können. Und vor allem bei Standardlösungen hat man einen einmaligen Entwicklungsaufwand und der Vertriebsaufwand ist klein.
Wie sieht die Lage bei den Resellern aus?
Beim Zwischenhandel, also bei den Resellern, die am Markt agieren, sehe ich gewisse Schwierigkeiten. Denn bei den Resellern gibt es einige, die Direktimporte aus dem Ausland getätigt und die normalen Beschaffungsströme umgangen haben. Diese Reseller müssen nun den Lagerverlust selbst decken und waren vielleicht liquiditätsmässig bereits in einer angespannten Situation, die sich nun verstärkt. Das kann durchaus dazu führen, dass einige Partner ins Taumeln geraten.


Wird es Ihrer Einschätzung nach viele Zwischenhändler geben, die aufgrund der aktuellen Situation ihre Geschäfte werden einstellen müssen?
Das zu beziffern, ist schwierig. Aber es gibt relativ viele Firmen im Zwischenhandel, die sich nicht über einen Mehrwert von den anderen Unternehmen differenzieren, sondern primär einen reinen Produkteverkauf machen. Gleichzeitig kalkulieren sie mit sehr engen Margen und versuchen diese mit den angesprochenen Direktimporten zu optimieren. Diese Reseller spüren nun natürlich einen erheblichen Verlust auf ihre Lagerprodukte. Gleichzeitig operieren sie bereits mit extrem engen wirtschaftlichen Kennzahlen. Und heute ist eine Bank nicht bereit, einer solchen Firma einen Kredit zu geben. Entsprechend erwarte ich hier schon eine Konsolidierung und einen Shakeout.
Grossunternehmen wie etwa die UBS haben Teile ihrer IT bereits vorher ins Ausland ausgelagert. Wird das nun noch mehr anziehen?
Das ist sicher nicht auszuschliessen. Offshoring- und Nearshoring-Konzepte sind immer ein Thema. Wir hatten in der Schweiz schon immer eine hohe Kostenbasis. Mit der Aufhebung des Euro-Mindestkurses ist diese Kostenbasis im Vergleich zur EU noch höher geworden. Und dies bedeutet, dass wir Produktivitätsfortschritte generieren müssen. Ich glaube aber, diese Zitrone ist bereits ziemlich stark ausgepresst, denn wir haben bereits gute Prozesse und eine gute Produktivität in der Schweiz. Deshalb wird man vor allem bei personalintensiven Aktivitäten kein Tabu ausschliessen. Und dieses Tabu heisst Lohnreduktion oder mehr arbeiten zum selben Lohn.


Nebst Lohnsenkungen und verlängerten Arbeitszeiten wird man auch mit Stellenstreichungen rechnen müssen?
Das kann sicher auch passieren. Ich hoffe nicht, dass es gerade Stellenabbaumassnahmen gibt, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass gewisse Firmen bezüglich Neuanstellungen zurückfahren werden. Und was natürlich auch schwierig sein wird, ist, Unternehmen dazu zu motivieren, in die Schweiz zu kommen, weil doch der Standort insbesondere im Vergleich zum EU-Raum sehr teuer geworden ist. Die Standort- und Wirtschaftsförderung steht diesbezüglich vor einer sehr grossen Herausforderung.
Wie kann man als IT-Unternehmen abgesehen von Lohnsenkungen oder erhöhten Arbeitszeiten sonst noch auf die aktuell schwierige Lage reagieren?
Wenn eine solch grosse Veränderung passiert, wie die Aufhebung des Euro-Mindestkurses, dann muss man zunächst einmal abwarten, bis der Pulverdampf etwas verdampft ist. Aktuell findet doch eine gewisse Überreaktion statt. Es ist zu hoffen, dass sich der Euro wieder ein bisschen erholt, aber die Wahrscheinlichkeit, dass er wieder auf 1.20 oder mehr kommt, ist gering. Die Firmen müssen deshalb schauen, dass sie sich statt auf Boxmoving auf differenzierte, qualitativ hochstehende Dienstleistungen konzentrieren, in welchen der Kunde einen Mehrwert sieht und bereit ist, etwas dafür zu bezahlen.

