Agilisys und der «dritte Weg» im ERP-Markt

Der hierzulande noch wenig bekannte US-amerikanische ERP-Hersteller Agilisys kauft eine Firma nach der anderen. IT Reseller unterhielt sich an der Cebit mit CEO Jim Schaper (Bild) und Europachef Wolfgang Kobek über die Strategie der Amerikaner.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2004/06

     

An der Cebit gab der US-amerikanische ERP-Hersteller Agilisys die Übernahme eines weiteren deutschen Software-Hauses bekannt: Varial Software. Varial ist nach Brain und Infor damit bereits der dritte deutsche Software-Hersteller, der von den Amerikanern geschluckt wird.
Varial sei ein fehlendes Puzzlestück sagt Agilisys-CEO Jim Schaper, denn bisher habe im Portfolio eine Finanz- und HR-Lösung gefehlt. Die Übernahme von Varial sei ein logischer Schritt, denn Infor habe bereits eine 22prozentige Beteiligung an dem deutschen Softwarehaus gehabt, erzählt Schaper. «Wir hatten bis jetzt keine Finanzlösung im Portfolio.
Diese ist aber in jedem ERP eine kritische Komponente, die wir lieber selber besitzen, als eine Lösung mit einem Partner zu suchen», erklärt der Agilisys-Chef.

Geld wie Heu

Der Kauf von Varial dürfte nicht die letzte Übername von Agilisys gewesen sein. Ausgerüstet mit viel amerikanischem Risikokapital hat Schapers den Auftrag, systematisch einen gewichtigen Player im weltweiten Software-Markt zu schustern. Immerhin etwa 120 Millionen Dollar sollen Schapers zur Verfügung stehen.
«Wir sind die Konsolidierer, nicht die Konsolidierten», sagt denn auch selbstbewusst Wolfgang Kobek. Kobek hatte den schwierigen Auftrag, den im Herbst 2002 zusammengebrochenen und dann an Agilisys verkauften ERP-Hersteller Brain International zu sanieren, offensichtlich gut gelöst und ist nun bei Agilisys europaweit für den Vertrieb der Lösungen für die diskrete Fertigung zuständig.
Agilisys peilt für nächstes Jahr einen Umsatz von etwa 250 Millionen Dollar an. Im Endausbau soll der Konzern dann aber etwa eine halbe Milliarde Dollar umsetzen. Man wird also noch mehr von Agilisys hören.

Fokus auf vertikale Märkte

Doch welche Strategie steckt hinter dem scheinbar wilden Zusamenkaufen von schlingernden ERP-Firmen?
Schapers: «Wir versuchen nicht, SAP oder Microsoft zu konkurrenzieren, sondern wir fokussieren uns auf bestimmte, ausgewählte vertikale Märkte. Dort wollen wir dann aber die Nummer 1 oder 2 sein. Wir können in den angepeilten Märkten, also in diskreter und Prozessfertigung sowie neu auch der Distribution, einige Funktionen anbieten, die andere nicht haben.»
Tatsächlich ist Agilisys unter Einbezug der europäischen Töchter in einigen Märkten bereits gut etabliert. So etwa bei Software für die Automobil-Industrie oder für die Getränke- und Nahrungsmittelindustrie, sowie mit Infor auch für kleinere und mittlere «diskrete» Fertiger (Fabrikationsbetriebe, die ihre Produkte aus zugelieferten Teilen assemblieren). Bei Automobil-Zulieferern besitzt Agilisys gemäss Schaper weltweit einen Marktanteil von über 70%. (hc)

«Man darf das menschliche Kapital nicht verlieren»

