Mitel schliesst einen der bedeutendsten Deals im UCC-Bereich ab: Der kanadische Anbieter hat vom französischen IT-Dienstleister Atos die Geschäftsbereiche Unified Communications and Collaboration sowie Communication and Collaboration Services übernommen, die gemeinsam
Unify bilden – einen der einst grössten Wettbewerber von
Mitel. Die Konsolidierung des TK- und UC-Marktes schreitet nach zahlreichen Verkäufen, Insolvenzen und Marktaustritten somit abermals mit grossen Schritten voran. Und Mitel profitiert. Es ist der nächste Baustein einer langfristig angesetzten Akquisitionsstrategie, die das kanadische Unternehmen sukzessive zum bedeutenden Player im europäischen Markt gemacht hat. Dazu zählen noch unter der Marke Aastra die Käufe von Ascom, DeTeWe, Matracom, des PBX-Bereichs von Ericsson, anschliessend die Übernahme durch Mitel im Jahr 2014 – und jetzt der Unify-Deal: Mitel konnte seine Stellung trotz des turbulenten Umfeldes und trotz des zunehmenden Drucks vor allem von IT-Konzernen und jungen Cloud-Kommunikationsanbietern behaupten und jetzt gar weiter ausbauen. Die Übernahme von Unify macht das Unternehmen laut eigenen Angaben zur Nummer 2 des globalen UC-Marktes, zur Nummer 1 in der EMEA-Region. Zudem ist der Anbieter weltweiter Spitzenreiter im DECT-Bereich.
Jetzt gilt es, die Synergien der beiden vereinten UCC-Hersteller zu nutzen und die Strukturen zusammenzuführen. «Unify verfügt über ein robustes Geschäftsportfolio mit einer hochqualifizierten Belegschaft», bewertete der ehemalige Unify-CEO Marcus Hänsel, der künftig als neuer Mitel-CSO tätig sein wird, den Zusammenschluss Anfang des Jahres. «Nach einem strukturierten Veräusserungsprozess und der Prüfung strategischer Optionen sind wir der Ansicht, dass Mitel der beste Partner ist, um die Grösse, die Investitionen und die komplementären geografischen Stärken für das Wachstum im Markt für Unified Communication und Collaboration bereitzustellen und den langfristigen Erfolg von Unify zu sichern.» Mit Blick auf dieses Potenzial zeigt sich auch Mitel-CEO Tarun Loomba erfreut, nachdem der Deal nun unter Dach und Fach ist: «Dies ist ein grosser Meilenstein für Mitel und Unify sowie für die gesamte Kommunikations- und Kollaborationsbranche». Unify bringe eine starke geografische Präsenz, ein reichhaltiges Portfolio, tiefgreifende Unternehmenskompetenz und ein talentiertes Team mit, das die Stärken von Mitel perfekt ergänzen soll. Gemeinsam betreuen die beiden Unternehmen weltweit 75 Millionen User in 100 Ländern und arbeiten mit 5500 Resellern, Service Providern sowie Technologie- und Allianzpartnern zusammen. Unify trägt dabei rund 40 Millionen User, einen Umsatz von 550 Millionen Euro sowie rund 3000 Mitarbeitende bei – und soll das Geschäft des kanadischen UCC-Anbieters an entscheidenden Stellen ergänzen. Vor allem mit Blick auf die Käuferschaft. Denn während Mitel stets stark im KMU-Umfeld vertreten war, ist Unify vor allem bei Enterprise-Kunden etabliert – «verbunden mit einem starken Managed-Services-Geschäft und umfangreicher Erfahrung in der Unterstützung von grossen Unternehmenskunden bei der digitalen Transformation ihrer Kommunikationsumgebung», wie es seitens Mitel heisst.
Gemeinsam 40 Prozent Marktanteil
Zwei UCC-Puzzleteile, die auch im Schweizer Markt ideal ineinandergreifen sollen. Denn hierzulande gäbe es kaum sich überlappendes Geschäft, wie Drazen-Ivan Andjelic erklärt, der bei
Mitel seit 2021 für den Schweizer Markt verantwortlich zeichnet. «Mitel ist im SMB-Bereich besonders stark,
Unify ist hingegen die Nummer 1 im Grosskundengeschäft», so Andjelic im Gespräch mit «Swiss IT Reseller». Gemeinsam erziele man hierzulande nun einen Marktanteil von rund 40 Prozent. Zudem verfüge Mitel unter anderem über eine lokale Logistik sowie einen regionalen Support, während Unify einen eigenen Schweizer Marketing-Bereich in die neu verschmolzene Organisation mit einbringt. Die Strukturen sollen sich ideal ergänzen, Stellenstreichungen sind daher aktuell keine geplant, wie der Manager bestätigt.
