AWS: Der Schweizer will’s genau wissen
Quelle: AWS

AWS: Der Schweizer will’s genau wissen

Die Schweizer Rechenzentren von AWS haben gerade ihren ersten Geburtstag gefeiert. Christoph Schnidrig, Head of Technology bei AWS Schweiz, zieht Bilanz.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2023/12

     

«Swiss IT Reseller»: Herr Schnidrig, AWS Schweiz hat Geburtstag, Sie sind seit einem Jahr mit eigenen Datacentern in der Schweiz vertreten.
Christoph Schnidrig:
Genau, wird sind jedoch schon seit 2017 mit Infrastruktur, genauer mit Netzwerkzugang und Content Distribution, in der Schweiz vertreten.

Wenn Sie auf dieses Jahr zurückschauen – hatten Sie einen guten Start?
Ja! Viele haben drauf gewartet, wir auch (lacht). Die Rechenzentrumsregion Schweiz ist ein bisschen mein Baby – ich bin seit 2019 und damit seit dem Business Case dabei und nach wie vor die technische Ansprechperson für die Region.


Gibt es bezogen auf die Schweiz aus diesem Jahr bestimmte Learnings, die herausstechen?
Die Schweiz ist sicher in einem Punkt speziell: Man will es sehr genau wissen und Vertrauen aufbauen. Und das schafft man, indem man mit ihnen ins Detail geht. Am Beispiel der Strommangellage: Die Kunden kamen auf uns zu und wollten genau wissen, wie wir die Versorgungssicherheit gewährleisten. Es gab auch Gespräche, in denen wir das detailliert erklärt haben und sich der Kunde dann sogar dazu entschieden hat, gleich eine komplette Migration auf AWS zu vollziehen. Das gehört meiner Erfahrung nach zum Deep Dive ins Cloud-Thema: Vielleicht ist man bezüglich Cloud Services erst vorsichtig, aber wenn ein Kunde tiefere Einblicke bekommt, kann das ein Grund zum Wechsel sein.

Ehrlicherweise ist das ja ein Eingeständnis, welches man als Kunde trotz kritischem Blick auf die Cloud machen muss: Man hat selbst schlicht nicht die gleichen Ressourcen wie der Cloud-Anbieter. So etwa auch beim Stichwort Security.
Viele glauben, dass sie – bildlich gesprochen – auf den Daten sitzen können und sie dann sicher sind. Und das, obwohl es auf von Regulatoren- oder Compliance-Seite wenige Vorschriften zur Datenhaltung in der Schweiz gibt. Darüber hinaus wird die Public Cloud wegen dem Begriff «Public» damit assoziiert, dass jeder darauf zugreifen kann. Aber so ist das natürlich nicht. Die Security Features sind aber in der Tat beeindruckend, da hat man als Unternehmen oder kleinerer Anbieter kaum eine Chance mitzuhalten.

Wie hat sich seit dem Start mit den eigenen Rechenzentren die Arbeit mit dem Channel, also den Partnern und Distributoren, verändert?
Der Channel sucht grundsätzlich enge Zusammenarbeit und Verlässlichkeit. Vorderhand ist seit der Eröffnung der AWS-Infrastrukturregion in der Schweiz die Nachfrage gestiegen. Die gleiche Beobachtung machen Partner und geben die Rückmeldung, dass es nun für sie sehr viel einfacher ist, mit ihren Kunden ins Gespräch zu kommen.


Dass sich in der Schweiz viel um Bauchgefühl, Vertrauen und Betreuung in Landessprache dreht, hört man im Channel ja immer wieder.
Diesbezüglich ist das Commitment von AWS in der Schweiz sicher auch tragend. Wir werden bis 2036 5,9 Milliarden Franken in die Schweizer Infrastruktur investieren, was innerhalb der ganzen Supply Chain der AWS-Rechenzentren im Schnitt 2500 Jobs pro Jahr schaffen soll. Hier werden die Schweizer ihrem Ruf ebenfalls gerecht: Man zweifelt zwar, ob man das Geld wirklich einem US-Riesen geben will, es schafft aber Vertrauen, wenn man sieht, dass die Mittel der Schweiz zugutekommen.