IT Reseller unterhielt sich mit Jim Schaper und Wolfang Kobek über die Agilisys-Übernahme-Strategie und den ERP-Markt.
IT Reseller: Mit Varial Software haben Sie einen Hersteller von Finanzsoftware übernommen. Nun sagen aber erfahrene Leute, der Aufwand für eine Lokalisierung von Buchhaltungs- und HR-Lösungen sei gleich gross, wie die Software gleich neu zu bauen. Welchen Sinn macht also der Kauf von Varial?
Jim Schaper: Tatsächlich ist die Lokalisierung von Finanzsoftware ein schwieriges Unterfangen. Viel ist abhängig von der technologischen Basis. Und da haben wir mit Varial einen Vorteil, weil die Software zu hundert Prozent in Java geschrieben ist und modular aufgebaut wurde. Ausserdem wurde ein rechter Teil der Lokalisierung schon gemacht. Varial hat beispielsweise bereits Kunden in Kanada und den USA.
Wir müssen sowieso eine Finanz- und HR-Lösung in unser Angebot integrieren, ob wir diese nun kaufen oder selbst bauen.
Übernahmen von Software-Firmen sind eine schwierige Sache. Das Kapital der Firmen ist ja mehr das Know-how der Mitarbeitenden und weniger die Software selbst. Wir setzen bei jeder Übernahme sofort ein Programm auf, um die besten Leute zu halten. Man darf das menschliche Kapital auf keinen Fall verlieren.
Dann wird restrukturiert, wobei wir darauf achten, dass die Funktionen mit Kundenkontakt die gleichen bleiben. Zusätzlich investieren wir sofort in die Weiterbildung der Leute. Das Restrukturierungsprogramm bei Brain kostete uns zwar achtmal mehr als wir budgetiert hatten. Doch der Erfolg ist auch wesentlich grösser, als wir erwarteten.
Agilisys ist eine Erfolgsgeschichte, und jeder will ein Teil davon sein. Unsere Mitarbeiter haben nun das Gefühl, dass wir erfolgreich sein werden.

Wie wird es nun mit Infor weitergehen?

Infor war nicht sehr gut gemanaged und verdiente zu wenig Geld. Wir werden die Firma umbauen. Das heisst, wir werden gewisse zentrale Funktionen wie IT, Finanzen und HR zusammenlegen. Generell werden wir ein flacheres Management einführen. Den Mitarbeitenden von Infor bieten wir das gleiche Incentive-Programm wie jenen von Brain.
Wolfgang Kobek: Wir achten bei allen Akquisitionen darauf, das lokale Management zu halten. In der Schweiz macht Infor einen guten Job.
Dann werden wir natürlich nach Cross-Selling-Möglichkeiten zwischen Infor, Brain und Agilisys USA suchen. Auch wenn sich Brain eher an grössere Firmen als Infor richtet. Langfristig ist es unser Ziel, die Systeme zu modularisieren. Doch wir werden die Investitionen unserer Kunden schützen, alle Produkte weiterentwickeln und uns an die Roadmaps halten.
Was geschieht mit den Schweizer Partnern von Brain? Brain war ja in der Schweiz selbst nicht mehr vertreten.
Natürlich werden wir die bestehenden Verträge einhalten. Aber es ist schon unser Ziel, die Software von Brain direkt zu verkaufen. (Interview: hc)

Unter dem Agilisys-Dach

Varial Software, D: Fibu, Anlagenbuchhaltung, Controlling, HR. Nach eigenen Angaben 5000 Kunden. Schnittstellen zu Infor.
Infor, D: Komplettlösung Infor:Com sowie Branchenlösungen für Automotive, Anlagenbau, Baustoffe, Holz-, Kunstoff- und Schmuckindustrie. Nach eigenen Angaben 3500 Kunden und 600 Mitarbeitende.
Brain Industries, D: Div. Software-Pakete und Branchenlösungen für die fertigende Industrie.
Agilisys Automotive, D: Branchenlösungen für die Automobil-Zulieferindustrie (ehemals Brain XPPS).
Agilisys, USA: Branchenlösung für die Automobil-Zulieferindustrie (Trans4am), Lösungen für Prozessindustrie (Getränke, Nahrungsmittel, Pharma, Chemie, verpackte Produkte)
Daly.Commerce, USA: Im März neu übernommen. ERP-Lösung für Verteiler.


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