Comdex – The Show must go on

Key3media, Besitzer der Comdex-Messen, steht kurz vor der Pleite, und die Zahl der Aussteller und Besucher der Comdex Fall schrumpfte gegenüber den Vorjahren um die Hälfte. Doch die amerikanische IT-Branche kämpft sich durch, und auch der Stichtag für den Aufschwung soll schon feststehen.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2002/21

     

Die Comdex, die grösste Computermesse der USA, steckt im 23. Jahr ihres Bestehens in der Krise. In diesem Jahr bemühten sich laut informierten Kreisen knapp 80’000 Besucher (offiziell: 100’000; Jahr 2000: 200’000) nach Las Vegas, um gerade einmal 1100 Aussteller (2000: 2300) aufzusuchen.
Der Veranstalter Key3media liess kurz vor Messebeginn verlauten, eventuell nach der Messe Gläubigerschutz nach Chapter 11 des amerikanischen Insolvenzrechts zu beantragen, da man den im Dezember fälligen Zinszahlungen nicht nachkommen könne.
Die Glanzzeiten der Comdex scheinen ein für alle mal vorbei zu sein. Halbleere, verhängte Hallenbereiche – das riesige Sands Convention Center stand ganz leer – und ein eher melancholisch dreinschauendes Standpersonal zeugten von einer leicht miesen Stimmung in der Glimmerstadt.
Doch die USA wären nicht die USA, wenn sie nicht auch aus der gröbsten Krise noch eine Show inszenieren könnten. So ging Bill Gates an seiner Eröffnungsrede gar nicht auf die aktuelle missliche Lage ein, sondern lobhudelte überschwenglich vom Zauber der Software, der vom PC auf alle anderen Geräte überspringen werde.
Gemeint hatte er damit die so genannte «Smart Personal Object Technology» (SPOT), mit welcher der mit reichlich Zweckoptimismus bewaffnete Software-Guru Alltagsgeräte wie z.B. einen Reisewecker auszustatten gedenkt. Der Besitzer des Weckers soll nicht nur aufgeweckt, sondern gleichzeitig mit Informationen aus dem Internet über den Strassenzustand oder das Wetter gefüttert werden.
Ähnliche Geräte hatten einst auch schon HP mit «E-Speak» oder Intel und 3Com in ihrer Pipeline. Gehört hat man davon nie wieder. Den Tablet-PC, den Microsoft vor zwei Wochen auf den Markt warf, hatte Gates übrigens bereits am Microsoft-Forum 2000 vorgeführt. Mit im Gepäck hatte Gates zudem das neue Programm «OnNote», eine Art elektronisches Notizbuch, das momentan auf den Codenamen «Scribbler» hört.

Tonnenweise Bares

Wo Bill Gates ist, ist Sun-Chef Scott McNealy nicht weit. Doch wer wie gewöhnlich darauf wartete, dass McNealy Spott und Hohn über Microsoft ausschüttet, wurde in diesem Jahr überrascht, denn McNealy witzelte diesmal lieber über andere. So bezeichnete er IBM-Lösungen als selbst auferlegte Lobotomie (chirurgischer Eingriff in die Gehirnsubstanz) oder beschrieb Dell als eine Firma für Leute, die gern unmontierte 10-Gang-Bikes kaufen.
Auch HP bekam sein Fett weg: «Ich denke nicht, dass Drucken der Kern unserer Probleme ist.» Doch weder McNealys Witze noch sein Ausruf, man verfüge über «Tons of Cash», mit denen man Verluste für weitere 32 Quartale aussitzen könne, konnten darüber hinwegtäuschen, dass auch Sun unter der Krise zu leiden hat.
Die Neuigkeiten, die er präsentierte, kommen denn auch nicht wirklich von Sun. So stammt zum Beispiel der Virtualization Manager für die Speicheraufteilung in SAN-Netzwerken vom kürzlich eingekauften Unternehmen Pirus Networks. Selbes gilt für den Outlook-Ersatz Evolution, dieser kommt von Ximian (ehemals Helix). Am Ende seiner Keynote sprach der Sun-Chef sich selbst Mut zu: «Die Leute schreiben noch über uns, also können die Dinge nicht ganz so schlecht stehen.»

