Verkäufer zum Erfolg verdammt

Verkäufer schaffen es oft nicht, von dem vielen Geld, das sie verdienen, etwas zur Seite zu legen. Sie ­gewöhnen sich an einen luxuriösen Lebensstil und verschulden sich bis über beide Ohren. Verlieren sie dann ihren Job, geraten sie in finanzielle Bedrängnis und sind dazu verdammt, weiterhin Erfolg zu haben.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2006/17

     

Als ich Kurt P. traf, an jenem Montag morgen in der Lobby des Hotels Hilton, war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Zwei Tage zuvor hatte man ihm gekündigt; just an jenem Tag, an dem die Bagger für den Aushub seines neuen Luxusdomizils an der Zürcher Goldküste vorgefahren sind. Seinen hochbezahlten Job als Senior Account Manager bei einem namhaften IT-Hersteller war er los, und für ein Zieleinkommen von 300’000 Franken würde er trotz seinen Qualifikationen und seinem guten Netzwerk nicht mehr so schnell unterkommen. Erfahrungsgemäss braucht es nämlich vier bis sechs Monate, um einen Mitarbeiter mit einem so hohen Salär bei einem neuen Arbeitgeber zu plazieren.

Volkssport Schulden machen

Zeit, die sich ein Grossteil der Bewerber nach meiner Erfahrung nicht geben will. Warum? Weil viele es sich finanziell schlicht nicht leisten können, ein paar Monate auf ein grosses Einkommen zu verzichten. Sie haben zwar jahrelang hervorragend verdient, es aber doch nicht fertig gebracht, genügend finanzielle Reserven aufzubauen, um eine solche Durststrecke relativ schadlos zu überstehen.
Genau so war es auch im Fall von Kurt P., der mir beschämt sagte: «Wenn ich innert drei Monaten keine adäquate Position habe, wird es finanziell sehr eng.»
Kurt P. ist kein Einzelfall, wie ich aus vielen Gesprächen mit anderen Verkäufern immer wieder erfahre. Horrende Fixkosten, verursacht durch eine belastende Hypothek oder das Leasing für den Luxusschlitten, den man in Zeiten, als es noch gut lief, problemlos bezahlen konnte, lasten bei unvorhergesehenen Ereignissen wie Scheidung, Krankheit oder Arbeitslosigkeit plötzlich doppelt so schwer und bringen viele Vertriebsmitarbeiter in arge Bedrängnis. Denn viele scheinen offenbar nicht gewillt zu sein, in finanziell erfolgreichen Jahren auch etwas auf die hohe Kante zu legen.
Schulden zu machen hat in anderen Ländern, beispielsweise in den USA, schon groteske Formen angenommen. Die Tendenz scheint sich aber immer mehr auch in der Schweiz abzuzeichnen. Dazu einige konkrete Zahlen:
* Im Jahr 2005 wurden insgesamt 1,32 Millionen Pfändungen gezählt; das sind 20’000 mehr als im Jahr zuvor.
* Im Jahre 2005 meldeten insgesamt 5714 Personen Privatkonkurs an. Das sind ein Fünftel mehr als im Jahre 2000.
* In den letzten fünf Jahren sind die Schulden aus Leasing und Konsumkrediten von 11 Milliarden Franken auf 14 Milliarden Franken gestiegen. Das bedeutet eine Verschuldung von 2000 Franken pro Kopf der Schweizer Bevölkerung; Neugeborene miteingerechnet.

Den Jackpot vor Augen

Wir leben in einer Zeit, in der viele über ihre Verhältnisse leben. Ein Phänomen, das mittlerweile alle Bevölkerungsschichten erfasst hat. Verkäufer sind aber gemessen an anderen Berufsgruppen mit einem hohen Fixanteil und einem relativ stabilen Umfeld bereit, höhere Risiken, auch in finanzieller Hinsicht einzugehen.
Der Traum, vom grossen Abschluss, der die Kassen klingeln lässt, ist den meisten Verkäufern immer präsent, und daran ist eigentlich auch nichts auszusetzen. Geschichten, wonach Vertriebsmitarbeiter dank einem sehr grossen Abschluss die Zielvorgaben massiv übertreffen und auf Grund eines aggressiven Provisionsplanes richtig «absahnen» konnten, werden in Verkaufskreisen gerne her­um­gereicht. Obwohl jeder weiss, dass die Chancen für solche Abschlüsse gering sind, träumt doch insgeheim jeder davon, den Deal seines Lebens abzuschliessen.
Der deutsche Filmemacher Volker Schlöndorff schrieb im Vorspann der Verfilmung des Bühnenstückes «Tod eines Handlungsreisenden» von Arthur Miller: «Und doch gibt es den amerikanischen Traum noch, den Traum, dass jeder es zur Nummer eins bringen kann. Obwohl wir ihn durchschauen, verhalten wir uns doch danach.»
In Hoffnung, die Nummer eins zu werden und den Jackpot zu knacken, beginnen nicht wenige Verkäufer damit, ihren Lebensstil nach ihrem Zielsalär, dem Abschluss, der kurz bevorsteht, dann aber doch nicht kommt, oder nach den früheren Jahren, in denen es mal gut lief, auszurichten. Damit schlittern nicht wenige immer tiefer in eine finanzielle Misere hinein, aus der sie kaum noch herausfinden. Deshalb müssen sie dauernd erfolgreich sein, nur um sich finanziell über Wasser halten zu können. Sie müssen verkaufen, um so ihre Provisionen zu bekommen und haben sich damit selbst dazu verdammt, für immer erfolgreich sein zu müssen.

Unternehmen sind gefordert

Was tun Firmen, um ihren Vertriebsmitarbeitern die Augen zu öffnen? Aus meiner Sicht nicht viel. Aussagen von Managern wie: «Der hat sich gerade ein Auto für hunderttausend Franken gekauft, jetzt muss er im Verkauf wieder Gas geben, um sich das Leasing finanzieren zu können!» oder «Ich will hungrige Sales. Wenn einer eine Million auf der hohen Kante hätte, würde er träge und wäre nicht mehr so bissig», sollten aufhorchen lassen. Natürlich: Jeder Mensch ist für sein Glück selbst verantwortlich, und wenn alle ihr Geld auf die Bank bringen würden und keiner mehr Geld ausgeben würde, wäre diese der Tod unseres wirtschaftlichen Systems. Doch wenn ich mir andererseits all jene tragischen Geschichten von Vertriebsmitarbeitern anhören muss, denen das Wasser trotz gutem Salär bis zum Hals steht, dann stimmt mich das schon sehr nachdenklich.
Wenn verkaufsorientierte Unternehmen von sozialer Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern sprechen, wäre es sinnvoll, ihre Verkäufer nicht nur dar­in zu schulen, wie sie mehr Umsatz fürs Unternehmen einfahren und damit gute Provisionen verdienen können, sondern ihnen auch den richtigen Umgang mit Geld zu lehren.
Es ist keine Kunst, viel Geld zu verdienen, sondern weniger Geld auszugeben, als man einnimmt. (Markus Schefer)

Der Autor

Markus Schefer (38) verfügt über langjährige Vertriebserfahrung im In- und Ausland und war bei namhaften Unternehmen wie IBM oder Reuters im Verkauf tätig. Heute ist er selbständiger Personal- und Unternehmensberater und Dozent an der Fachhochschule beider Basel für das Fach Key ­Account Management. www.scheferpersonal.ch markus@scheferpersonal.ch


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