IT Reseller: Wir glauben, dass sich in den nächsten zwei Jahren viele ISVs (unabhängige Software-Hersteller) aus dem Markt für Business-Software verabschieden werden. Dies unter dem Druck der drei «Giganten»
Microsoft,
SAP und Oracle. Kann Ramco als relativ kleine Firma überleben?
Venketrama Raja: Wir lösen eine Revolution aus. Wir liefern Lösungen schneller und zu tieferen Kosten als es bisher möglich war. Wir können jedes Projekt doppelt so schnell wie jeder Konkurrent zu mindestens 30% tieferen Kosten ausführen.
Ich sage das ausdrücklich nicht, weil wir in Indien günstiger oder genauer arbeiten würden, sondern weil unsere Produktivität viel höher ist.
ITR: Ähnliche Aussagen habe ich schon des öfteren von Software-Herstellern gehört. Wie soll dies möglich sein?
VR: Wir sprechen heute über ERP II nach Gartner. Es geht um modellbasierende Komponentenarchitektur, um firmenübergreifenden «Collaborative Commerce» und so weiter. Wir haben unterschiedliche Produkte für verschiedene Märkte. Wir haben eine HR-Linie, eine Suite für Asset-Management und eine für die verschiedensten Branchen der Prozessfertigungsindustrie, eine für Business Intelligence – insgesamt werden wir sieben Linien simultan auf den Markt bringen.
Alle diese Linien sind für verschiedene technologische Plattformen, für
Microsoft,
Oracle, Sun,
IBM, Linux usw. verfügbar. Wir sind weltweit die einzige Firma, die den Kunden die Software für jede Plattform zur Verfügung stellen kann.
ITR: Ihr Projekt scheint mir sehr ambitiös und klingt nach hohem Zeit- und Personalaufwand.
VR: Dies alles haben wir in nur 18 Monaten – das ist extrem kurz – aus unserer client-server-basierten ERP- Software-Version entwickelt. Total haben nicht mehr als 500 Leute an unserer neuen Software-Version gearbeitet, während beispielsweise für SAP 2000 bis 3000 Leute an einer neuen Version arbeiten. Dabei unterstützen SAP und all diese Leute nicht mal alle Plattformen.
ITR: Wie ist das möglich? Auch indische Software-Ingenieure können ja nicht plötzlich unmenschlich schnell und fehlerfrei arbeiten.
VR: Die extrem kurze Entwicklungszeit und der geringe Einsatz von Entwicklungskapazität wurde durch den Einsatz unserer technologischen Plattform namens «iEnterprise Foundation» möglich gemacht. Die Plattform beruht auf drei Teilen: Die Ramco Virtual Works-Technologie, unsere Methodologie und unsere Komponenten. Unsere Komponenten sind nicht einfach normale Komponenten.
Es sind Business-Komponenten, die ihrerseits wieder aus bis zu hundert technischen Komponenten bestehen können. Wir haben jetzt mehr als 400 solche Business-Komponenten, die individuell und schnell mit unserer Methodologie implementiert werden können.
ITR: Was ist «Virtual Works»?
VR: «Virtual Works» erlaubt uns, jeden Geschäftsprozess und jede Business-Komponente systematisch zu modellieren. Von unseren 500 Ingenieuren, die an der neuen Software-Version gearbeitet haben, arbeiten 250 ausschliesslich an den Geschäftsprozessen – sie sind keine Programmierer.
Alles was sie tun, sind Geschäftsprozesse und -komponenten zu definieren und zu simulieren. «Virtual Works» wird dann automatisch den Code für die gewünschte technologische Plattform generieren. Alles was unsere Kunden brauchen, sind Ingenieure, die die Geschäftslogik beschreiben. Dann haben sie die gewünschte Lösung.
Wir verkaufen nicht nur fertige Produkte, sondern bieten gleichzeitig Services an, damit der Kunde seine existierenden Lösungen in neue Applikationen transformieren und in seine bestehende Umgebung integrieren kann.
Programmieraufwand um zwei Drittel reduziert
ITR: Wie sieht Software-Engineering bei Ramco konkret aus?
