«Wenn Sie einen Scheissprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheissdigitalen Prozess»: Trotz Abnutzungserscheinungen behält das geflügelte Wort von Thorsten Dirks, einem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Telefónica Deutschland, auch neun Jahre später seine Gültigkeit. Clever eingesetzt bringt Digitalisierung Effizienzgewinne oder erschliesst Erfolgspotenzial. Es ist aber nicht damit getan, einen analogen Prozess digital abzubilden – wenn Sie aus Ihrer Hausmesse ein «fancy» Webinar machen, heisst das nicht, dass Sie dadurch lukrativere Geschäfte abschliessen.
Es gehört zu unseren Aufgaben, Digitalisierung zu unseren Kunden zu tragen. Doch wie steht’s um den Schweizer ICT-Channel selbst? Welchen digitalen Reifegrad zeigen die Abläufe zwischen Herstellern, Distis, Händlern und Endkunden? Hier, was ich bei
Alltron und unserem Umfeld beobachte:
Zwischen Herstellern und Disti: Es gibt Datenanbindungen für Produktinformationen, jedoch in variierender Qualität. Hersteller nutzen diverse Lösungen zur Kalkulation von Spezialpreisen. Hersteller und Distis verwenden für Bestellungen, Auftragsbestätigungen, Updates zu Lieferterminen und Liefertracking unterschiedliche Systeme. Aus unserer Sicht bedeutet das: Daten müssen oft manuell per Copy & Paste übertragen werden. Registrierungen für Projekte oder Deals und Preisanfragen werden über eigene Herstellersysteme getätigt. Bei Herstellerportalen für Partnerprogramme, Trainings und Incentives fehlen sehr oft Disti-Anbindungen.
Zwischen Distis und Resellern: Neukundenanmeldungen werden bei Alltron seit kurzem ohne menschliches Zutun im System erfasst. Die Marketingkommunikation erfolgt grösstenteils via Newsletter, Linkedin und Suchmaschinenwerbung, während im Kundendialog in meiner Wahrnehmung nach wie vor Telefon und E-Mail dominieren. Offertstellungen und Beschaffungsprojekte werden per E-Mail abgewickelt. Ein hoher Anteil regulärer Bestellungen erfolgt über den Onlineshop respektive die Cloud-Transaktionsplattform des Distis. Über E-Procurement-Datenschnittstellen und Punchout-Lösungen können Produktangaben, Preise, Verfügbarkeiten direkt in den Kundensystemen zur Verfügung gestellt werden, darüber hinaus lassen sich auch Bestellungen und Verrechnungen automatisieren.
Zwischen Resellern und Endkunden: Reseller können auf der Bestellplattform ihres Distis PDF-Offerten für ihre Endkunden erstellen und dabei auf Produktdaten und -bilder, Verfügbarkeiten und Preisprofile zurückgreifen. Angebote für abonnierbare Dienstleistungen können sie ihren Kunden direkt aus der Cloud-Transaktionsplattform schicken.
Way to go!
Wir machen vieles richtig, doch die digitale Transformation im Channel ist wohl noch länger nicht umfassend und abgeschlossen. Denkbar und wünschenswert wäre aus unserer Sicht ein komplett digitaler End-to-end-Offert- und -Bestellprozess, vom Hersteller übers Produktmanagement, Technical Sales und Key Accounter beim Disti bis zum Reseller (oder gar dem Endkunden?), ohne Medienbrüche dazwischen. Falls Daten zwischen verschiedenen Systemen ausgetauscht werden, dann bitte über automatisierte Schnittstellen oder Robotic Process Automation. Reseller sollen künftig Offerten personalisiert und automatisch an ihre Kunden übermitteln können, etwa kurz vor Ablauf von Abonnements. Auch die Verrechnung soll meines Erachtens ohne manuelle Eingriffe geschehen. Beim Disti sollen Reseller online Zugriff auf Transaktionsinfos haben und Mutationen, Stornierungen und Ähnliches selbst vornehmen können, ohne zum Hörer zu greifen. Zwischen dem Distributor und Lieferanten/Herstellern würden Produktdaten-Anbindungen, standardisierte Schnittstellen für Bestellautomatisierung und Deal-Registrierungen sowie Preis-, Verfügbarkeits- und Lieferauskünfte die Effizienz steigern. Es gibt noch Potenzial im Channel – bleiben wir dran. Bevor es ein Mega-Marktplatz tut!
Andrej Golob
Führungspersönlichkeit mit über 25 Jahren internationaler Management-Erfahrung in der ICT-Landschaft: Andrej Golob war in verschiedenen leitenden Funktionen tätig – unter anderem bei HP, Swisscom und Xerox. Seit Februar 2021 ist er CEO des ICT-Distributors
Alltron und Leiter Handelskunden der Competec-Gruppe. Daneben engagiert er sich als Gründer und Investor und hält diverse Verwaltungsratsmandate.