Anarchie im E-Government

Im Schweizer E-Government wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Spardruck, Ahnungslosigkeit auf Behördenebene, fehlende Gesetze und die föderalistische Struktur der Schweiz bremsen das Wachstum nach wie vor.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2005/14

     

In den Gemeinden herrscht auf allen Verwaltungsstufen noch immer generell Unklarheit darüber, was E-Government überhaupt ist, welches Potential es hat, wo es Nutzen stiften kann und was unter seiner Umsetzung zu verstehen ist. Zu diesem Schluss kommt der Arbeitsbericht Nummer 8 «Vademecum E-Government» des Kompetenzzentrums E-Government der Berner Hochschule für Wirtschaft und Verwaltung und der NOVO Business Consultans AG.
Während die Kantone zumindest bereits mit der Umsetzung von E-Government-Projekten beschäftigt sind, stehen vor allem die Landgemeinden noch immer in der Phase der Orientierung. Hier dürfte ein grosses Potential für Anbieter von E-Government-Lösungen liegen, wenn sie sich persönlich in die Gemeinden begeben, um Aufklärungsarbeit zu leisten. Die Studienverfasser empfehlen, den Betroffenen in den Verwaltungen und Behörden Wissen zu ganz konkreten, für sie und ihre Verwaltungseinheit relevanten Problemstellungen zu vermitteln.
Budgetstreichungen – eines der Haupthindernisse für E-Government auf kantonaler Ebene – gefährden den Erfolg von E-Government-Lösungen ebenfalls. Um Betriebskosten mit E-Government langfristig zu senken, sind zuerst relativ hohe Investitionen erforderlich, wofür in der heutigen Finanzlage von Bund und Kantonen keine Budgets zur Verfügung gestellt werden. Ein weiteres Problem stellt die Vielfalt der Applikationen dar. Diese sei so gross, dass sie durchgängige Transaktionen verhindere und zu teuren Systemintegrationen führe.

Identifikationsprobleme

Ausserdem gibt es noch kein Identifikations- und Authentifizierungsverfahren, das sowohl den Datenschutz- als auch den Sicherheitsanforderungen genügt. Viele E-Government-Anwendungen können heute aufgrund bestehender Regelungen oder fehlender rechtlicher Grundlagen noch nicht umgesetzt werden. Der Einsatz von Anwendungen zum Beispiel für das ausschliesslich elektronische Einreichen der Steuererklärung und das Bezahlen der Steuern oder das Wählen via Internet scheitert heute nicht etwa an den technischen Möglichkeiten, sondern an den hohen Sicherheitsanforderungen und/oder am Datenschutz. «E-Government funktioniert eigentlich in einem juristisch luftleeren Raum», heisst es im Bericht.
Für Transaktionen und die Übertragung von sensiblen Personendaten ist die eindeutige Identifikation der entsprechenden Person unabdingbar. Grundlage hierfür wiederum wäre die Einführung einer elektronischen Identitätskarte (eID). In der Schweiz wurde dieses Vorhaben aber auf Eis gelegt.
Gerade in diesen Bereichen wäre es Aufgabe des Bundes, eine führende Rolle zu übernehmen. Doch wie in früheren Studien bereits bemängelt, fehle noch immer eine durchgängige Strategie Bund-Kantone-Gemeinden-Bürger/Privatwirtschaft. Zudem konzentriere sich der Bund zu wenig auf seine Führungsrolle in übergeordneten E-Government-Projekten.

Interne Probleme

Doch auch innerhalb der Behörden gibt es diverse Probleme, die E-Government-Projekte verhindern oder scheitern lassen. Zum einen führt die föderalistische Verwaltungsstruktur mit grosser Autonomie zu «Gärtlidenken» ohne Gesamtprozesssicht. Unkoordiniertes Vorgehen und fehlende Kommunikation verhindern Synergienutzungen. So sei es an der Tagesordnung, dass mehrfach evaluiert, entwickelt und umgesetzt werde. Als schwierig erweise sich auch die Ablösung bestehender Applikationen (Investitionsschutz). Bestehende Lösungen sind nicht austauschbar zwischen den verschiedenen Organisationseinheiten. Die dezentrale Datenhaltung ist ein weiteres akutes Problem und wird auch mit der geplanten Registerharmonisierung nicht gelöst werden, sagt die Studie. Die Registerharmonisierung wiederum führt zum Abbau der Gebühren und damit zum Widerstand der betroffenen Dienststellen.
Oft stehen künftige E-Government-Nutzer den Projekten grundsätzlich ablehnend gegenüber: Zum einen lasse der Erfolg von E-Government-Projekten zu lange auf sich warten. Zudem sei der Leidensdruck zu Veränderungen nicht gross genug, um tatsächlich ein derartiges Projekt anzugehen. Der Nutzen ist primär über Personalabbau erreichbar, was zu Ängsten führt. Wenn mit einer E-Government-Anwendung Zuständigkeiten, Organisationsstrukturen oder Arbeitsabläufe neu geregelt werden sollen, stösst das Projekt auf Widerstand.
In laufenden Projekten sind die Entscheidungsträger in Verwaltungen hinsichtlich E-Government-Fragen oft nicht kompetent. Nicht selten kommt es vor, dass die Führungsebene E-Government-Projekte an irgendwelche Interessierte intern delegiert, sich dann aber kaum mehr darum kümmert. Die Projekte erhalten somit eine nicht mehr zu kontrollierende Eigendynamik oder versanden ganz.

Kritik an den Anbietern

Auch die Anbieter werden von der Kritik nicht verschont: Externe IT-Partner können sich zu wenig in die Verwaltungsprozesse eindenken, heisst es. Vor der Entscheidung für ein Projekt würden zudem Prozesse nicht sauber analysiert. So werde die IT-Machbarkeit zu stark gewichtet, statt der Beurteilung der Umsetzbarkeit der Prozesslösung Aufmerksamkeit zu schenken. E-Government-Lösungen würden zudem zu wenig zukunftsorientiert konzipiert. Das fehlende strategische Interesse von Software-Anbietern erschwere zudem die Zusammenarbeit mit diesen. Auch vorhandene Standards werden nicht beachtet. Wiederkehrende Betriebskosten werden massiv unterschätzt (Unterhalt der Systeme, CMS...), weil sie nicht klar definiert würden und zu hoch angesetzt werden. (sk)


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