Von Schlawinern und Betrügern

Schlecht oder sogar gar nicht zahlende Kunden sind für Distributoren ein Problem, das sogar das Umsatzwachstum beschränken kann. Der Fall Felsenbein zeigt, zu welchen Mitteln Reseller greifen, um Distis zu täuschen.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2003/05

     

Das Wachstum im IT-Markt wird durch verschiedenste Faktoren beeinflusst. Neben der allgemeinen Konjunkturlage und der Investitionstätigkeit der Endkunden ist die Zahlungsfähigkeit der Reseller eine zunehmende Einflussgrösse. Der vorliegende Fall eines Innerschweizer Resellers ist sicherlich ein Einzelfall, zeigt aber auf, welche Methoden sich Leute einfallen lassen, um zu Kapital zu kommen oder sich die Glaubwürdigkeit bei einem Distributor zu erschwindeln.

Sein Name sei Felsenbein

Reseller Felsenbein (Name von der Red. geändert) war vor 2001 schon Kunde von Ingram. Die Versicherung bewilligte eine Kreditlimite von 50’000 Franken, und Felsenbein kaufte kräftig ein. So kam es, dass Felsenbein die Limite überzog, bei 76’000 schliesslich schob Ingram den Riegel.
Diesen Monat noch treffen sich die Parteien vor Gericht, nicht wegen der genannten Ausstände, sondern weil Felsenbein, nachdem er seine Firma verkauft und umfirmiert hatte, erneut Rechnungen nicht bezahlt hat. Für Ingram grenzt die Handlungsweise an Betrug. Die Geschichte hat tatsächlich krimihafte Züge, doch eins nach dem anderen.

Ingram wachgerüttelt

An dieser Stelle muss angefügt werden, dass Ingram sich zur Zeit der ersten Probleme mit Felsenbein in der Schweiz in steilstem Wachstum befand. Schliesslich wurden — unter anderem wegen Fällen wie dem vorliegenden — die Personalstrukturen bei Ingram angepasst.
Seit Frühling 2002 hat Ingram nun einen neuen CFO, Roger-René Müller (Bild rechts), und ein ausgebautes Team für «Accounts Receivable», das unter der Leitung von Theo Tataropoulos (Bild links) steht. Tataropoulos, der auch seit letztem Sommer bei Ingram waltet: «Seit dem Fall Felsenbein prüfen wir Beziehungsgeflechte von Neukunden noch genauer, natürlich mit grösseren personellen Ressourcen.»

Firma verkauft und zurückgekauft

Felsenbein jedenfalls verkaufte im Mai 2002 seine Aktiengesellschaft. Der neue Eigentümer meldete sich kurz darauf bei Ingram, er sei interessiert, die Schuldenfrage aus 2001 abschliessend zu regeln. Aber die Kreditversicherung ersetzte den Schaden, und der Kunde entzog sich mit Hinhaltetaktik der Verantwortung. Unverfroren trat dann Felsenbein anschliessend selbst wieder auf den Plan. Er habe die Firma zurückgekauft, sie umfirmiert und in eine Holding integriert. Nun wolle er wieder mit Ingram Geschäfte machen.

Wer einmal lügt…

Einmal ist keinmal, glaubte man bei Ingram. «Wir sagten uns, der hat Pech gehabt und ging pleite, weil seine Kunden nicht zahlten. Schenken wir Felsenbein Vertrauen, denn es ist ja möglich, dass die Firma wieder auf soliden Beinen steht, so wie wir das bei anderen Kunden ja auch schon positiv erfahren durften», sagte Roger-René Müller zu IT Reseller.
Doch es kam, wie es kommen musste. Felsenbein kaufte wieder und bezahlte wieder nicht. Ende März trifft man sich vor Gericht. Für Müller handelt es sich um betrügerisches Handeln, wenngleich diese persönliche Einschätzung im kommenden Gerichtsprozess keinen Einfluss haben dürfte, geht es doch vor allem darum, die Zahlung einzufordern. Notabene sei vermerkt, dass gemäss dem aktuellen Betreibungsauszug auch andere Distis Felsenbein auf den Leim gekrochen sind. Tech Data hatte Glück.
Managing Director Manfred Steinhardt: «Infolge mangelnder Kreditsicherheiten haben wir den Kunden nicht beliefert.»

Spiel mit falschen Karten

Um erneut mit Ingram geschäften zu können, liess sich Felsenbein ganz schön was einfallen. Er präsentierte ein Diagramm einer Holding-Struktur, unter deren Dach seine jetzt umbenannte Firma Platz fand. Neben dieser sollen laut der Darstellung noch ein deutscher Hersteller eines PDA-ähnlichen Geräts und eine Schweizer Handelsunternehmung zur Holding gehören. Pikant: Die renommierte Auskunftei Dun & Bradstreet empfahl Ingram eine unverbindliche Kreditlimite von 900’000 Franken!
Und schliesslich soll an seiner alten, neu benannten Firma ausser der Holding-Mutter und dem deutschen Hersteller auch Abraxas mit 30% beteiligt sein. Auf Anfrage erfuhren wir, dass davon keine Rede sein kann. Geschäftsführer Oscar Schwark zu IT Reseller: «Wir kennen die Firma, ca. vor einem Jahr wurde Felsenbein bei uns vorstellig, weil er Kapital suchte und weil er einen Distributor für den deutschen PDA suchte. Doch weder das eine noch das andere liegt in der Strategie von Abraxas. Eine Beteiligung an der Firma stand nie zur Diskussion und besteht auch heute nicht.»
Zum Glück gibt es nicht nur Leute wie Felsenbein, sondern auch ehrliche Schuldner. Nochmals Ingram-CFO Roger-René Müller: «Wir kommen mit den meisten Schuldnern irgendwie klar. Im Moment zahlt uns z.B. ein Reseller alle zwei Wochen 10’000 Franken zurück, und bald wird er die ausstehenden 120’000 Franken abgestottert haben. Auch das gibt’s.» (mh)


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