Hüst und Hott bei der Gesundheitskarte

Die Gesundheitskarte verursacht Datenschützern Bauchschmerzen. National- und Ständerat agieren nach dem Motto «Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück». Kommen wird sie wohl trotzdem, es laufen sogar schon Pilotprojekte.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2004/04

     

Die Schweiz steht unter Druck. Die EU will noch in diesem Sommer eine elektronische Versichertenkarte einführen und diese in etwa fünf Jahren zu einer Gesundheitskarte erweitern, die auch medizinische Daten enthält.
Als ersten Schritt in die gleiche Richtung schlug der Bundesrat vor, mit der Revision des Krankenversicherungsgesetzes gleichzeitig eine obligatorische Versichertenkarte einzuführen. Ähnliche Karten mit administrativen Daten werden bereits von verschiedenen Versicherungen eingesetzt.
Doch der Ständerat erklärte das Vorhaben im Herbst 2002 für nicht dringlich. In der Frühjahr-Session letzten Jahres überwies der Nationalrat dann jedoch wiederum eine Motion für die Einführung einer Gesundheitskarte. Dagegen wehrte sich nun aber Bundesrat Couchepin, da nach wie vor technische und datenschützerische Vorbehalte bestünden.

Befürchtungen

Kritiker sehen in der Gesundheitskarte den «gläsernen Patienten» und befürchten den Missbrauch. Die GPK des Nationalrates hat denn auch den Datenschutzbeauftragten aufgefordert, entsprechende Richtlinien ins Auge zu fassen. Was bisher zur Debatte stand, ist allerdings erst die Einführung einer obligatorischen Versichertenkarte mit administrativen Daten.
Bei den Fachleuten besteht weitgehend Einigkeit, dass der Zugriff auf darüber hinaus gehende Patientendaten von den Betroffenen autorisiert werden muss. Informationen sollen ohne das Einverständnis des Patienten weder gelöscht noch geändert werden können und müssen sich zudem zurückverfolgen lassen.
Ausserdem sollen die Patienten selbst aktiv entscheiden, welche Daten sie freigeben und welche sie zurückhalten wollen. Einzig für Notfälle und bei urteilsunfähigen Patienten sollen besondere Zugriffsregelungen gelten.
Ganz neu sind elektronische Patienten-Dossiers ja nicht. Die Ärzte sind verpflichtet, alle Behandlungsschritte in einer Krankengeschichte zu dokumentieren. Dies geschieht auch in der Schweiz immer öfter mit elektronischen Dossiers.
Gegenüber Papier-Dossiers sind sie besser zu handhaben und schneller verfügbar für Analysen, Präventionsprogramme und wissenschaftliche Zwecke sowie für die Abrechnung mit den Versicherungen. Bereits existieren multimediale Patienten-Dokumente, die auch Röntgenbilder oder Computertomogramme enthalten können.
Trotz vieler Bedenken dürfte die flächendeckende Anwendung samt Standardisierung und Vernetzung in absehbarer Zukunft nicht aufzuhalten sein.

Pilot-Projekte

Dank der föderalistischen Strukturen können die Kantone, wenn sie wollen, selbständig vorwärtsmachen. Derzeit laufen Pilotprojekte im Tessin und in Genf.
Seit letztem Herbst besteht zwischen diesen beiden Projekten eine Vereinbarung, um Synergien bei der Technologie, dem sozialen Marketing und in Bezug auf die gesetzlichen Grundlagen zu nutzen.
Die Projekte unterscheiden sich in ihrer Ausrichtung, basieren aber beide auf Karten für die Patienten und für die Personen im Gesundheitswesen.
Im Tessin soll «Rete Sanitaria» ab 2005 in der Umgebung von Lugano die Vernetzung administrativer und medizinischer Daten ermöglichen, die sich auf der Gesundheitskarte des Patienten befinden. Dabei sind allgemeine Verwaltungsdaten wie Name, Vorname, Versichertennummer, Sprache und Geburtsdatum allen Gesundheitsfachleuten zugänglich. Klinische Daten hingegen, Informationen zur Immunisierung und zur Therapie, können nur mit dem Einverständnis des Patienten gelesen werden. Um die Daten abzurufen, muss sich der Arzt überdies mit seiner eigenen Karte authentifizieren.

Medizinisches Informatiknetz

Das Genfer Projekt «e-toile» läuft auf die Schaffung eines medizinischen Informatiknetzes hinaus, das alle Leistungserbringer und Gesundheitsfachleute einschliessen soll. Die Identifikation des Patienten und der Zugang zu den Netzfunktionen erfolgen mit einer Zugangskarte und einem PIN-Code.
Die Karte des Patienten enthält nur die für die Identifikation unerlässlichen Daten. Die medizinischen Informationen bleiben dagegen wie bis anhin dezentral auf den Datenbanken der Leistungserbringer.
Die Daten können sowohl vom Patienten wie vom Gesundheitsfachpersonal im Netz abgerufen werden. Die Gesundheitsfachleute haben jedoch nur Zugriff darauf, wenn beide Karten gleichzeitig in das Lesegerät eingeführt werden. (fis)

Unterschiedliche Karten im Gesundheitswesen

Versichertenkarten: Verschiedene Schweizer Krankenversicherer stellen bereits Versichertenkarten aus. Meist handelt es sich um Karten mit Magnetstreifen, die ausschliesslich administrative Informationen enthalten und die Abrechnung erleichtern.
Gesundheitskarten: Darunter werden Chip-Karten verstanden, auf denen patientenspezifische, medizinische und Notfalldaten gespeichert sind. Bereits heute werden sie bei bestimmten Krankheiten eingesetzt (z.B. Diabcard bei Diabetes).
Zugriffskarten: Diese erlauben den Zugriff auf medizinische Daten, die auf einem Server liegen. Dank der Vernetzung medizinischer Datenbanken via Internet können die medizinischen Daten in den Arztpraxen, Spitälern und Laboratorien bleiben und werden dort bei Bedarf abgerufen.
Die auf einer Karte gespeicherten Daten müssen so nicht laufend aktualisiert werden. Anderseits sind die Sicherheits- und Zugriffsprobleme umstritten. Viele Fachleute geben daher dennoch einer Chip-Karte mit Authentifizierungstechnologie den Vorzug.


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