Der Retail wird für die Schweizer Distributoren immer wichtiger

Der Retailmarkt ist für Distributoren interessant, stellt aber hohe Anforderungen an die Lagerverwaltung und den Service.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2005/21

     

Die Bedeutung der Retailer im IT-Markt steigt. Geräte und Zubehör finden den Weg zum Endkunden immer öfter über Discounter und Grossverteiler. Selbst Fachhändler sollen hie und da die günstigen Angebote im Retail nutzen.
Insbesondere für die Broadliner unter den Distributoren gewinnt der Retail zusehends an Bedeutung. Massimo Gheno, Retail Account Manager bei Ingram Micro: «Vor sechs Jahren war Retail für die meisten Distis noch ein Fremdwort. Heute drängen alle ins Geschäft, denn es ist das einzige, das zurzeit noch wächst. Wir selber sind seit drei Jahren dabei.» Den Retail-Anteil am Gesamtumsatz von Ingram Micro schätzt er auf derzeit rund 15 Prozent.
Hans-Peter Weiss, Managing Director Frontoffice bei Actebis, mag zwar keine Zahlen nennen, betont aber, dass der Markt für Actebis sehr wichtig sei. Der Retail-Verantwortliche von Also, Eric Kuhn, weist seinerseits darauf hin, dass der Retail-Anteil saisonal stark schwanke: «Im Sommer sind es weniger als 20 Prozent. Beim Weihnachtsgeschäft macht er gut und gern 30 Prozent aus. Durchschnittlich dürfte er bei einem Viertel unseres Gesamtumsatzes liegen.»
Das Retail-Geschäft sei allerdings nicht einfach, erklärt Kuhn. Es bringe zwar grosse Volumina, aber auch Kosten und hohe Anforderungen an die Lagerverwaltung und den Service: «Wer das nicht richtig aufgleist, bekommt schnell Probleme.»

Keiner wie der andere

Kein Retailer sei wie der andere, meint Weiss, der bei Actebis als Geschäftsleiter für Einkauf, Marketing und Verkauf verantwortlich zeichnet. Grundsätzlich lässt sich zwischen Retailern unterscheiden, die zentral organisiert sind, und anderen, deren Filialen oft kaum mehr als das Logo gemeinsam haben. Zentral verwaltete Retailer sind einfacher zu bedienen. Das haben auch die Hersteller gemerkt. Immer öfter neigen sie dazu, diese direkt zu betreuen.
Manche Retailer wie Interdiscount oder Fust verfügen über eigene Lager. Andere dagegen können selbst in grossen Filialen keinen Platz dafür erübrigen. Hier muss die Lieferung «just-in-time» erfolgen. «Das Geschäft mit dem Retail und die immer kürzeren Produktzyklen verändern die Geschäftsmodelle und Angebotsstrukturen», erklärt Gheno. «Vor allem bei dezentral organisierten Retailern übernimmt der Broadliner Beschaffung, Bevorratung, Orderprocess, Lieferung, Faktura und die Abwicklung der Retouren.»
Die Marktmacht der grossen Retailer beeinflusst auch die Preisgestaltung. Das setzt die Distis zusätzlich unter Druck. Es wundert daher nicht, wenn immer wieder von Mischrechnungen und Quersubventionierungen die Rede ist. Da die Hersteller jedoch am Retail interessiert sind, um ihren Brand bekannt zu machen, sind sie meist auch bereit, vernünftige Konditionen zu gewähren.

Aktionen als Herausforderung

Typisch für den Retail-Handel sind häufige Aktionen. Die Anregung dazu kann, wie Weiss sagt, vom Hersteller, vom Retailer, aber auch vom Distributor ausgehen: «Wir haben festgestellt, dass man als Disti dann am erfolgreichsten ist, wenn man auch selber einmal die Initiative ergreift und eigene Ideen entwickelt. Natürlich geht das meist nur, wenn man den OEM mit ins Boot kriegt.»
Viele Produkte für den Retail-Markt haben einen extrem kurzen Lifecycle. Da gibt es oft bis zu viermal im Jahr neue Modelle, die zwei bis dreimal intensiv beworben werden und dann bereits wieder auslaufen. Vom Hersteller aufgrund seiner Produkte-Roadmap anberaumte Werbetermine verlangen, wie die längerfristig geplanten Aktionen vom Distributor, dass er hohe Stückzahlen mit grosser Pünktlichkeit liefert. Also etwa hat dafür, wie Kuhn berichtet, in seinem Lager eine schnelle Rüstzone eingerichtet. Als «Schnelldreher» bekannte Artikel werden dieser automatisch zugeordnet. «Die meisten Produkte für den Retail gehören zu dieser Kategorie. «Bei Neuheiten», so Kuhn, «müssen der Produkt-Manager und der Retail-Verantwortliche erkennen, was zu erwarten ist, um die Zuteilung manuell vorzunehmen.»
Also übernimmt auch logistische Sonderleistungen wie Bundlings und die Etikettierung samt EAN-Code. «Wichtig ist, dass das Retailgeschäft mit effizienten Strukturen abläuft», sagt Kuhn. «Bei grossen Retailern wie Migros und Manor erfolgt die Bestellung bereits voll elektronisch. Bei anderen ist das im Tun.» Distributoren stellen oft auch die E-Business-Tools zur Verfügung, mit denen der Retailer übersehen kann, was zurzeit lieferbar ist.

Mehr Retouren als im Fachhandel

Deutlich höher als im Fachhandel liegt beim Retail, wie allgemein festgestellt wird, die Zahl der Retouren. Wegen der tiefen Preise und Margen ist bei Reklamationen eine technische Überprüfung für den Retailer zu aufwendig. Meist wird das beanstandete Teil daher diskussionslos ersetzt und vom Distributor eine Gutschrift verlangt. Gheno: «In der Schweiz ist der Kunde im Vergleich mit anderen europäischen Ländern eben immer noch König. Diese Kultur leben auch die Retailer. Das ist gut für die Kunden, erhöht aber den Druck auf den Distributor. Wir sehen darin aber auch eine Chance, zusammen mit den Herstellern ein klares Bekenntnis zum Retail-Kanal abzugeben.» Und Weiss betont: «Bei Retouren sind schnelle und kostengünstige Prozesse matchentscheidend. Wir bei Actebis suchen das Handling bei den Retouren so schlank als möglich zu halten und für alle Hersteller zu vereinheitlichen.» Allerdings kommen Retouren, wie er klagt, oft nicht im allerbesten Zustand zurück: «Da bleibt uns nichts anderes übrig, als die Ware abzuschreiben oder intern zu verwerten.»
Für die überdurchschnittlich vielen Retouren wird oft das fehlende Fachwissen im Einzelhandel verantwortlich gemacht. Weiss warnt jedoch davor, das Know-how der Retailer zu unterschätzen. Auf Managementstufe finde man eine hohe Professionalität und oft internationale Erfahrung. Und auch in den Läden hänge die Kompetenz weniger vom Retailer als vom einzelnen Verkäufer ab. Da handle es sich aber meist sowieso um Produkte wie Notebooks, Drucker, MP3-Player und Digicams, die keinen besonders hohen Erklärungsbedarf hätten. «Grundsätzlich», hält er fest, «haben wir es im Retail mit Leuten zu tun, die nicht weniger kompetent sind als im Fachhandel.» (fis)


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