«Knockin’ on 64»

Keynotes mit Showeinlagen abzuhalten schien überhaupt der Lieblingssport an dieser Comdex zu sein. So legte AMD-CEO Hector de Ruiz zusammen mit Guns ’n’ Roses Gitarrist Slash ein zünftiges Gitarrensolo aufs Keynote-Parkett. In Abwandlung des Dylan-Songs «Knockin’ on Heavens Door» stellte er «Knock knock knockin’ on 64» trällernd den Namen des kommenden 64-/32-Bit-Hybridprozessors vor. Mit dem «Athlon 64» will AMD nun den Unternehmensmarkt aufmischen.
HP-Chefin Carly Fiorina erteilte unter dem Slogan «Everything is possible» Zweiflern und Zynikern eine Absage und nutzte die Gelegenheit, auf HPs 600 Mio. teure Werbekampagne aufmerksam zu machen, die pünktlich zur Comdex in den USA startete und ab 1. Dezember auch Europa überrollen soll.

Drahtlos allerorten

Gross geschrieben wurde an der diesjährigen Comdex das Thema Wireless. Am «Wi-Fi Alliance Pavilion» boten 16 Firmen ihre neuesten Wireless-Visionen an. Philips beispielsweise wartete mit einem «digital media receiver», einer Schnittstelle zwischen PC und TV oder Steroanlage auf. «Hinsichtlich generierter Leads war das die beste Comdex, die wir je hatten», verkündete Brian Grimm, Marketingchef der Wi-Fi Alliance.

Vereinte Pinguine

Natürlich durfte auch Linux nicht fehlen. Die vier Partner der United Linux-Initiative Suse, Turbolinux, The SCO Group (ehemals Caldera) und Conectiva stellten offiziell die Version 1.0 ihrer einheitlichen Linux-Distribution vor. In den nächsten acht Wochen wollen alle vier Partner die Linux-Distribution auf den Markt werfen. Die Version 1.0 ist anfänglich in zehn Sprachen verfügbar, als Systemplattformen werden 32- und 64-Bit-Intel-Architekturen und AMD-Prozessoren sowie PowerPCs und IBMs zSeries-Mainframes unterstützt.

Stichtag für den Aufschwung

Der Aufschwung in der IT-Branche beginnt am 21. Juni 2003. Das zumindest orakelte der CEO von National Semiconductor Brian Halla. Auf das Datum – übrigens sein Hochzeitstag – sei er durch mathematische Untersuchungen zu Konjunkturzyklen eines Professors der Universität Stanford gekommen. Vielleicht hat er aber auch selbst in die Glaskugel geschaut. Rosigere Zeiten verspricht er sich vor allem für die Chipindustrie.
Und wenn doch alles den Bach runtergeht, dann wird eben nochmal als Tellerwäscher angefangen, denn: «The Show must go on» – der «American way of life» ist nicht totzukriegen.

Messe Schweiz gelassen

Die Messe Schweiz gibt sich gegenüber der Finanzmisere der Key3media ungerührt. «Wir sind über die Situation bei Key3media informiert. Die Orbit/Comdex in Basel ist von den weiteren Entwicklungen bei Key3mdia nicht betroffen», beschwichtigt Bernd Schuster, Kommunikationsleiter der Messe Basel. Es gäbe zwischen den beiden Unternehmen weder eine juristische noch eine finanzielle Verflechtung. Die Messe Basel sei lediglich Lizenznehmerin des Brands «Comdex».
Die Vorbereitungen für die Orbit/Comdex 03 liefen denn auch bereits auf Hochtouren. Offene Fragen scheint es offensichtlich trotzdem zu geben. Berichten der «Sonntagszeitung» zufolge, haben Vertreter der Messe Basel für detaillierte Abklärungen bereits den Flieger Richtung USA bestiegen.
Die Deutsche Messe unterdessen rührt kräftig die Werbetrommel für die Cebit America 2003, die sie vom 18.–20. Juni 03 gemeinsam mit Hannover Fairs USA in New York ausrichten will. Das Konzept orientiert sich an der Hannoveranischen Cebit, für das Amerika-Debüt werden 400 Aussteller auf 17’500 m2 erwartet. (sk)


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