Vertriebsflash: Die Ängste der Bewerber
Quelle: zVg

Vertriebsflash: Die Ängste der Bewerber


Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2013/04

     

Paul H. war ein erfolgreicher IT-Verkäufer, der seine Umsatzziele auch in schwierigen Zeiten stets erreichte. «Du bist mein bestes Pferd im Stall», pflegte sein Chef jeweils zu sagen, wenn dieser wieder alle Verkäufer-Awards des laufenden Jahres abgeräumt hatte. Da die Schweizer IT-Szene überschaubar ist, sprechen sich die Leistungen von guten Verkäufern im Markt genauso herum wie jene von mittelmässigen und schlechten Mitarbeitern. Aus diesem Grund mag es nicht verwundern, dass auch der Konkurrenz Paul H.s Namen sehr wohl geläufig war. Eines Tages klingelte darum das Telefon von Paul H., und am anderen Ende meldete sich der Sales Director eines namhaften Mitbewerbers. Nach dem Austausch einiger Nettigkeiten rückte dieser dann mit dem eigentlichen Grund seines Anrufes heraus. Man habe von den überdurchschnittlichen Leistungen von Paul H. gehört und sei an einem Mitarbeiter wie ihm sehr interessiert. Ob er denn allenfalls an einem informellen Gespräch interessiert wäre. Selbstverständlich unter Wahrung absoluter Verschwiegenheit, wie der Verkaufsdirektor mehrfach betonte. Paul H. war eigentlich sehr zufrieden mit seiner momentanen Job-Situation. Gleichzeitig war er aber auch ein neugieriger Mensch und fühlte sich irgendwie auch gebauchpinselt von diesem Anruf. Und wer weiss: Sollte ihm der Verkaufsdirektor sympathisch sein und man ihm ein attraktives Angebot machen, so wäre ein Wechsel unter Umständen auch für ihn denkbar. Schliesslich war er nun seit über neun Jahren bei der gleichen Firma tätig, was in der IT-Branche ja schon fast eine halbe Ewigkeit ist. Paul H. stimmte nach kurzer Bedenkzeit darum einem ersten Treffen zu.
Das Interview, welches ein paar Tage später folgte, verlief erstaunlich positiv. Der Verkaufsdirektor war in etwa im Alter von Paul H. und verstand offensichtlich viel vom Verkauf. Zudem stellte sich im Gespräch heraus, dass sie in der Vergangenheit bei den gleichen Firmen gearbeitet hatten. Diese gemeinsamen Erlebnisse hatten etwas sehr Verbindendes und führten dazu, dass sie sehr bald von der sachbezogenen Ebene auf die persönliche Beziehungsebene stiessen. Am Ende des Gespräches einigte man sich darauf, sich anderntags ein Feedback zu geben und danach das weitere Vorgehen zu besprechen. Euphorisiert vom Interview gab Paul H. tags darauf dem Verkaufsdirektor grünes Licht für ein weiteres Interview. Dieses erfolgte dann gemeinsam mit dem Verkaufsdirektor, dem Geschäftsführer und dem HR-Verantwortlichen und verlief ebenso positiv wie das Vorangegangene. Gleich nach dem Gespräch eröffnete man ihm, dass man ihn gerne anstellen wolle. Mündlich informierte man ihn über die Sozialleistungen der Firma sowie das Salär, welches man ihm bezahlen würde. Das ganze Paket war sehr lukrativ. Und Paul H. gab darum noch vor Ort sein Einverständnis, damit man ihm die Verträge per Post zustellen konnte.

Absage ohne Vorwarnung


Als Paul H. einige Tage später die Arbeitsverträge aus dem Briefkasten holte und diese in seinem Arbeitszimmer durchstudierte, überkamen ihn jedoch auf einmal Zweifel. Sollte er wirklich seine sichere Stelle aufgeben? Schliesslich hat er sich bei seinem aktuellen Arbeitgeber in den letzten Jahren den Ruf eines guten Verkäufers erarbeitet und genoss dadurch die eine oder andere Sonderbehandlung. Dies alles müsste er sich bei einem Stellenwechsel wieder neu aufbauen. Auch die Frage, ob er sich wirklich mit seinem neuen Chef verstehen würde, beschäftigte ihn. Zwar hatte er von dem Verkaufsdirektor einen guten Eindruck gewonnen. Doch wenn Paul H. ehrlich mit sich selbst war, kannte er seinen neuen Vorgesetzten eigentlich nach zwei Interviews von jeweils zwei Stunden nicht wirklich. Und so kam es am Ende, wie es kommen musste. Zerknirscht rief er den Verkaufsdirektor an und offenbarte diesem, dass er die Stelle doch nicht annehmen wolle. Der Verkaufschef war zunächst völlig perplex. «Aber Sie haben mir doch nach den Interviews immer positive Rückmeldungen gegeben und gesagt, dass Sie die Stelle wirklich interessiere. Warum Ihr plötzlicher Gesinnungswandel?», fragte er Paul H. konsterniert am Telefon. «Offen gestanden weiss ich ehrlich gesagt selbst nicht so genau, warum ich meine Meinung geändert habe. Aber irgendwie stimmt für mich plötzlich das Bauchgefühl nicht mehr», meinte dieser sichtlich verlegen. Der Verkaufsdirektor erkannte, dass es keinen Wert hatte, Paul H. weiter zu bearbeiten. Man verabschiedete sich darum höflich, wenn auch sehr distanziert.

Vertrauen und Sicherheit


Fälle wie diese kommen in der Rekrutierung von qualifizierten Mitarbeitern im IT-Vertrieb immer wieder vor. Und gerade Kandidaten in ungekündigter Stellung überlegen es sich sehr genau, ob sie das Risiko eines Jobwechsels auf sich nehmen möchten. Diesem Aspekt schenken Arbeitgeber jedoch oft zu wenig Beachtung. Subtil im Interview von Bewerbern geäusserte Unsicherheiten werden überhört, mit dem Ergebnis, dass diese am Ende aus Sicht der Firma wie aus heiterem Himmel einen Rückzieher machen. Wie kann man dem entgegenwirken? Die beiden Schlüsselwörter heissen Vertrauen und Sicherheit! Dies muss im Interview dem Kandidaten in hohem Mass vermittelt werden. Gelingt das nicht, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass man den Bewerber nicht für sich gewinnen kann. Zwischen einem erfolgreichen Rekrutierungsprozess und der Akquise von Neukunden gibt es viele Parallelen. Umso erstaunlicher ist es, wenn Firmen dieses Wissen nicht vermehrt auch bei der Mitarbeitersuche nutzen. Würden sie verstärkt auf die persönlichen Ängste und inneren Widerstände der Kandidaten eingehen, könnten viele Stellen mit grosser Sicherheit wesentlich schneller und erfolgreicher besetzt werden.
(ms)


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