Niklaus Wirth - Der Computerpionier

ETH-Professor Niklaus Wirth hat mit Verstand und Ingenieursgeschick die Informatikgeschichte geprägt. Er studierte am Geburtsort der Informatik, erfand Sprachen wie Pascal und baute einen der ersten Desktop-Rechner mit Maus und GUI. Der Computerpionier ist seit 1999 pensioniert, aber noch aktiv.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2007/17

     

Die Kunst der Einfachheit ist nicht nur der Titel des Buches über die Schule des Niklaus Wirth. Seine Kunst ist auch die Forschung an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Mit der Erfindung und Verbreitung von Pascal hat Wirth Informatikgeschichte geschrieben und die Programmierkunst zur Ingenieurstätigkeit verändert. Er führte auch die Feststellung seines Kollegen Martin Reiser zur Berühmtheit, dass Software schneller langsamer wird als Hardware schneller wird. «Man muss sich nur mal anschauen, wie gross und grösser die modernen Betriebssysteme werden - was ist da los? Software ist viel zu billig gemacht; der Entwickler muss nichts mehr überlegen, und es wird einfach Code dazugeworfen.»

Von Ingenieurskunst zum Computer

Wirths Drang nach Einfachheit in komplexen Themen der Computerforschung und -anwendung entsprang seiner Faszination für Technik. Neben Pascal (1968-1972) zählt er auch die Workstation Lilith (1977-1981) zu seinen grössten Leistungen. Wirth (mit Jahrgang 1934) entfaltete seinen Drang mit 34 Jahren an der ETH Zürich, die ihm 1968 eine Professur der Informatik anbot. Ihm, der zehn Jahre zuvor nach Nordamerika auswanderte, frisch verheiratet und mit dem ETH-Abschluss in Elektrotechnik, der eigentlich nach einem Jahr unbezahlten Urlaubs an die Universität Stanford zurückkehren wollte. «Ich stand vor der wichtigsten Entscheidung meines Lebens», sagt Wirth heute. «Meine Frau war damals wie heute die wichtigste Stütze.» Als gelernte Kindergärtnerin habe sie gearbeitet und den Haushalt besorgt. «Sie hat meine Karriere erst ermöglicht», sagt der 73jährige Vater von drei erwachsenen Kindern heute.

Der Auszug in die neue Welt

Die Wirths zogen 1959 aus in die Welt und über den Ozean, um etwas Neues kennenzulernen. Schon als kleiner Bub ist Niklaus Wirth fasziniert von der Eisenbahn, liest in technischen Büchern seines Vaters und baut Modellflugzeuge. Chemie und Mathematik fesseln den jungen Niklaus. Erstmals hat er an der ETH von Computern gehört, an einer Vorlesung des ERMETH-Bauers Ambros P. Speiser. «Da war mein Inter­esse geboren.» An der Naval Univer­sity in Kanada schloss Wirth 1960 den Master-Lehrgang (M. Sc.) ab. Dort gab es einen Computer, der aber die meiste Zeit ausser Betrieb war. Direkt mit Computern hatte Wirth bis da nichts zu tun gehabt. Das änderte sich, als er sich 1960 an der Universität von Kalifornien in Berkley einschrieb.
Das Glück hat ihn in der fernen Heimat nicht verlassen: «Wir fanden eine kleine schöne Wohnung in San Francisco, mit Blick auf die Golden Gate Bridge.» Es sei keine einfache Zeit gewesen. «Wir hatten viele Freiheiten, waren aber komplett auf uns gestellt. Da lernte ich mich durchzukämpfen. Ein Stipendium der Ford Foundation ermöglichte uns ein erstes Auskommen.

