Das Blatt hat sich gewendet

Webdienstleister haben es auch hierzulande nicht mehr so leicht.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2001/10

     

Dass sich die Umstände für Webdienstleister in den USA schon seit längerem verändert haben, ist eine Tatsache. Die Frage, ob die Misere auch Schweizer Unternehmen im grossen Ausmass treffen wird, kann derzeit noch nicht mit Bestimmtheit beantwortet werden. Eins allerdings ist klar: Die Schweizer Webbranche will plötzlich auch nicht mehr um jeden Preis wachsen und ist ein gutes Stück bescheidener geworden.

Crealogix schraubt zurück

Die börsenkotierte Crealogix kündigte schon im Februar an, dass Terminverschiebungen und Redimensionierungen hingenommen werden müssen. Crealogix machte damals allerdings die Konkurrenz, respektive den «forcierten Markteintritt klassicher IT- und Beratungsunternehmen» für die Wiedrigkeiten verantwortlich. CEO Bruno Richle reagierte prompt und ordnete eine «Optimierung des Personal-Mix» an. Gaben die Bubikoner in der IT Reseller-Umfrage zu den grössten Webagenturen der Schweiz noch einen Personalbestand (per Ende 2000) von 175 an, so sind gemäss der letzten Pressemitteilung vom 15. Mai noch 165 Beschäftigte an Bord.
Vor einem Jahr eröffnete Richle eine Niederlassung in Toronto und begründete gegenüber IT Reseller die eher ungewöhnliche Standortwahl folgendermassen: «Da einem drüben bekanntlich die gebratenen Tauben nicht von selbst in den Mund fliegen, wählten wir mit Toronto einen Standort, an dem wir uns mit unserem Background im Finanzbereich am meisten versprechen.»
Was die gebratenen Tauben angeht, so sollen sie plötzlich gar nicht mehr so lecker gewesen sein: Die Niederlassung sei aufgrund der «unerwartet schwachen Entwicklung des Marktes in Nordamerika» geschlossen worden, so die Verlautbarung. Vielleicht hat die Konkurrenz die Tauben aber ganz einfach im Flug abgefangen.
Richle muss zugute gehalten werden, dass er — wie sich das für ein börsenkotiertes Unternehmen gehört — schnell auf sich verändernde oder nicht den Erwartung entsprechende Situationen reagiert. Das Unternehmen konnte, wohl auch aufgrund dieser Tatsache, per Ende des dritten Quartals des Geschäftsjahres 2000/2001 einen Reingewinn von 1,2 Mio. Franken ausweisen.

Kabel streicht 15% der Stellen

Die Deutsche Kabel New Media hat «im Zuge einer Neuausrichtung alle Prozesse im Unternehmen gestrafft und unternehmensweit synchronisiert», wie es offiziell heisst. Oder anders gesagt: Kabel wird 15% des Personals entlassen und den Vorstand umbesetzen, drei der fünf Vorstandsmitglieder haben das Unternehmen verlassen. Im 2000 machte die Kabel-Gruppe ca. 100 Mio. Euro Umsatz, erzielte aber keinen Gewinn. Das erste Quartal 2001 brachte zwar 30 Mio. Euro Umsatz, aber auch 11 Mio. Euro Verlust.
Kaum war die Meldung über die von der Gruppe geplanten Entlassungen bekannt, meldete sich auch flugs Robert Hess, CEO von Kabel New Media Südeuropa und Gründer der ehemaligen Digivision, und erklärte in einem Statement, in der Schweiz sei kein Stellenabbau geplant. Im Gegenteil werde man in der Schweiz die Wachstumspolitik weiterverfolgen.
Die Schweiz betreffe die Veränderungen lediglich «in Bezug auf die besetzten Vorstandsressorts und die Umsetzung der verstärkten Kundenbeziehungen». Wie Hess IT Reseller gegenüber sagte, wird er eine gruppenübergreifende Funktion annehmen, darf dazu aber aus börsentechnischen Gründen noch nicht mehr sagen.
Als zusätzliche Neuerung wird standortübergreifendes Key Account Management gruppenweit eingeführt. Konkret heisst dies, dass Kunden, die ihren Hauptsitz in der Schweiz haben, von Schweizer Key-Account-Managern europaweit betreut werden. Laut Hess beschäftige man in der Schweiz immer noch 120 Leute, also gleich viele wie Ende letzten Jahres.
Ausserdem seien 30 Leute, die nicht auf der Payroll sind, für Kabel Schweiz beschäftigt. Die Hälfte sind laut Hess Informatiker. Dazu Hess: «Wir sollten eigentlich mehr Leute einstellen, besonders Informatiker. Die Rekrutierung ist immer noch schwierig, aber im Vergleich zu vor einem Jahr geht es schon leichter.»

Pixelpark: Ein Sechstel muss gehen

Pixelpark will bis zum Herbst dieses Jahres einen Sechstel der Stellen streichen. Bis dahin sollen noch 1000 der heute 1189 Beschäftigten im Unternehmen verbleiben. Der Grund: Bereits im Rumpfgeschäftsjahr von Juli bis Dezember 2000 musste Pixelpark eine Umsatzschrumpfung auf 52,3 Mio. Euro und einen Fehlbetrag von 15,6 Mio. Euro hinnehmen.
Die neulich bekanntgebenen Zahlen für das erste Quartal 2001 sehen auch nicht rosig aus: Bei 26,1 Mio. Euro Umsatz schrieb die Bertelsmann-Tochter einen Verlust (wohlgemerkt vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) von 5,2 Mio. Euro. Mittlerweile hat sich bei Pixelpark ein Konzernverlust von total 25,3 Mio. Euro angestaut.
Nun stellte Bertelsmann seiner Internet-Tochter weitere Mittel über eine Kapitalerhöhung zur Verfügung: Bertelsmann erhöhte seinen Anteil von 57,4 auf 60,3%. Im Rahmen der Kapitalerhöhung sollen 1,35 Millionen neue Pixelpark-Aktien ausgegeben werden.

Brugger bleibt gelassen

Laut Rolf Brugger, Geschäftsleiter Pixelpark Schweiz, werden die Restrukturierungsmassnahmen auf die Schweizer Niederlassung keine Auswirkungen haben. Brugger betont, dass man — im Gegensatz zu Webagenturen wie Razorfish oder Marchfirst — praktisch kein einziges Projekt für Dot-coms abgewickelt habe: «Wir haben uns immer schon auf die Old Economy konzentriert, mit Ausnahme der deutschen Venture Park Company, die wir teilweise mitfinanziert haben. Sie werden sehen, dass die finanziellen Rückschläge bei Pixelpark sofort im vollen Ausmass abgeschrieben werden. Es hat keinen Sinn, die Verluste lange mit sich zu schleifen.»
Auf die Frage, wie Brugger die Gefahr eines Überschwappens der US-Situation nach Europa sieht, antwortet er gelassen: «Wissen Sie, ich bin nun schon seit 30 Jahren im IT-Business tätig, da habe ich schon einiges erlebt. Wir hatten in Europa nie diese Übertreibungen wie in den USA. Natürlich werden auch hierzulande Projekte verschoben, aber auch das führt irgendwann wieder zu einem Stau und also auch zu einem Nachholbedarf.» Pixelpark Schweiz beschäftigt zur Zeit 150 Mitarbeiter, d.h. 20 mehr als Ende letzten Jahres. (mh)


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