Eine Kontinuität, die nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit im Mittelpunkt der Integrationsstrategie von Mitel steht. Kunden bräuchten während des Prozesses keine Unterbrechungen bei den jeweiligen Diensten zu befürchten, so das Versprechen. Der Hersteller verpflichtet sich zudem dazu, sie über alle zukünftigen Produkt- und Servicepläne zu informieren und sie zu Upgrade-Möglichkeiten und neuen Funktionen stets auf dem Laufenden zu halten. Eine umfassende Überarbeitung des Produkt- und Service-Portfolios ist langfristig aber unausweichlich. Denn während sich Strategie und Organisation durch ihre Synergien auszeichnen mögen, gibt es technologisch ohne Frage erhebliche Überschneidungen. So verfügt Unify ebenso über KMU-Lösungen, wie Mitel Enterprise-Produkte für bis zu 65’000 Nutzer im Sortiment führt. Derzeit analysiert das Unternehmen daher das Portfolio, wie Andjelic berichtet, noch sei es für konkrete Aussagen jedoch zu früh. «Wir wollen aber Best-in-Class-Lösungspakete schaffen.» Sprich: Unterlegene Produkte werden langfristig wegfallen. Welche genau, das gibt Mitel voraussichtlich mit der für Anfang 2024 angekündigten Roadmap bekannt.
Goodbye, Unify
Die Übernahme von Unify durch Mitel ist der endgültige Abschied von einem für den europäischen ICT-Markt über viele Jahre hinweg zentralen Hersteller. Zwar agierte Unify bereits nach dem Kauf durch Atos Anfang 2016 als integrierter Geschäftsbereich, die Marke blieb bei Produkten und Lösungen aber weiterhin erhalten. Vor allem im Channel ist sie ohnehin bis heute untrennbar mit dem Namen Siemens Enterprise Communications verknüpft, unter dem das Unternehmen ab 2006 – seit 2008 als Joint Venture von Siemens und The Gores Group – agierte. Erst Ende 2013 folgte die Umbenennung in Unify und damit der Bruch mit der Siemens-Historie. Doch es kriselte bereits. Das Unternehmen musste kurze Zeit später einen drastischen Stellenabbau bekannt geben sowie eine Neuausrichtung der eigenen Strategie. Vor allem wollte sich der Anbieter stärker vom hardwarelastigen PBX- und Telefon-Geschäft lösen und sich fortan auf Software und Services konzentrieren.
Die Bemühungen wollten allerdings nur bedingt fruchten und resultierten 2016 im Verkauf an den französischen IT-Dienstleister Atos. Unify beschäftigte zu diesem Zeitpunkt rund 5600 Mitarbeitende in mehr als 60 Ländern und erwirtschaftete einen Umsatz von 1,2 Milliarden Euro. Rund sechs Jahre später steht nun abermals der Verkauf an. Der Umsatz von Unify liegt heute noch bei rund 550 Millionen Euro, die Mitarbeitendenzahl bei knapp 3000. Mit der Integration des Anbieters in Mitel wird jedoch ein endgültiger Schlussstrich unter der Marke sowie letztlich auch unter der mit ihr verbundenen jahrzehntelangen Siemens-TK-Historie gezogen.
Kontinuität zählt
Für diese Roadmap arbeitet
Mitel zudem bereits an einem übergreifenden Partnerprogramm, das laut dem Unternehmen höchste Priorität hat. Mit einer allzu grossen Umgewöhnung müssten die Schweizer Partner laut dem General Manager allerdings nicht rechnen. Immerhin sind nahezu alle der hiesigen Unify-Partner bereits parallel Mitel-Partner. Eine aufwendige Einarbeitung entfällt. Stattdessen zählt auch hier Kontinuität. Allzu grosse Veränderungen kommen auf die Partner nicht zu, bekräftigt Andjelic. Nicht zuletzt, da die jeweiligen Go-to-Market-Modelle ebenfalls ideal zusammenpassen würden. So betreibt
Unify im Gegensatz zu Deutschland und Österreich in der Schweiz beispielsweise kein Direktgeschäft, ist vollständig auf das Channel-Business ausgerichtet. Mögliche Reibungspunkte im Vertrieb sind daher ausgeschlossen, etwaige Umstrukturierungen in den Sales-Teams nicht notwendig.
Im Gegenteil. Die nunmehr über 5000 Mitarbeitenden weltweit sollen neue Möglichkeiten für die Partner-, aber auch für die Kundenbetreuung eröffnen. Ein Fokus liegt dabei auf dem Cloud-Geschäft, wie Andjelic erklärt. Eine Strategie, an der Mitel bereits seit Jahren arbeitet, unter anderem mit der Cloud-Plattform Mitel One, aber auch im Zuge von Partnerschaften mit Wettbewerbern wie Ringcentral. AWS- und Azure-Integrationen sollen nun abermals als Cloud-Impuls für Partner wie Kunden dienen. Eine Cloud-first- oder Cloud-only-Strategie soll es jedoch nicht geben, keinen Druck und keine eingeschränkten Wahlmöglichkeiten, wie der General Manager bekräftigt. Stattdessen will Mitel trotz oder gerade wegen der starken Entwicklung im Cloud-Umfeld weiterhin grösstmögliche Flexibilität in Form von On-Premises-Installationen bieten. «Das war und ist die richtige Strategie», so Andjelic. Nicht zuletzt aufgrund nach wie vor bestehender infrastruktureller Einschränkungen, die Cloud-Kommunikation in der Schweiz nicht überall praktikabel machen. «Daher lassen wir Partnern die Wahl». Es sei ein Alleinstellungsmerkmal im heutigen Markt. Und «manchmal ist es gut, anders zu sein als andere».