Goldene Jahre in Kalifornien

In Berkley lernte Wirth wie Compiler funktionieren, speziell Algol-60. «Die Vorteile einer solchen Sprache waren offensichtlich, und die Aufgabe eines automatischen Übersetzens von Programmen in Maschinen-Code enthielt herausfordernde Probleme. Somit konnte es nichts Besseres geben für eine Dissertation.» So begann Wirths Abenteuer in Programmiersprachen.
1963 ging er nach Stanford. Seine dort entwickelte Methode spielte eine Schlüsselrolle in der Implementierung von Hochsprachen auf Mikrocomputern. Sein Vorschlag eines Nachfolgers für die damals verbreitete Sprache Algol-60 wurde allerdings 1966 vom zuständigen Komitee (IFIP) abgelehnt. Später implementierten viele Universitäten eine von Wirth leicht modifizierte Variante als Algol-W auf IBM-360-Computern.

Familie und Forschung in Zürich

Wirth löste sich 1967 von den Zwängen der Arbeitsgruppe an der Uni Zürich. Es war die Zeit der grossen Entscheidung. «Um eine Familie mit Kindern zu gründen, suchten wir Stabilität; als der Entschluss zur definitiven Rückreise nach Amerika bereits stand, klang der mir angetragene ­Aufbau eines selbständigen ETH-­Informatik-Studienganges sehr ver­lockend.» Es sollte bis zur Gründung aber noch bis 1981 dauern. «Ich bin keine Kämpfernatur; somit widmete ich mich lieber der Forschung», sagt Wirth.
Seine Lehrtätigkeit führte zu einer Reihe von Büchern, die heute Klassiker sind. Zweimal ein Jahr (1976/85) war er im renommierten Palo Alto Research Center von Xerox. Dort sah er erstmals den revolutionären Alto-PC – den ersten Desktop-Rechner. «So etwas musste ich auch haben.» Die Inspiration führte ihn zurück zu der Hardware-Entwicklung (Lilith, Ceres). ­«Lilith hatte Maus, Windows und ­Interaktivität (Netzwerk) fünf Jahre vor dem MacIntosh und war dem IBM-PC weit voraus. Das war der Beweis, dass es ging.» Ganz nach seinem Credo: «Besser, sicherer – ­alles eine Frage der Effizienz.»
Für Ceres-Computer 1-3 (1984-1990) und Oberon (1986-1990) befreite ­Wirth gemeinsam mit Jürg Gutknecht Sprache und System des PC von Altlasten der Grosscomputer. Danach widmete er sich integrierten Schaltungen. Für Wirth begann seine Karriere in den 1960er-Jahren in Kalifornien - am damaligen Nabel der Informatik. So ist er heute überzeugt: «Für mich ­waren das die goldenen Jahre.» (mro)

Niklaus Wirth

Niklaus Wirth diplomierte 1959 als Elektroingenieur an der ETH und studierte an der Université Laval (Can). Er doktorierte 1963 an der University of California in Berkeley mit Hilfe eines Stipendiums der Ford Foundation bei Professor H. D. Huskey. Von 1963 bis 1967 lehrte er als Assistenzprofessor an der Stanford University und danach an der Universität Zürich. 1968 wurde er zum Professor für Computerwissenschaf­ten an die ETH Zürich gewählt. 1970 definierte er die Sprache Pascal, 1980 Modula-2 und 1988 Oberon. Er ist Konstrukteur des Rechners Lilith, 1986 des Rechners Ceres. Später befasste er sich mit dem Bau von Werkzeugen für den Schaltungsentwurf mit programmierbaren Bauteilen. Niklaus Wirth ist Mitglied der Association for Computing Machinery (acm), der Computer Society (IEEE), der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW), der US National Academy of Enginee­ring, der Berlin-Brandenburgischen Akademie und des Ordens Pour le mérite. Er ist Ehrendoktor der Universitäten von York, Linz, Laval (Quebec) und Nowosibirsk, der Open University sowie der ETH Lausanne. 1984 erhielt er den acm Turing Award und 1987 den Computer ­Pioneer von IEEE.


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