Nebst dem Euro-Thema beschäftigt die Schweizer ICT-Branche ja seit einer Weile auch noch der Paradigmenwechsel von On-Premise-Computing zu Cloud Computing mit Service-orientierten Leistungen. Das ist eine riesige Veränderung für den Markt. Früher hat man einen grossen Deal gemacht und konnte eine grosse Rechnung schreiben. Heute macht man einen kontinuierlichen Umsatz, den man auf einem kleineren Level aber über längere Zeit macht. Das bedeutet für die Unternehmen eine grosse Veränderung bezüglich Struktur und Businessmodell.
Das kumuliert sich nun alles und ist ein riesiger Strukturwandel, den nicht alle Partner umsetzen können.


Partner, die diesen Strukturwandel bereits initialisiert haben, sind für die aktuelle Herausforderung also besser gewappnet als reine Boxmover?
Das ist sicher so. Unternehmen, die bereits einen signifikanten Teil des Umsatzes mit der Cloud und Services machen, haben eine höhere Kundenbindung, weil der Kunde nicht von einem Tag auf den anderen eine Cloud-Lösung zu einem anderen Unternehmen wechseln kann. Die Beschaffung von 100 PCs hingegen ist ein relativ transaktionales Geschäft, bei dem es keine Rolle spielt, ob das über einen Händler im Emmental passiert oder über einen Händler im Ausland.

Laut Ihrer Einschätzung ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Euro sich wieder bei 1.20 einpendeln wird, relativ klein. Mit was rechnen Sie?
Ich gehe davon aus, dass die Nationalbank sich momentan nicht in einem Tiefschlaf befindet und im richtigen Moment auch wieder entsprechend interveniert und einen entsprechenden Zielkurs anpeilen wird. Sie wird dies aber nicht mehr nach Aussen kommunizieren. Denn eines der Probleme war, dass die Nationalbank explizit gesagt hat, dass sie 1.20 verteidigen wird. Die Leute nahmen das als implizite Garantie. Künftig wird die Nationalbank wohl intern einfach eine gewisse Bandbreite festlegen und für den Euro-Franken einen Kurs zwischen 1.05 bis 1.15 anpeilen – mit der dazu nötigen Unterstützung.
Dass die Nationalbank den Euro-Mindestkurs irgendwann wird aufheben müssen, wusste man. Aber konnte man als Unternehmen erahnen, zu welchem Zeitpunkt ungefähr dieser Schritt gemacht wird oder wurden die Firmen eher kalt erwischt?
Der Zeitpunkt hat sicher alle kalt erwischt. Ich denke, die Unternehmen wurden alle von dieser Auflösung überrascht. Nur kurz vorher hat Nationalbank-Präsident Thomas Jordan in einem Interview noch bestätigt, dass der Mindestkurs verteidigt wird. Als Unternehmen konnte man sich vor dieser Aufhebung des Mindestkurses mit Hedging schützen. Grosse, exportorientierte Firmen haben dies gemacht, indem sie im Euro-Raum produzieren und einen Grossteil der Löhne in Euro bezahlen und somit die Kosten als auch die Einnahmen in Euro haben. Diese Firmen haben aktuell weniger ein Problem. Die Probleme haben vielmehr die Zulieferer der grossen Unternehmen, welche Produkte veredeln und danach exportieren. Wenn ich zum Beispiel eine 100-Mann-Firma bin, die zu 80 Prozent an ABB liefert, dann wird die ABB irgendwann einen besseren Preis wollen. Und das tut mir dann weh, wenn ich alle Kosten in der Schweiz habe.


Wie beurteilen Sie den gewählten Zeitpunkt zur Aufhebung des Euro-Mindestkurses?
Es gibt keinen guten Zeitpunkt für eine solche Auflösung, so etwas ist immer schmerzhaft. Aber meiner Meinung nach war es besser, diese Aufhebung anfangs und nicht Ende Jahr zu machen. Das ist wie im Fussball: Wenn man nach fünf Minuten in Rückstand gerät, hat man noch 85 Minuten, um diesen wieder aufzuholen. Unternehmen, die im Kalenderjahrmodus laufen, haben nun die Möglichkeit, sofort zu reagieren und allenfalls korrigierende Massnahmen zu treffen, so dass es bis Ende Jahr doch noch einigermassen vernünftige Zahlen geben wird – obwohl das schwierig werden wird. Wenn aber eine solche Veränderung im Dezember passiert, dann kann man als Unternehmen nicht mehr viel machen und sie hat sofort einen Einfluss auf die Budgetierung für das nächste Jahr, was dann zu Worst-Case-Szenarien wie absoluten Investitionsstopps führt.
Welche Konsequenzen hat der Entscheid der Europäischen Zentralbank (EZB), Staats- und Privatanleihen im Volumen von mehr als einer Billion Euro zu kaufen, auf die Schweizer ICT-Branche? Und was bedeutet dieser Entscheid für den Euro-Franken-Kurs?
Insgesamt haben die EU-Märkte gut auf die Ankündigung reagiert, ebenso wie die amerikanische und die asiatische Börse. Der Entscheid wird also von den Märkten gut aufgenommen. Und wenn das dazu führt, dass im EU-Raum Wachstum generiert wird, dann wird natürlich Deutschland als Exportweltmeister davon profitieren. Und wenn es Deutschland gut geht, dann geht es tendenziell auch der Schweiz gut. Welchen Einfluss der Entscheid aber auf den Euro-Schweizer-Kurs haben wird, ist schwierig vorauszusagen.

