Markt-Analysten wie Forrester und Gartner postulierten, die Zeit individueller E-Banking-Lösungen sei abgelaufen. Patrick Burkhalter, Geschäftsleiter der auf Java-Lösungen spezialisierten Zürcher Ergon Informatik, neigt dazu, diesen Befund zu relativieren: «Es gibt zwar einige brauchbare Standardlösungen, aber diese sind vorwiegend auf Transaktionen und das Retail-Geschäft ausgelegt. Im Private Banking, wo das Hauptgewicht auf der Vermögensveraltung liegt, sind die Bedürfnisse und Ansprüche anders.» Als Beweis dient ihm die Lösung von Rahn & Bodmer.
Rahn & Bodmer Banqiers ist eine der ältesten Zürcher Privatbanken. Sie widmet sich praktisch ausschliesslich der Vermögensverwaltung. Diskretion, persönlicher Service und individuelles Portfolio-Management sind ihre Markenzeichen.
Anfang dieses Jahres stellte Rahn & Bodmer die IT auf Avaloq um. Dieses in der Schweiz entwickelte Banken-Paket gilt als eines der modernsten. Es wurde von der auf Avaloq spezialisierten Comit Gruppe implementiert. Dabei ergab sich aber ein Problem: Die bisherige Internetbanking-Lösung konnte nicht migriert werden.
E-Banking für Avaloq
Bereits auf dem letztjährigen Finance Forum hatten die drei Firmen Comit, Ergon und
Netcetera den Prototyp einer auf Avaloq ausgerichteten E-Banking-Lösung vorgestellt. Burkhalter: «Avaloq setzt sich im Privatkundenbereich immer mehr durch. Wir wollten daher gemeinsam eine E-Banking-Lösung entwickeln, welche die Flexibilität von Avaloq nutzen kann.» Man war sich jedoch einig, dass man «eServices for Avaloq» nicht ohne einen Lead-Kunden realisieren wollte.
Jetzt bot sich diese Möglichkeit: Rahn & Bodmer legte Wert darauf, dass die Kunden ihre Bank auch im Internet nicht nur am Logo wiedererkennen, sondern vor allem an der Art der Auswertungen, an den Berechnungsmethoden und der Darstellung. Die Lösung sollte den Bedürfnissen von Privatkunden, Anlageberatern und externen Vermögensverwaltern Rechnung tragen. Und, wie Burkhalter anfügt, «auch finanziell tragbar sein, denn das IT-Budget einer Privatbank ist nicht ganz so hoch, wie bei einer Grossbank».
Die Spezifikationen wurden im März dieses Jahres festgelegt. Aufgrund der früher entworfenen Architektur und der Prototypen konnte die Applikation in vergleichsweise kurzer Zeit entwickelt, integriert und getestet werden. Am 1. Juli startete der Pilotversuch und seit August ist Rahn & Bodmer wieder online.
Gateway entlastet Applikationen
Die auf Java-Basis realisierte E-Service-Plattform setzt auf der Unix-Infrastruktur der bankinternen IT auf. Gegen aussen bildet der Application Security Gateway der Ergon-Tochter Seclutions den zentralen Zugangspunkt. Die auf der Sicherheitsdatenbank abgelegten Daten werden vom Authentisierungsserver wie auch vom E-Services Application Layer für die Überprüfung der User und ihrer Rechte benutzt. Verwaltet werden die Authentifizierungsdaten mit einer web-basierenden Administrationsanwendung.
Der Gateway entlastet die Applikationen. Dadurch können diese, wie Burkhalter ausführt, sehr schlank gehalten werden. Derzeit erlauben sie die für die Bank wichtigsten Angebote wie Portfolio- und Kontoinformationen sowie grafische Darstellungen der Avaloq-Auswertungen in Echtzeit, eine geschützte Mailverbindung und die Möglichkeit, Reports und Analysen im PDF-Format herunter zu laden. Für all dies wird direkt auf Avaloq zugegriffen, ohne dass Daten dupliziert werden müssen.
Mit Modulen für Transaktionen, direkte Börsenaufträge und zusätzliche Finanzinformationen ist die Plattform ausbaubar. Burkhalter vermutet, dass als nächstes wohl eine Möglichkeit implementiert werden wird, mit der externe Vermögensverwalter ganze Portefeuilles umstrukturieren können.
Schweizer Tugenden
Auf die Frage, worauf er denn angesichts des Ergebnisses besonders stolz sei, weist Burkhalter in erster Linie auf die gute Zusammenarbeit der drei beteiligten Unternehmen hin: «Ich will ja nicht sagen, dass es nicht manchmal Differenzen gab, schliesslich sind es Menschen, die zusammen arbeiten. Sicher wäre jedes Unternehmen auch allein in der Lage gewesen, eine Lösung zu entwickeln. Aber die wäre kaum so konsistent geworden wie die jetzt realisierte, in die jeder seine speziellen Erfahrungen einbrachte: Comit die Avaloq-Implementierung,
Netcetera ihr Internet- und GUI-Wissen und wir unser Know-how betreffend Java-Applikationen.»
Der Ergon-Geschäftsleiter sieht darin geradezu ein Modell für die Schweizer IT-Industrie: «Statt sich gegenseitig kaputt zu konkurrenzieren, könnten unkonventionelle Lösungen erarbeitet werden. Voraussetzung ist natürlich, dass alle Beteiligten auf ihrem Gebiet besonders profiliert sind.» Dabei würde auch eine Einsicht zum Tragen kommen, das er als typische Schweizer Tugend sehe: Geldverdienen sollte nicht das erste Ziel sein, sondern das Resultat guter Arbeit. Einer ausgesprochen technikorientierten Firma wie Ergon kauft man eine solche Philosophie sogar ab. (fis)
«Banking Today»
Patrick Burkhalter wird die E-Banking-Lösung von Rahn & Bodmer zusammen mit deren Informatikleiter, Robert Bill, am nächsten Dienstag, dem 2. November 2004, im Rahmen des Referatszyklus’ «Banking Today» auf dem Finance Forum präsentieren.