Wohin mit dem Quellcode?

Die Rechte am Quellcode sollten im Softwareentwicklungs- oder Lizenzvertrag ausdrücklich geregelt werden. Soll der Anwender nur in bestimmten Fällen in den Besitz des Quellcodes kommen können, ist eine Hinterlegungsvereinbarung das richtige Mittel für einen gerechten Interessenausgleich.

Artikel erschienen in IT Reseller 2005/13

   

Da der Quellcode die Voraussetzung für die Veränderung und Instandhaltung einer Software und daher entscheidend ist für deren Verwertung, hat der Softwarehersteller ein vitales Interesse an der Geheimhaltung desselben. Gleichzeitig ist der Anwender auf die Wartungs- und Weiterentwicklungsarbeiten des Herstellers angewiesen, da ein Wechsel der Software mit erheblichem Aufwand für die Suche, Auswahl und Implementierung einer geeigneten Ersatzsoftware, der Umstellung der betrieblichen Organisation und der Umschulung der Mitarbeiter verbunden ist. Der Anwender wird deshalb im Rahmen seines Risikomanagements und einer weitsichtigen Planung der Informatikmittel alles für den reibungslosen Einsatz der bei ihm installierten Software über die gesamte Nutzungsdauer und die Behebung auftretender Programmierfehler oder notwendig werdenden Funktionsänderungen und -erweiterungen tun. Er achtet darauf, dass er Zugriff auf den Quellcode erhält mittels direkter Auslieferung oder durch eine fallweise Auslieferung im Rahmen eines Hinterlegungsvertrages.
Die Rechtsprechung in unseren Nachbarländern sieht bei einer fehlenden Regelung hinsichtlich des Quellcodes im Grundvertrag und bei Vorliegen besonderer Umstände und je nach Verwendungszweck der Software zunehmend eine Überlassungspflicht vor (etwa bei Nichtvorliegen eines Wartungsvertrages). Es ist davon auszugehen, dass die Schweizerische Rechtsprechung sich dieser Tendenz anschliessen wird. Bis zur gerichtlichen Klärung dieser Frage empfiehlt es sich, die Frage des Zugriffs auf den Quellcode im Grundvertrag ausdrücklich und klar zu regeln.

Hinterlegungsvertrag

Wird die direkte Auslieferung des Quellcodes im Herstellungsvertrag ausgeschlossen, besteht die Möglichkeit der treuhänderischen Übergabe an einen unabhängigen Dritten (Escrow-Agent oder Notar) im Rahmen eines Hinterlegungsvertrages. Der Anwender soll mittels Hinterlegung des Quellcodes in die Lage versetzt werden, die aus dem Grundvertrag geschuldete Leistung selber vorzunehmen, wenn der Softwarehersteller seine Leistung nicht oder nicht wie vereinbart erbringt oder erbringen kann. Im Hinterlegungsvertrag sind insbesondere folgende Punkte zu regeln:
n Parteien des Vertrages: Der Vertrag wird in der Regel zwischen den drei Parteien, dem Escrow-Agenten, dem Anwender und dem Softwarehersteller geschlossen.
n Bestimmung des Hinterlegungsobjekts: Neben dem Quellcode selber sollte der hinterlegte physische Datenträger (CD oder Magnetband) auch die Wartungs-, Entwicklungs- und Systemdokumentation beinhalten, da dadurch die Abänderung der Software angesichts der oft komplexen und teilweise chaotischen Programmstrukturen auch für erfahrene Programmierer erst möglich wird.
n Einräumung des fiduziarischen Eigentums am Datenträger: Durch Einräumung des fiduziarischen Eigentums am Datenträger an den Escrow-Agenten ist dem Softwarehersteller und im Falle seines Konkurses seinem Konkursverwalter die Verfügungsgewalt daran entzogen. Dem Escrow-Agenten sollen aber weder Urheber- noch Nutzungsrechte am Quellcode zukommen.
n Richtigkeit und Aktualität des Quellcodes: Um die Hinterlegung wertloser Programmzeilen beim Treuhänder zu verhindern, sollen Anwender und Hinterleger das Recht haben, die Hinterlegungsobjekte jederzeit zu prüfen. Der Vertrag soll zudem eine Richtigkeitszusicherung des Softwareherstellers enthalten. Die Notwendigkeit der technischen Überprüfung spricht eher für den Beizug eines technisch erfahrenen Escrow-Agenten statt eines Notaren.
n Bestimmung der Herausgabefälle: Der Escrow-Agent ist zur treuhänderischen Aufbewahrung des Quellcodes und zur Herausgabe in bestimmten Fällen zu verpflichten. Zu den möglichen Herausgabefällen gehören etwa der Konkurs des Herstellers, die Verwicklung des Herstellers in ein gerichtliches oder aussergerichtliches Nachlassverfahren, der Liquidationsfall, die Einstellung der Entwicklungstätigkeit an der Software, die Unternehmensübernahme, der Abgang von entscheidenden Mitarbeitern, Erfüllungsschwierigkeiten, usw.
n Herausgabemodalitäten: Mit dem Ziel eines effizienten und verbindlichen Herausgabeverfahrens soll der Anwender ein schriftliches Herausgabebegehren stellen. Ferner ist aufzuführen, welche Beweismittel für den Eintritt eines Herausgabefalles vorzulegen sind.
n Detaillierung der Nutzungsrechte des Anwenders am Quellcode: Dem Anwender soll im Hinterlegungsvertrag zugesichert werden, dass der materielle Inhalt des Hinterlegungsobjekts dem Anwender Nutzung, Unterhalt und Weiterentwicklung ermöglichen. Da der Anwender den Quellcode oft nur dann vereinbarungsgemäss nutzen kann, wenn er die Mitarbeiter des Softwareherstellers unterstützend beiziehen kann, ist der Softwarehersteller entsprechend zu verpflichten.
Zur Sicherstellung eines wirksamen Investitionsschutzes hat der Anwender unbedingt den Zugang zum Quellcode zu sichern. Erhält er keinen direkten Zugang aufgrund des Grundvertrages und stehen die Kosten in einem angemessenen Verhältnis zur angeschafften Software, stellt ein Hinterlegungsvertrag eine taugliche Alternative dazu.

Der Autor

Michael Vonmoos (Bild), lic. iur., Rechtsanwalt und Notar, ist Spezialist für Informatik- und Immaterialgüterrecht bei der Kanzlei Schaerjampen in Bern/Biel (www.schaerjampen.ch) und Mitinhaber der Firma Lawtank Gmbh (www.lawtank.ch) in Fribourg.


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