2500 Jobs pro Jahr sind schön und gut – aber woher nimmt man die Fachkräfte? Investieren Sie diesbezüglich ebenfalls in die Branche?
Das ist uns absolut bewusst und das Finden der richtigen Leute ist auch für uns herausfordernd. Daher ist uns das Investment in die Förderung ebenfalls wichtig. Beispielsweise habe ich mich 2019 im Rahmen der Überarbeitung der Informatiker-Berufslehre selbst dafür eingesetzt, damit das Thema Cloud-Services in die Ausbildung aufgenommen wird. Weiter unterstützen wir Berufs- und Hochschulen, arbeiten mit ICT-Berufsbildung Schweiz zusammen und haben ein Programm namens AWS Academy, wo wir Accounts und Unterlagen für Schüler und Studierende zur Verfügung stellen.

Diese bieten Sie den Schulen vergünstigt an?
Nein, das ist kostenlos, aber mit einem Credit-Limit begrenzt. Fun Fact: Wenn man das nicht begrenzt, fangen die kreativen Studenten schnell damit an, Bitcoins zu schürfen oder sonst irgendwie einen Nutzen zu generieren.


Gibt es weitere Massnahmen zur Förderung von Fachkräften?
Es gibt weiter etwa ein Wiedereingliederungsprogramm für Frauen nach dem Mutterschaftsurlaub und ein Trainingsprogramm, in dem wir Geflüchtete fördern. Und natürlich stellen wir selbst Studierende ein und fördern diese mit entsprechenden Programmen.

2022 gab AWS an, etwa 10’000 Kunden in der Schweiz zu zählen. Das grosse Investment lässt darauf schliessen, dass man fleissig weiterwächst. Gibt es aktuelle Zahlen?
Global schon, gesondert für die Schweiz geben wir keine Zahlen bekannt. Aber wir publizieren natürlich Success Stories, beispielsweise zu Novartis, oder der Helvetia Group.


Einige Hersteller und Anbieter betreuen riesige Kunden wie diese per Direktgeschäft und umgehen den Channel. Betreut AWS diese Art von Kunden alleine oder mit Partnern?
Sowohl als auch. Wir haben letztes Jahr eine Partner-­First-Strategie für die Schweiz ausgerufen. Wichtig ist zu sagen, dass es zwei Arten von Partnern gibt. Jene, die von der Consulting- und Service-Seite kommen – diese waren eigentlich nie besonders abhängig von einem Hersteller, was ihre Umsätze angeht. Dann gibt es aber auch auf Infrastruktur-fokussierte Partner. Diese sind es gewohnt, ein Produkt mit hoher Marge zu verkaufen. Und dieses Geschäft verändert sich aktuell stark in Richtung Value-Add Business mit Services, Support, Consulting und dem Betrieb mit Managed Services – denn die Cloud betreibt sich im Moment noch nicht ganz alleine (lacht). Hierfür haben wir über alle Bereiche hinweg das Konzept der geteilten Verantwortlichkeit, auch Shared Responsibility Model genannt.

Wie läuft das?
Dabei werden die Teile definiert, die wir oder eben der Kunde respektive der Partner verantwortet. AWS ist beispielsweise für den Schutz der Infrastruktur verantwortlich, in der alle in der AWS Cloud angebotenen Services ausgeführt werden. Die Kundenverantwortlichkeit wird durch die AWS Cloud Services bestimmt, die ein Kunde auswählt. Dies bestimmt den Konfigurationsaufwand, den der Kunde als Teil der Sicherheitsverantwortlichkeiten bewältigen muss. Natürlich bieten wir Hand mit Best Practices, Tools und Hilfestellungen. Der konfigurierbare Teil eines Projekts ist aber immer in der Verantwortung des Kunden und hier greifen viele auf die Unterstützung von Partnern zurück.


Und dieser Teil der Verantwortung ist selbst bei den riesigen erwähnten Kunden in der Hand ­eines Partners?
Sehr oft. Es gibt natürlich auch einige dieser Kunden, die in diesem Bereich selbst viel Kompetenz aufgebaut haben. Der Partner wird aber oft auch zum Kick-Starten eines Kunden herbeigezogen und hilft dem Kunden dann das Cloud-Fundament und die Cloud-Kompetenz aufzubauen. Damit sind die Partner das Zentrum unseres Business.

Und im KMU-Geschäft läuft ausnahmslos alles über den Channel, korrekt?
Ja. Entweder hat der Kunde hierfür einen Kunden­account und der Partner verkauft seine Services dazu oder der Partner betreibt über seinen Account die Infrastruktur der Kunden. Dafür bieten wir natürlich auch Ausbildungen und Trainings für die Partner. Weiter machen wir Joint Selling Motions, gehen also gemeinsam zum Kunden. Die Implementierung, der Betrieb und der Support laufen dann oft über den Partner – er kann da die komplette Chain abdecken. Und es gibt Incentives-Programme über alle Bereiche hinweg. Natürlich abhängig davon, was der Kunde selbst übernimmt.

In der Praxis hat sich bei vielen Unternehmen das Hybrid-Modell etabliert. Wie sehen Sie das bei AWS – ist Hybrid nur eine Übergangslösung und wir steuern in eine Cloud-only-Zukunft?
Hybrid machen im Prinzip alle, die nicht als Digital Native Business bezeichnet werden können. Neu gegründete Unternehmen sind in der Regel Cloud-native und arbeiten nicht mehr mit Hybrid-­Ansatz. Daher sind viele etablierte Unternehmen, die anfangen, mit der Cloud zu arbeiten, tatsächlich hybrid unterwegs. Deshalb fokussieren wir darauf, Lösungen zu bieten, die hybrid funktionieren, aber dem Kunden auch den Weg in die Cloud oder zurück auf On-Prem ermöglichen.

Werden viele dieser Hybrid-Kunden ganz in die Cloud wechseln?
Wir gehen davon aus, dass in den kommenden Jahren nochmal viel in die Cloud bewegt wird. Aber vollständig Cloud-only wird’s vorläufig wohl nicht. In Fabriken und bei IoT-Lösungen gibt es nach wie vor On-Prem-Infrastruktur und im Trading-Bereich, wo Latenz massgeblich ist, ist On-Prem ebenfalls wichtig. Der Kunde kann unseren kompletten Stack mit deshalb auch On-Prem haben, exakt gleich, wie wir das im Data Center auch betreiben. Das Management der On-Prem- und Cloud-Elemente passiert dann aus einer zentralen Konsole heraus.


Das heisst für den Partner, dass er in beiden Welten funktionieren muss. Wie soll sich ein Partner in Ihren Augen ausrichten?
Wir bieten dafür unsere Zertifizierungen, die gleichzeitig auch als Wegweiser für die Kunden dienen, um den richtigen Partner zu finden. Wichtig sind bei uns für einen Partner die Cloud Foundations, das umfasst die Grundlagen wie etwa Netzwerkanbindung, Richtlinien oder die Verrechnung. Dazu muss Security sicher eines der ersten Themen sein, mit dem sich ein Partner beschäftigen sollte. Nach diesen zwei Grundpfeilern kommen dann die Spezialisierungen, anhand derer sich ein Partner nach seiner Kompetenz, seinem Kundenstamm oder der Strategie entsprechend weiterentwickeln kann.

Sie machen den Job nun schon eine ganze Weile und konnten mit vielen Kunden und Partnern Erfahrungen sammeln. Haben Sie auch Partner begleitet, die nicht Schritt halten konnten?
Natürlich kann das eine Herausforderung für Unternehmen sein. Wie schon angemerkt wandelt sich das Businessmodell unter Umständen grundlegend. Aber das gilt nicht nur für das Thema Cloud, sondern für alle Bereiche, in denen sich Geschäftsmodelle wandeln. Das verstehen wir natürlich auch als Hersteller und unterstützen mit Trainings, Incentives und so weiter. Dieser Wandel geschieht nicht über Nacht, aber man muss als Partner sicher bemerken, dass er stattfindet. Ich habe das aus allererster Hand erlebt.

Wie meinen Sie das?
Ich habe lange Jahre bei einem Speicherhersteller gearbeitet, der auch Grossunternehmen in der Schweiz betreut hat. Als der Cloud-Trend losging, habe mir einen AWS-Account erstellt und angefangen, damit rumzuspielen. Zunehmend musste ich mich fragen: «Meine Güte, was machen wir hier im Data Center?» Denn wenn das Rack voll ist, verbringt man ganze Nächte damit, diese umzubauen und Kabel umzustecken – nur, um den Speicherplatz zu erweitern. Und der Kunde bezahlt seinen leeren Freiplatz auch noch. Das fällt mit der Cloud weg und ist dank der Masse viel effizienter.

Wird der sozusagen zufällig entstehende Frei­platz in der Cloud billiger angeboten? Etwa für Workloads, die nicht zeitkritisch sind – beispielsweise für das Training von KI-Modellen?
Ja, das sind sogenannte Spot Instances. Diese freie Kapazität wird zu einem massiv günstigeren Preis zur Verfügung gestellt und der Kunde weiss auch, dass sie innert Minuten wieder weg sein kann. Ein schöner Case ist etwa Video Rendering oder Transcoding. Oder generelle Batch-Prozesse, die einfach neu gestartet werden können.


Besonders das Thema Datensouveränität war beim Schritt der Hyperscaler in die Schweiz ein grosses Thema. Aber das hat seinen Preis: S3-Speicher ist in Zürich beispielsweise etwa 17 Prozent teurer in Stockholm, das schlägt aufs Portemonnaie. Sparen die Kunden hier lieber oder ist die Datenhaltung Schweiz wichtiger?
Das hängt massgeblich vom Business ab – es gibt natürlich solche, bei denen die Kosten der absolute Gradmesser sind. Die finden das anfänglich vielleicht gut, dass wir jetzt auch in der Schweiz sind, entscheiden sich dann aber doch für eine Region wie Stockholm. Und besonders die international tätigen Unternehmen, von denen es in der Schweiz einige gibt, haben in der Regel überhaupt keine Bauchschmerzen, die Daten im Ausland zu haben.

Bei der Datenhaltung in der Schweiz stehen die Hyperscaler in direkter Konkurrenz zu den hiesigen kleineren Rechenzentrumsbetreibern. Ist diese Koexistenz eine Notwendigkeit oder werden die Hyperscaler, etwa dank der beschriebenen Effizienz und Redundanz, in Ihren Augen ­diesen Markt über kurz oder lange alleine übernehmen?
Das wird der Kunde entscheiden. Wir haben das Prinzip «working backwards», das heisst, dass wir uns generell darauf fokussieren, vom Problem des Kunden rückwärts zu arbeiten und so zu einer Lösung beizutragen. Und in der Breite und Tiefe, in der wir Cloud Services anbieten, kann das nur ein globaler Player machen. Wenn der Kunde aber mit grossen Cloud Services Providern nicht zusammenarbeiten möchte, wird es diese Anbieter auch weiterhin geben.


Und wie wird sich die Rechenzentrumslandschaft in der Schweiz in den kommenden zehn Jahren entwickeln?
Sie wird weiterwachsen. Unseren Glauben an diese Entwicklung sieht man ja auch am Investment in der Schweiz, über das wir eingangs gesprochen haben. Die Statistiken bestätigen das übrigens auch: Aktuell sind demnach je nach Region gerade einmal 5 bis 15 Prozent der IT in der Cloud. Selbst wenn letztlich die Hälfte des Totals On-Prem bleibt, gibt es noch immer extrem viel Raum für Wachstum. Was ebenfalls betont werden muss: Bei der Kritik an den Rechenzentren als Stromfresser vergisst man gerne, dass das Verschieben von Workloads in die Cloud letztlich effizienter ist, als wenn jeder die Energie für seine IT dezentral beziehen muss. Etwa dank höherer Auslastung und neuesten Kühlungs- und Chip-Technologien. (win)


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