Turbulenter Markt
Allem voran soll es jetzt aber darum gehen, bestehende Synergien beider Anbieter zu nutzen.
Mitel sieht grosse Potenziale in Kernbranchen wie dem Gesundheitswesen, dem öffentlichen Sektor, dem Gastgewerbe sowie dem Finanzbereich. Hier könne man gemeinsam eine grosse Bandbreite an spezialisierten Lösungen und Integrationsmöglichkeiten anbieten. Und technologisch schaffe laut dem General Manager wiederum Künstliche Intelligenz bedeutende Chancen für den Channel in Form potenziell neuer Umsatzströme. Mit Produkten wie der automatischen Telefonzentrale Voice Assist habe Mitel bereits passende Lösungen im Portfolio, wie Andjelic weiter ausführt.
Trotz vereinter Kräfte muss sich aber auch der anorganisch gestärkte UCC-Anbieter einem weiterhin turbulenten Markt stellen. Konkurrierten die einstiegen TK-Hersteller noch vor wenigen Jahren vor allem untereinander, ist im Zuge der VoIP-Umstellung und nicht zuletzt Entwicklungen wie dem Home-Office-Boom vor allem der Druck seitens der grossen IT-Konzerne wie Microsoft, aber auch junger Wettbewerber wie Zoom und Ringcentral deutlich gestiegen. Das resultierte bei Avaya in einem Insolvenzverfahren, bei Panasonic im Ausstieg aus dem PBX-Geschäft, bei Alcatel-Lucent Enterprise und Unify jeweils im Verkauf – und in Summe zu einem heute stark konsolidierten Markt. Trotz der Herausforderungen kann Andjelic aber von Lichtblicken berichten. 2022 hat Mitel demnach in der Schweiz nach schwierigen Jahren ein zweistelliges Plus erzielt. Das gibt Hoffnung, sorgt aber auch für Druck und neue Herausforderungen: Denn weiteres Wachstum in der Schweiz erweist sich als schwierig, wie der Country Manager zu Bedenken gibt. Immerhin blicken Mitel und Unify hierzulande gemeinsam bereits auf einen enormen, nur noch schwer ausbaubaren Marktanteil. Dennoch sieht Andjelic auch Wachstumspotenziale, beispielsweise im angesprochenen KI-Bereich.
Die Unify-Übernahme biete für den Schweizer Markt – für Kunden wie Partner – aber grundsätzlich eine bedeutende Chance, vor allem, da sich beide Unternehmen so lückenlos ergänzen würden, steht für den General Manager Alpine, CEE & Central Asia, fest. Ohne Wermutstropfen kommt aber auch dieser Schlüssel-Deal nicht aus: Die Marke Unify soll in Zukunft verschwinden, gänzlich dem Brand Mitel weichen. Es ist nach einem langen Findungsprozess mit vielen Höhen und Tiefen der finale Abschied von Siemens Enterprise Communications und
Unify, einem Unternehmen, das viele Jahre den europäischen TK- und UC-Markt entscheidend mitgeprägt hat. «Das stimmt, es ist ein Schlussstrich unter der Marke Unify», so Andjelic. Und somit ein weiterer Schritt im Zuge der Konsolidierung des Marktes. Zumindest für die Unify-Teams und -Technologien könnte es aber ein Neuanfang unter neuer Flagge sein. Anfang 2024 wird die Mitel-Roadmap aufzeigen, was der Integrationsprozess im Detail für Mitarbeitende, Produkte und Partner vorsieht.
(sta)
Wie es für Atos weitergeht
Der Unify-Verkauf an Mitel ist für Atos Teil eines aktuellen Transformationsprozesses. Denn der französische IT-Dienstleister steckt tief in der Krise. Die Umsätze sind seit einigen Jahren konstant rückläufig, allein im Geschäftsjahr 2021 verzeichnete das Unternehmen einen Verlust von knapp drei Milliarden Euro. Ein umfangreicher Umbau soll es richten. Der Unify-Verkauf sei in diesem Rahmen ein wichtiger Schritt in der Realisierung eines «Devestitions-Programms», das 700 Millionen Euro umfassen soll, wie Diane Galbe, SEVP bei Atos, Anfang des Jahres erklärte. «Ausserdem ist dies ein weiterer Beweis dafür, dass wir unseren ehrgeizigen Transformationsplan zügig umsetzen.» Bedeutender als die Trennung von Unify ist jedoch die Aufspaltung des Konzerns. Im Laufe des Jahres hatte sich Atos in zwei unabhängige Bereiche getrennt, einerseits die Cyber-Security- und Digitalisierungseinheit Eviden, andererseits der Managed-Services-Bereich Tech Foundation. Letzteren will der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky mit dem Fonds EP Equity Investment (EPEI) kaufen. Der Deal soll wiederum das Wachstumspotenzial von Eviden beflügeln und somit für Atos den Turnaround ermöglichen.