Erinnerung an eine Ewigkeit

Zehn Jahre sind in der IT-Branche eine kleine Ewigkeit. Als der erste «IT Reseller» erschien, eroberten eben die Pentium-Prozessoren mit einer Taktrate von 233 Megahertz und die ersten Flachbildschirme die Arbeitsplätze, war Apples farbiger iMac der meistverkaufte Rechner und ging Google an den Start.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2008/16

     

Sonderbar, wenn man versucht, sich zu erinnern: zwischen 1998 und heute scheinen ganze Welten zu liegen. Intel lancierte im Jahr der Lancierung des IT Resellers gerade den Pentium II mit einer Taktrate von 233 MHz. Die neue Prozessorarchitektur ermöglichte in der Folge einen Sprung in neue Leis­tungsdimensionen. Im Lauf der nächsten Jahre sollte die Taktrate auf über 3 GHz steigen. Während der Pentium II noch in 250nm-Technologie gefertigt wurde, brachte bereits die Jahrhundertwende die Umstellung der Produktion auf 180nm, ein Jahr später auf 120nm und 2004 auf 90nm. 2006 folgte der Wechsel auf die 65nm-Fertigungstechnik und im letzten Jahr schliesslich auf 45nm. Entgegen aller Voraussagen scheint das Moore’sche Gesetz noch gültig. Ausserdem arbeiten selbst Desktop-Prozessoren mittlerweile meist mit mehr als einem Kern. Die Software ist daran, sich auch dies vermehrt zunutze zu machen.


Oder wer denkt noch an die analogen Modems, die damals eine Verbindung zum Internet über die Telefonleitung mit Blinken und Pfeiftönen anmeldeten? Auch die neuen ISDN-Modems waren nach heutigen Massstäben nicht gerade pfeilschnell. Wegen der endlosen Ladezeiten meinten Spötter, WWW (Word Wide Web) stehe für «World Wide Waiting». Dabei waren die Webseiten noch weitgehend statisch. Animierte Gif-Bildchen und vielleicht einmal ein briefmarkengrosses, stotterndes Video ohne Ton waren das Höchste der Gefühle. Breitbandigere Verbindungen, die dem Internet multimediale Möglichkeiten eröffneten, brachte erst das neue Jahrtausend.

Der Internet-Boom

Mitte der Neunzigerjahre hatte das am Cern entwickelte World Wide Web das Internet erstmals über die Universitäten hinaus populär gemacht. Immer mehr Interessenten verlangten eine Internet-Adresse. In den USA wurde als eine Art Internet-Parlament die Icann (Internet Corporation for Assigned Names und Numbers) gegründet. Sie ist weltweit für Domain Name Server und das Root Server System zuständig.

1998 war das Internet dann bereits in aller Munde. E-Business gewann zusehends an Bedeutung. Jeder, vom Futtermittelanbieter bis zum Schokoladefabrikanten, wollte dabei sein. Jeder Tag brachte neue, internetbasierende Anwendungen. Der Internet-Boom stand in voller Blüte und die Anhänger der New Economy verkündeten lauthals, in einer Informationsgesellschaft gelte die Regel nicht mehr, dass der Mangel den Wert einer Ware in die Höhe treibe. Im Gegenteil, sie würde desto wertvoller, je weiter sie verbreitet sei. Mit anderen Worten: Umsatz komme vor dem Profit. Internetfirmen wie Amazon und Ebay und unzählige Startups wurden an der Börse zu scheinbar automatisch laufenden Geldmaschinen.


Fantastische Vorstellungen kursierten, etwa von weltweiten virtuellen Marktplätzen, die Anbieter und Käufer des globalen Dorfes zusammenführen und in einem künftigen Milliardengeschäft mit jeder Transaktion Geld für die Betreiber abwerfen würden. In all dem Getöse ging beinahe unter, dass soeben zwei junge Doktoranden, Larry Page und Sergey Brin, mit einer neuentwickelten Internet-Suchmaschine namens Google online gegangen waren.

Geschäftlich endete der Tanz auf dem Vulkan bekanntlich zu Beginn des neuen Jahrtausends in einem Riesenkater. Von den technischen Entwicklungen jener Jahre jedoch ist vieles geblieben. Internet-Standards und Browser bilden heute die Grundlage praktisch jeden Netzwerks, E-Business wurde, wenn auch nicht in den damals erträumten Formen, zu einer Selbstverständlichkeit, und die Betreuung von Kunden und einer weltweiten Lieferkette ist ohne das Internet kaum noch denkbar.