VR: Mit «iEnterprise Foundation» haben wir eine «Meta-ERP» auf einer höheren Ebene der Abstraktion von Prozessen. Wir müssen uns bei jeder Transformation oder Integration von ERP-Systemen nur um den Inhalt, nicht um die Programmierung kümmern. Firmen sind heute extrem komplex und müssen sich schnell wandeln. Normalerweise ist die Programmierung der Flaschenhals, nicht die Definition der Prozesse und Komponenten.
Wir konnten nun die reine Programmierarbeit um zwei Drittel reduzieren. Der Flaschenhals ist beseitigt. Die grundlegenden Informationen zu den Geschäftsmodellen werden in einer zentralen Datenbank abgelegt. Wir transformieren diese zur Applikation und einige Programmierer fügen die Geschäftslogik hinzu. Dazu benötigen wir nur noch 20 bis 30% des normalen Programmieraufwandes.
Wenn eine bestehende Applikation transformiert werden soll, können wir die existierende Geschäftslogik benützen. In Multiplattform-Umgebungen können wir eine Ebene schaffen, die das ganze System als eine Applikation erscheinen lässt.
ITR: Aber Ihr Kunde liefert sich Ihnen aus. Einmal Ramco, immer Ramco?
VR: Nein, der Kunde erhält eine fertige Lösung. Wer uns nicht mehr mag, kann manuell weiterentwickeln, wer uns mag, kann unsere Technologie benützen und sehr schnell Prozesse ändern, erweitern oder ersetzen. Ich will nicht arrogant sein. Technologie alleine macht keinen Erfolg. Am Schluss müssen die Kunden einen auch mögen.
ITR: Ich habe schon einige Firmen getroffen, die behaupteten, sie hätten die Art und Weise, wie Software entwickelt wird, revolutioniert. Einige davon existieren heute nicht mehr...
VR: Einige Hersteller zeigten ihre revolutionären Ansätze mit sehr kleinen Lösungen. Sobald sie eine grosse Lösung bauen sollten, funktionierte es nicht mehr. Aber wir haben bewiesen, dass unsere Technologie auch bei riesigen Projekten für 20’000 oder 30’000 Arbeitsplätze funktioniert. Die Vorgängerversion unserer ERP-Software hatte alleine 25 Millionen Code-Zeilen. Wir konnten die neue Version für alle möglichen Plattformen entwickeln und implementieren sie nun bei den Kunden. Ich kann noch und noch zeigen, dass unsere Technologie funktioniert.
ITR: Ich verstehe Sie richtig: Niemand bei Ramco schreibt Code in C++ oder Java?
VR: Bei den ERP-Entwicklern schreibt niemand bei uns C-Code. Die Leute, die die Prozesse definieren, schreiben SQL-Abfragen. Anders sieht es in der Abteilung aus, die unser Framework (Ramco Virtual Works) bauen. Dort wird in C oder in Java programmiert.
ITR: Ihre Aussagen erscheinen mir gewagt. Haben Sie Beweise?
VR: Wir haben Kunden wie Boeing und die Hotelkette Radisson, die unsere Technologie einsetzen. Viele Leute glauben mir nicht. Aber wir können unsere Aussagen beweisen.
Unsere Dienstleistung benützt die Technologie von
Microsoft, von
Oracle und anderen bekannten ERP- Anbietern in einigen Komponenten. Dazu kommt dann unsere eigene Technologie zur nahtlosen Integration all dieser Teile. So konkurrenzieren oder bekämpfen wir die anderen Hersteller nicht. Aber wir können eine mächtigere Lösung aus dem eigenen Haus anbieten.
Wir müssen über verschiedene Industrien hinweg lernen, zu koexistieren und zu wachsen. Mit unserem Entwicklungspower müssen wir nicht im ERP-Feld bleiben. Es gibt grosse Finanzinstitute, die unsere Technologie testen, um zu probieren wie sie ihre Entwicklungszeit um 30% verkürzen können. Wir können in den Gesundheitsmarkt gehen... Wir sind jetzt nicht mehr auf den ERP-Markt beschränkt. Der weltweite ERP-Markt ist 10 Milliarden Dollar gross. Der Zielmarkt für unsere Services ist nun 500 bis 800 Milliarden Dollar schwer – wenn wir davon auch nur 0,5% Marktanteil gewinnen, sind wir eine grosse Firma – das ist meine Vision.
