Seit nunmehr 19 Jahren lebt Cristina Riesen in der Schweiz, geboren und aufgewachsen ist sie aber in der Stadt Brasov in Rumänien. Unter dem kommunistischen Regime von Nicolae Ceausescu verbrachte sie ihre Jugendzeit, danach studierte sie Sprachen und Philologie. Sie arbeitete zunächst als Radiomoderatorin, wobei sie auch die Technik selber managen musste: "Ich stieg eigentlich ganz oben ein. Der Job als Radiomoderatorin war damals sehr anspruchsvoll und sehr gut bezahlt." Letztlich führten aber widrige Lebensumstände dazu, dass sie sich entschloss, in die Schweiz auszuwandern.
Plötzlich vor dem Nichts
"Als ich in die Schweiz kam, erlebte ich einen Schock. Weder meine Universitätsdiplome noch meine Arbeitserfahrung wurden anerkannt. Ich dachte, ich hätte hier keine Zukunft." Aus dem anfänglichen Rückschlag schöpfte Cristina Riesen jedoch Kraft. "Das war ein sehr wichtiger Moment in meinem Leben, in dem ich die Entscheidung getroffen habe, dass ich alles lernen und machen kann, was ich will. Ich muss Vertrauen haben und keine Angst, und ich muss kreative Lösungen finden." Auf ihrer Erfahrung als Radiomoderatorin aufbauend, wählte sie den Weg in die Kommunikationsbranche und begann eine entsprechende Ausbildung.
Anschliessend erwarb sie noch einen Executive Master of Science in Communications Management an der Università della Svizzera Italiana in Lugano, denn ihr war klar geworden, dass Diplome in der Schweiz für eine berufliche Karriere unverzichtbar sind. Gleichzeitig interessierte sie sich stark für digitale Kommunikation, die damals noch in den Kinderschuhen steckte. "Es war die Zeit, als Facebook zur Welt kam. Für mich war klar, dass etwas im Entstehen begriffen war, das alles verändern würde. Nur wusste damals niemand genau, wofür man digitale Kommunikation in einem Unternehmen einsetzen könnte. Dadurch erhielt ich die Chance, mich während des Studiums als Freelancerin an faszinierenden Projekten zu beteiligen."
Der Silicon-Valley-Effekt
Nach ihrem Abschluss machte Cristina Riesen auf Twitter eine Entdeckung, die sich für sie als zukunftsweisend herausstellen würde: "Evernote, ein kleines Start-up im Silicon Valley, suchte via Twitter eine Person für die Kommunikation. Da ich Evernote-Nutzerin der ersten Stunde war, antwortete ich mit einem Tweet auf die Anzeige." Darauf folgten ein Skype-Interview und ein Treffen in Nizza, das so gar nicht ablief, wie Cristina Riesen es sich vorgestellt hatte: "Ich kam mit einem sauberen Dossier daher, doch man schob dieses sofort beiseite und wollte von mir nur wissen, was ich für Evernote tun könne und welche Ideen ich einzubringen hätte. Nach all diesen Jahren waren meine hart erarbeiteten Diplome plötzlich nicht mehr nötig. Nach dem Gespräch teilte man mir mit, ich sei nun für die weltweite Kommunikation von Evernote zuständig."
Riesen erlebte die Hyper-Growth-Phase des Start-ups mit und übernahm im Zuge dessen immer mehr Verantwortung. Schliesslich wurde sie zum General Manager für die EMEA-Region ernannt und leitete das Team in Zürich. "Für mich war es, als wäre ich in der Zukunft gelandet, nicht zuletzt wegen der Firmenkultur, die komplett anders war, als man es sich in Europa gewohnt war", schwärmt sie. Doch nach fünf Jahren verspürte sie den Drang, eine neue Herausforderung zu suchen. Die Karriereleiter emporzuklimmen, sei für sie aber nie im Vordergrund gestanden. "Mein Lebensziel ist es, mit aussergewöhnlichen Menschen an zukunftsweisenden Projekten arbeiten zu können. Es war für mich zwar schwierig, Evernote zu verlassen, aber ich wollte mich stärker in die Bereiche Bildung und Innovation einbringen, weil ich als Mutter und Unternehmerin erkennen musste, dass die Bildung eine der grössten Herausforderungen ist, die es in unserer Welt zu meistern gilt."
Bildung für die Gesellschaft von morgen
Bildung sei ein komplexes Ökosystem, weil es politisch, gesellschaftlich und kompliziert sei, weshalb man interdisziplinär vorgehen müsse, wenn man etwas bewegen wolle, ist sich Riesen sicher. So kam auch ihre Zusammenarbeit mit der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) zustande, für die sie die Lancierung des Swiss Edtech Colliders verantwortete. In der Folge gründete sie 2017 die Non-Profit-Organisation
We Are Play Lab Foundation, der sie als Geschäftsführerin vorsteht. "Bei We Are Play Lab geht es darum, Kindern zu vermitteln, dass man überall lernen kann. Denn wir lernen nicht, weil wir in der Schule sitzen, sondern weil wir Dinge sehen, die uns inspirieren, und diesen nachgehen. Gerade digitale Kompetenzen muss man früh vermitteln, denn sonst ist es unwahrscheinlich, dass sich im Laufe des Lebens entsprechende Fähigkeiten entwickeln", so Riesen. Man könne Konzepte wie beispielsweise Computational Thinking schon früh auf spielerische Weise erlernen. "Nicht jeder muss Computerwissenschaftler werden, aber wenn ein Teil der Gesellschaft nicht versteht, worum es geht, dann besteht die Gefahr, dass diese Menschen nicht mitbestimmen können." Riesen selbst war schon seit jeher ein Early Adopter und interessierte sich für alles, was mit Elektronik und Technik zu tun hat.
Sie sei ruhiger geworden, sagt Cristina Riesen, dennoch ist sie nach wie vor sehr engagiert und zielstrebig: "Ich bin immer offen für Neues und habe keine Angst, Fehler zu machen. Ich bin ein Life Long Learner und arbeite viel, aber meine Arbeit ist meine Leidenschaft und nicht ein Job." Im geschäftlichen Umfeld ist Riesen eine begabte Networkerin, im Privatleben jedoch nicht: "Privat bin ich sehr introvertiert und brauche Raum für mich und meine Gedanken." Den nötigen Freiraum zu finden ist für sie nicht einfach: "Ich habe nicht viel Freizeit, ich nehme mir jedoch regelmässig Zeit, um zu meditieren. Ab und an treffe ich mich mit Freunden, aber das ist eher selten. Auch die Natur gibt mir viel Energie. Deshalb wohne ich auch in einem kleinen Dorf, wo mich kaum jemand kennt, und sich vor meinem Haus ein wunderschöner Wald erstreckt." Privat lebe sie zwar zurückgezogen, dennoch reise sie sehr gerne und lerne auch gerne neue Menschen und Kulturen kennen, so Riesen. Wichtig sei für sie letztlich, dass man nicht in der Vergangenheit lebe: "Man kann aus der eigenen Geschichte lernen, aber der Blick sollte immer in die Zukunft gerichtet sein, um als Mensch weiter wachsen zu können." ?
Cristina Riesen
Cristina Riesen ist 1976 in Brasov (Kronstadt) in Rumänien geboren, wo sie die Schule absolvierte. Nach einem Studium der Sprachen und der Philologie arbeitete sie zunächst als Radiomoderatorin. Im Jahr 2000 wanderte sie in die Schweiz aus und wurde später General Manager für die EMEA-Region bei Evernote. 2017 gründete sie schliesslich die
We Are Play Lab Foundation.
(luc)