Windows & Co.

Bill Gates, der erst relativ spät auf den Internet-Zug aufsprang, bewies, dass man in der IT auch anders Geld machen konnte. Der «reichste Businessman» von 1998 dominierte die PC-Welt. An Microsoft Windows kam niemand vorbei. Der 1998 meistverkauften PC lief allerdings unter einem anderen Betriebssystem: der iMac von Apple beeinflusste mit seinem halbdurchsichtigen Design die IT-Mode auch später noch über Jahre. Mit dem gestylten All-in-One hatte sich der zweite Wunderknabe der Branche, Steve Jobs, zurückgemeldet. Nach seinem Next-Abenteuer und dem Erfolg von Pixars Toy Story war er als iCEO zu Apple zurückgekehrt. Das «i» steht hier einmal nicht für «Internet», sondern für Interims CEO. Aber es sind ja bekanntlich die Provisorien, die überdauern. Jobs regiert Apple noch heute.

Das dritte Betriebssystem, das zusehends ins Gespräch kam, war Linux. Eine Gruppe von Programmierern hatte eben damit angefangen, eine grafische Benutzeroberfläche für das Open-Source-Betriebssystem zu entwickeln. Zwar schien Linux den Geschäftsanwendern trotz der wachsenden Zahl von Apache-Webservern immer noch suspekt. Doch IBM, Compaq und Oracle hatten bekanntgegeben, dass sie in Zukunft auch das offene Betriebssystem unterstützen wollten. Insbesondere IBM hat dieses Commitment schon bald mit umfangreichen Projekten bestätigt. Das sollte nicht ohne Folgen für die Verbreitung von Linux und des gesamten Open-Source-Modells bleiben. Andere folgten. Ein paar Jahre später etwa kaufte Novell die deutsche Suse-Linux-Distribution und erklärte sich zur Open-Source-Company.


Mit Windows 98 fällt der Marktanteil des bisher dominierenden Browsers, Netscape Communicator, erstmals hinter Microsofts Internet Explorer zurück. Es ist das Zeichen an der Wand: Der vielbesprochene «Browserkrieg» endet bald darauf mit einem praktisch vollständigen Sieg der Marktmacht von Microsoft. Netscape wird in ein offenes Projekt namens Mozilla überführt, dem kaum jemand eine Chance gibt. Doch 2005 wird daraus der Browser Firefox hervorgehen und sich aufs Neue einen Platz an der Sonne erobern.

Alarm im Cyberspace

Neue Technologie und breitbandigere Anschlüsse machen das Internet in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts bereit für Multimedia-Anwendungen. Der 19-jährige Shawn Fanning nutzt die Pear-to-Pear-Technologie, um eine Musiktauschbörse für MP3-Songs zu etablieren. Der Erfolg von Napster reizte die Musikindustrie bis zur Weissglut. Unter dem Druck der CD-Industrie und nach einer gescheiterten Übernahme durch Bertelsmann musste Napster Konkurs anmelden. Doch mit Napster war erstmals klar geworden, welche Faszination digitale Musik im Netz auf die Konsumenten ausübt. Die Musikindustrie suchte sich noch lange gegen diese Erkenntnis zu sperren und setzte hauptsächlich auf Prozessdrohungen und immer neue Kopierschutzmechanismen. Apple dagegen zeigte mit iTunes und dem iPod, wie man Musik und bald darauf auch Filme friedlich und erfolgreich im Internet vermarkten kann. Es war der Beginn von Apple als Lifestyle-Company.


Erstmals wurde die breite Öffentlichkeit auch mit den Gefahren des Cyberspace konfrontiert. Das «I love you»-Virus richtete weltweit beträchtlichen Schaden an und füllte die Spalten nicht nur der IT-Presse. Bald folgten die ersten Denial-of-Service-Angriffe auf Amzon, Ebay und andere. Der Täter, ein 15-jähriger Kanadier, wird zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Der Fall zeigte jedoch, wie einfach es mittlerweile geworden war, im Internet Werkzeuge zu finden, mit deren Hilfe sich ohne grosse Progammierkenntnisse bösartige Angriffe starten lassen. Ausserdem setzten die Cyber-Kriminellen auf immer neuere Methoden wie «Social Engineering», «Phishing» und immer raffiniertere Trojaner. Spam und Adware begann das Internet zu überschwemmen. Gleichzeitig kam aber auch die Notwendigkeit von Security-Massnahmen stärker ins Bewusstsein zumindest der Geschäftsanwender. Die Terroranschläge am 9. September 2001 taten ein Übriges dazu. Es entstand eine ganze Sicherheitsindustrie, die weit mehr bietet als den Verkauf von Firewalls. Und bei den IT-Verantwortlichen hat Security und Datenschutz mittlerweile hohe Priorität.