ITR Ramco ist verhältnismässig klein – zu klein, um ein revolutionäres Konzept im Markt durchzusetzen?
VR: Wir wollen nun Partner überzeugen, mit uns zu arbeiten. Berater könnten zum Beispiel Business-Logik für unsere Kunden erarbeiten und unsere Plattform dazu benützen, die Lösung zu erweitern. Wir wollen die Welt nicht dominieren, sondern die Menschen zur Zusammenarbeit gewinnen. Je mehr Firmen mit uns zusammenarbeiten, desto besser. Vielleicht werden wir dann nicht eine sehr grosse Firma, aber wir werden länger existieren. Das ist mir wichtiger.
ITR: Welche Art von Partnern stellen Sie sich vor?
VR: Das können Firmen sein, die dem Kunden helfen, seine Geschäftsprozesse zu verändern, Consultants also. Wir wollen aber auch mit Systemintegratoren zusammenarbeiten, die unsere ERP-II-Produkte integrieren können. Auch reine Verkaufspartnerschaften sind möglich.
ITR: Es gibt in der Schweiz Hunderte von spezialisierten Software-Herstellern, die mehr oder weniger individuelle Lösungen bauen. Ich glaube, diese Hersteller müssen sich entscheiden, ob sie weiter Grundfunktionalitäten bauen wollen, oder ob sie sich einem der grossen Technologie-Hersteller anschliessen. Wie sehen Sie die Zukunft für unabhängige Software-Hersteller?
VR: Was passierte mit dem klassischen Engineering? Schauen wir uns die Autoindustrie an. In den 20er- und 30er-Jahren gab es noch Hunderte von Autoherstellern weltweit. Die Autos wurden praktisch von Hand gebaut. Ein Auto herzustellen war sehr arbeitsintensiv und brauchte spezialisierte, gut ausgebildete Arbeiter. Auch die besten Ingenieure konnten nur ein gutes Auto bauen, wenn sie sehr talentierte Arbeiter hatten. So ist es heute mit der Produktion von Software. Man braucht ausgesprochen gute Programmierer.
Henry Ford hat dann den Herstellungsprozess in der Autoindustrie automatisiert – Engineering wurde damit wichtiger als das Handwerk. Mit der iEnterprise Foundation haben wir diese Entwicklung für die Software-Industrie nachvollzogen. Wenn wir vorwärts kommen und es uns gelingt, unsere Technologie zu vermarkten, wird das Engineering von Geschäftsprozessen wichtiger als das Programmierer-Handwerk.
Ich kann Ihnen nicht sagen, wie schnell sich die «Fordisierung» in der Software-Industrie durchsetzen wird. Vielleicht geht es fünf Jahre, vielleicht 15 – aber es wird passieren.
ITR: Um diesen langen Prozess durchzustehen, braucht Ramco enorme Ressourcen und Geduld. Haben Sie diese?
VR: Zum Glück steht unsere Firmengruppe hinter uns, die nicht nur investitionsfreudig, sondern auch investitionskräftig ist. Ausserdem werden wir Partner finden, die sich bei Ramco mit vielleicht 15 oder 20% beteiligen können. Diese werden uns helfen, den Prozess zu beschleunigen. Das Geld ist nicht das Entscheidende, sondern der Partner soll uns Vertrauen und Anerkennung im Markt verschaffen.
Der Schlüssel sind drei oder vier weltweit operierende Firmen wie Boeing, die unsere Produkte einsetzen. Ausserdem müssen wir IT- und ERP-Analysten überzeugen. Wenn diese Analysten verstehen, was wir tun und darüber schreiben, ist die Schlacht schon halb gewonnen.
ITR: Sie industrialisieren die Produktion von Software ausgerechnet in Indien. Mein Bild von Indien ist, dass es dort eine grosse Anzahl von gut ausgebildeten und talentierten Programmierern gibt.