Welche weiteren Veränderungen werden durch die aktuelle Situation angestossen?
Wichtig ist, dass wir als Schweizer dort Änderungen machen, wo wir es selbst in der Hand haben. Was die Nationalbank gemacht hat, ist im Prinzip "fight against the market". Das kann man für eine gewisse Zeit machen, aber irgendwann geht das nicht mehr auf. In der Politik gäbe es aber einiges, das man machen könnte, und dort muss man aktiv werden. Gerade bei der ganzen Bürokratie, den Rahmenbedingungen und den Umständen rund um einen KMU-Geschäftsbetrieb gibt es grosses Verbesserungspotential. Hier muss die Politik nun entsprechend reagieren und Entscheide treffen. Es darf nicht immer noch aufwendiger werden, ein Geschäft in der Schweiz zu betreiben.


Wird hier nun etwas geschehen?
Ich denke schon, dass die Leute nun aufgeweckt wurden. Im Rahmen der Masseneinwanderungs- und der Ecopop-Initiative im vergangenen Jahr waren die Menschen davon überzeugt, dass es der Schweiz gar nie mehr schlecht gehen kann. Wir von Swico haben schon dazumal in einem Statement gesagt, dass wir an unserem eigenen Ast sägen und schauen müssen, dass wir auf der richtigen Seite des Asts sitzen. Und nur wenig später ist es nun passiert, dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen innerhalb kürzester Zeit extrem verändert haben, während von politischer Seite die Rahmenbedingungen und die regulatorischen Anforderungen nicht einfacher, sondern eher noch schwieriger geworden sind. Hier muss man ansetzen und zumindest die bürgerlichen Politiker verstehen das. (abr)


Weitere Artikel zum Thema

Microsoft passt Schweizer Preise an Euro-Kurs an

30. Januar 2015 - Angesichts der aktuellen Wechselkursgegebenheiten will nun auch Microsoft Schweiz die Preise im Online Store anpassen. Das Surface-3-Tablet wird ab nächster Woche etwa 17 Prozent günstiger angeboten.

Auch Distrelec reagiert auf Aufhebung des Euro-Mindestkurses

27. Januar 2015 - Bei Distrelec gibt es ab sofort 100'000 Markenartikel zum reduzierten Preis. Das Unternehmen reagiert damit wie bereits andere Händler und Hersteller auf die Aufhebung des Euro-Mindestkurses.

Auch Interdiscount senkt Preise

22. Januar 2015 - Rund 2000 Produkte werden bei Interdiscount ab dem 23. Januar zum reduzierten Preis angeboten. Der Händler reagiert damit wie auch schon PCP.ch, Microspot.ch und Ricardoshops.ch auf die Aufhebung des Euro-Mindestkurses.

Auch Ricardoshops.ch senkt Preise

19. Januar 2015 - Ein weiterer Schweizer Onlineshop gibt den niedrigeren Eurokurs an seine Kunden weiter. Die Preise der deutschen Händler auf Ricardoshops.ch wurden gesenkt.

PCP.ch senkt Preise nach SNB-Entscheid

16. Januar 2015 - Beim Schaffhauser Onlinehändler PCP.ch hat man sich nach dem SNB-Entscheid dazu entschlossen, die Verkaufspreise an den neuen Euro-Kurs anzupassen. Teilweise wurden die Preise um bis zu 15 Prozent gesenkt.


Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Aus welcher Stadt stammten die Bremer Stadtmusikanten?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER