John H. Terpstra vom Open Source-Software Institutes Advisory Board nimmt den Ausdruck «Linux-Evangelist» sehr wörtlich. An der Fachveranstaltung Open Source 03 Anfang Oktober in Zürich liess er die anwesenden IT-Leute in bester Billy Graham-Manier aufstehen, sich bei den Händen fassen und gegenseitig laut zu versichern: «Mate, you have a Choice!» («Mein Freund, du hast eine Wahl».)
Es folgte allerdings kein gemeinsamer Gospel-Gesang, sondern die Botschaft «free isn’t free». Das meint: Mit freier (free) Software kann der Anwender tun und lassen, was er will. Er darf wissen, wie eine Software im Einzelnen aufgebaut ist und kann neue, massgeschneiderte Funktionen implementieren. Dennoch ist mit freier Software gutes Geld zu verdienen, denn Beratung und Support sind natürlich nicht gratis (free).
Open Source neues Paradigma
George C. F. Greve, Präsident der Free Software Foundation Europe (FSF), will die freie Software als neues Paradigma verstanden wissen, das die Märkte offen und frei zugänglich hält. «Das ist kein Angriff auf irgendeine Firma», erklärt er, «jeder kann sich an diesem neuen Markt beteiligen.» Es geht also, wie er betont, nicht primär gegen
Microsoft, auch wenn die Redmonder dies offenbar so sehen.
Aber: «Es liegt im Prinzip proprietärer Software, dass sie Monopole entstehen lässt. Freie Software soll nicht das Monopol von Microsoft ersetzen, sondern verhindern, dass überhaupt Monopole entstehen.»
Die FSF Europe hat sich daher auch gegenüber der EU gegen Software-Patente ausgesprochen, da diese vor allem im Interesse grosser Organisationen wie der amerikanischen Business Software Alliance lägen. Bezeichnenderweise hätte die Auswertung der Umfrage dennoch einer Patentlösung den Vorzug gegeben, da die Stimmen entsprechend dem Finanzvolumen der beteilig-
ten Unternehmen gewichtet worden seien.
Weil freie Software jedoch von Mono- und Oligopolen unabhängig macht, erachtet Greve ihren Einsatz im europäischen Markt und bei europäischen Staaten nach wie vor als zukunftsträchtig.
Aussichten in der Schweiz
In der Schweiz will Martin Röser von der Firma LC OpenX in Basel diesen Paradigmen-Wechsel ebenfalls erkannt haben: «In den Rechenzentren gibt es einen grossen Erneuerungsbedarf. Dabei scheint sich der ‹NT-Effekt› zu wiederholen: Die Entwicklungshäuser stehen unter dem Druck, ihre Lösungen für Linux anzubieten. In die gleiche Richtung deutet, dass sich im End-to-End-Anwendungsbereich J2EE gegenüber .Net behaupten konnte.»
Unternehmen setzen laut Röser zunehmend auf Eigenkompetenz. Der Kostendruck führe zur Erkenntnis, dass man nicht unbedingt einen Mercedes zu fahren brauche, wenn ein VW den gleichen Dienst tut. Bereits hätten sich einige Unternehmen und staatliche Organisationen für eine Linux-Strategie entschieden, bei der andere Lösungen begründet werden müssen.
Zu diesen gehört Credit Suisse nicht. Peter Schnorf, Leiter der technischen IT-Architektur der zweitgrössten Schweizer Bank, erteilt Linux in der IT-Strategie seines Unternehmens eine klare Absage.
Die Analyse von Credit Suisse
Das Aufsetzen, Optimieren und Warten einer Plattform in einem Grossunternehmen sei ein teurer und zeitaufwendiger Prozess, führt Schnorf aus. Es sei daher eine wohl definierte Strategie nötig. Schnorf: «Linux ist noch nicht ‹enterprise-ready›, da wichtige Features fehlen, wie asynchrones I/O oder Clustered File Services.» Mehrere Plattformen gleichzeitig zu unterhalten führe aber zu verstreutem Know-how, Abhängigkeit von Herstellern und Consultants und vermindere die Kontrolle über das Life-Cycle-Management.
In der Bewertung von Linux kommt er zum Schluss, dass es praktisch nichts gibt, was ausschliesslich unter Linux möglich ist. Hingegen sei einiges, was heute bei CS auf Solaris oder AIX läuft, nur schwer auf Linux realisierbar. Vor allem aber gibt es, wie Schnorf feststellt, bei Open Source-Software keine verbindliche Roadmap. Das erschwere eine kohärente Strategie im Unternehmen.
Auch die Kosten sprechen laut Schnorf nicht für Linux: «Der Personalbedarf ist gegenüber Solaris nicht kleiner, und den hohen Einführungs- und Migrationskosten stehen Reduktionen bei Hardware-Investitionen und OS-Lizenzen gegenüber, die im Gesamtkontext schliesslich kaum mehr als zehn Prozent ausmachen.»
Daraus zieht Schnorf für die CS ein klares Fazit: «Wir reduzieren die Plattformenvielfalt im Unix-Bereich, indem wir AIX eliminieren. Aber wir sehen heute keinen zwingenden Grund, Linux einzuführen. Selbst die Abdeckung auch nur eines Teils des Solaris-Einsatzspektrums würde hohe Investitionen und Fixkosten nach sich ziehen. Im Low- und Midsize-Bereich steht mit Windows ebenfalls eine etablierte Alternative zur Verfügung.»
Immerhin will Schnorf dranbleiben: «In ein paar Jahren werden wir mehr Auswahl haben. Linux und Windows streben beide ins High-End und die vertikale Skalierbarkeit für Datenbanken wird sich verbessern. Dann werden wir die Situation nochmals analysieren.» (fis)