VR: Unser Ansatz stammt aus dem Willen, die Bedürfnisse der Kunden nach Programmierung besser zu befriedigen. Aber die Automatisierung der Software-Entwicklung ist auch für Indien wichtig. In anderen Ländern wie China wird heute wesentlich günstiger programmiert als in Indien. Die Industrialisierung des Software-Engineerings wird uns einen Vorsprung bringen.
ITR: Wir befinden uns in einer Art Krise. Die Kunden sind sehr zurückhaltend. Ist es heute die richtige Zeit, um einen revolutionären Ansatz zu propagieren?
VR: Möglich, dass uns die Krise etwas schadet. Aber wir argumentieren anders. Wenn der Kunde wirklich Kosten reduzieren will, sollte er vielleicht unsere Lösungen anschauen. Man muss immer aus der Situation Vorteile ziehen und wir hoffen, dass wir von der Krise profitieren können.
ITR: Ramco kommuniziert nirgends, welche Kundengrösse angepeilt wird.
VR: Die Kundengrösse ist für uns wirklich nicht wichtig. Man kann unserer Software sinnvoll mit 10 Usern oder mit 15’000 Usern betreiben. Die Frage ist, wo konzentriere ich meine Sales-Leute? Aber wir können mit unserer flexiblen Architektur auch Lösungen für kleinere Firmen bauen. KMU-Lösungen auf der Basis unserer Technologie zu vermarkten wäre vielleicht der Job für einen Partner.
ITR: Warum haben Sie den europäischen Hauptsitz in der Schweiz? Die Schweiz ist ja nicht gerade das weltweite Zentrum der Software-Industrie.
VR: Wir sind seit sechs, sieben Jahren in Europa. Wir müssen die verschiedenen Kulturen verstehen und lernen, wie weltweit operierende Firmen ihre Prozesse entwickeln. Für uns war entscheidend zu lernen, wie man in Europa Kunden findet und ihre Bedürfnisse befriedigt. Das beste Land war die Schweiz. Es gibt mehrere Sprachen, es hat multinational operierende Firmen. Es ist ein gutes Land, um zu lernen. Hier wollen wir zuerst eine gute Grösse erreichen.
Gleichzeitig haben wir in den USA Standorte aufgebaut.
ITR: Aber in Indien ist Ramco bereits ein sehr gewichtiger Player?
VR: Unsere Firmengruppe ist auch für Indien sehr gross.
Ramco Systems ist der grösste Standardsoftware-Hersteller, aber es gibt viel grössere Service-Anbieter wie Tata,
Infosys oder Wipro. Verglichen mit ihnen sind wir eine kleine Firma, weil wir uns auf Forschung und Entwicklung konzentriert haben.
ITR: Zum Schluss: Wird Ihr Ansatz im Markt verstanden?
VR: Wir haben von sehr grossen Firmen sehr positive Reaktionen auf unser Produkt. Aber sie zögern, weil sie sich fragen, ob wir fähig sind, die Software in 30 Ländern zu implementieren und zu warten. Wir sind dazu fähig, denn wir haben nicht nur ein Produkt und eine Technologie, sondern auch Dienstleistungen wie Projekt-Management und Impact-Management. So können wir aufgrund unserer Modell-Struktur automatisch sehr schnell feststellen, welche Auswirkungen eine Änderung in einem bestimmten Modul haben könnte.
Ramco Systems:
Firma und Software
Ramco Systems hat heute ca. 1700 Mitarbeitende, der Grossteil davon Ingenieure, in 19 Niederlassungen. Die Firma ist börsenkotiert. Im Asean-Raum zählt sich die Firma zu den Marktleadern im ERP-Geschäft. Zu den Kunden von Ramco in der Schweiz zählen Galenica, Hayeks Swatch-Gruppe und Triamun (ASP-Lösung).
Die neue Version der Software von Ramco nennt sich iEnterprise Series 4.0. Ramco führt ins Feld, die Lösung sei «ERP II»-tauglich, sie sei also für die Firmen-übergreifende Integration von Prozessen gerüstet. iEnterprise Series 4.0 gibt es in sechs Produktelinien, dazu werden eine Reihe von Services und Tools angeboten. Die Software hat eine strikte Komponten-Architektur und ist über Internet verteilbar. www.ramco.com