Das Geschäft erholt sich

Wie mies die Stimmung in den ersten Jahren nach der Jahrhundertwende war, zeigt sich am DRAM-Umsatz 2001, der gemäss Marktbeobachtern weltweit von 35 Milliarden Dollar auf 14 Milliarden absackte. Ein Aufschwung, so unkten die Auguren, sei frühestens 2003 zu erwarten.

Apple bringt sein Unix-System X und Microsoft Windows XP. Auf den IBM iSeries läuft Linux. Doch im Ganzen sind es flaue Jahre, auch wenn Gartner bekannt gibt, dass im April 2002 der milliardste PC verkauft wurde. 81,5 Prozent aller Rechner seien Desktop-Maschinen, nur gerade 16,4 Prozent Notebooks und 2,1 Prozent Server. Heute hat sich das Verhältnis zwischen Desktop und Notebooks praktisch gekehrt. Und ohne Server läuft heute sowieso nichts mehr. In den Folgejahren geht es wieder sachte aufwärts. In Zusammenhang mit ihren Lieferketten- und Logistik-Management-Systemen und mit Ladensystemen für den Retail-Handel propagieren die Anbieter das berührungslose Lesen und Speichern von Kenndaten mittels RFID (Radio Frequency Identification). Dagegen wehren sich Konsumentenorganisationen lautstark, aber oft mit Argumenten, die mehr von Emotionen zeugten als von Wissen um die Technologie. Heute ist es um RFID wieder ruhiger geworden.


Mit dem Powermac G5 stellt Apple 2003 den ersten 64-bit-Desktoprechner vor. Die Aussage der Marketingabteilung, dies sei der schnellste PC der Welt, führt allerdings zu Rechtsstreitigkeiten. Der G5 wird der letzte Power-PC-basierte Macintosh sein. Die Nachfolgemodelle sind mit Intelprozessoren bestückt.

Die Arbeit wird mobil

Ab 2005 wird der mobile Arbeitsplatz mit Internetverbindung per Funk für immer mehr Beschäftigte zum Alltag. Besass 1998 jeder vierte Schweizer ein Handy, so sieht man heute kaum noch jemanden ohne Smartphone zum Lesen von E-Mail, Fotografieren, Musikhören und wenn man will auch zum SMSlen und Telefonieren. Handy-Business und -Banking dagegen setzt sich, nicht zuletzt aus Sicherheitsüberlegungen, nicht durch, und Wap, die einst hoch-gelobte Technologie um Internetinhalte auf Mobilephone zu bringen, wird weitgehend durch Browsertechnologie ersetzt.
Aber der Trend zu immer mehr Gadgets und Design ist unübersehbar. Der derzeitige Run auf das iPhone ist ein deutlicher Ausdruck dieser Tendenz. Überhaupt gewinnt die Konvergenz von IT-Technologie und Unterhaltungselektronik ständig an Bedeutung. Seit zwei Jahren dominieren das digitale Heim und elektronisch aufgemotzte Innenräume im Auto die Funkausstellungen und IT-Messen. Zumindest GPS setzte sich rasch durch und die Fusballweltmeisterschaft von 2006 verhalf auch der HDTV-Technologie und den TV-Flachbildschirmen zum Durchbruch.

Im Business-Bereich scheinen sich serviceorientierte Architekturen und Software as a Service - beides seit Jahren im Gespräch - langsam durchzusetzen. Der eigentliche Hype zehn Jahre nach Erscheinen des ersten IT Resellers aber ist «Green IT». Kein Anbieter, der angesichts abschmelzender Gletscher ohne diese Auszeichnung seiner Produkte auskommen will. Ein bisschen weniger Stromverbrauch und eine schadstoffärmere Produktion können ja unserer Welt tatsächlich nicht schaden.


Ach ja, fast wäre es vergessen gegangen: Letztes Jahr kam das lang angekündigte Windows Vista in fünf verschiedenen Versionen auf den Markt. Windows lebt weiter, auch wenn sich Bill Gates mittlerweile lieber der Wohltätigkeit als der IT widmet. (Andreas Fischer)


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