IBM: «Wir sind dem Handel treuer denn je»

Big Blue machte mit Direktverkaufsplänen von sich reden. Doch die entscheidenden Leute von IBM Schweiz wollen dem indirekten Modell treu bleiben. Ein Gespräch.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2000/06

     

Jacques Boschung ist zur richtigen Zeit von Compaq zu IBM gestossen. Letzten August trat er die Stelle als «Channel & SMB Marketing Manager» an, sieben Monate später ist er bereits der Leiter von IBMs «PSG» (Personal Systems Group). Sein ehemaliger Chef, Walter Münch, steigt in die Europa-Zentrale auf und koordiniert die Verkaufsaktivitäten des PC-Bereichs in ganz EMEA (Europa, Mittlerer Osten und Afrika). Während man anderswo die Beförderung von Münch als «Wegbeförderung» interpretiert hat, dürfte es wohl eher als Zeichen zu interpretieren sein, dass man auch in der Europazentrale die Arbeit der profitablen PC-Abteilung in Zürich-Altstetten zu schätzen weiss.
Wie dem auch sei: Nun sind wohl in ganz EMEA Marketing-Aktionen im Stil von «Kaufe heute, bezahle morgen» und «Wer kauft, bekommt Geld zurück» zu erwarten...

Unter dem Druck von Dell und der Shareholder

IBM hat unlängst in den USA grossspurig angekündigt, man werde nächstes Jahr die Hälfte des PC-Umsatzes direkt tätigen. Eine gute Gelegenheit, Jacques Boschung zur Schweizer Wirklichkeit und seinen Channel-Plänen zu befragen.
IT Reseller: Welche Rolle geben Sie dem Internet hier und jetzt als Verkaufskanal?
Jacques Boschung: In den USA wurden letztes Jahr mit Soft- und Hardware ca. acht Milliarden auf dem Web umgesetzt. Bei einem Markt von 200 Milliarden USD sind das gerade mal vier Prozent! Das ist die erste wichtige Überlegung. Auf der anderen Seite gibt es interessante historische Vergleiche. Um die Jahrhundertwende haben die Retailer in den USA mit dem Katalogverkauf begonnen. Sie haben sehr rasch fast zehn Prozent des Umsatzes über diesen Weg gemacht. Das ging vielleicht noch schneller als heute mit dem Webverkauf. Aber dann blieb dieser Anteil bei zehn Prozent stehen. Es ist schwierig jetzt Voraussagen zu machen, aber es gibt bereits Analysten, die solche Vergleiche anstellen. Wir müssen auf jeden Fall auf dem Web anwesend sein. Die Frage ist, was wir dort tun. Noch ein Vergleich: 4% der Autoverkäufe in den USA werden übers Web getätigt. Aber 40% der Käufer haben sich vorher im Web informiert. Das Web spielt nicht nur eine reine Verkaufsrolle.

Die drei Fallstricke des E-Commerce

JB: Man trifft auf eine ganze Reihe von Problemen, wenn man versucht, plötzlich von einem Channel-Modell auf eine Direkt-Modell umzustellen. Erstens ziehen sie einfach Umsatz vom indirekten Kanal auf den direkten ab. Zweitens bekommen sie sofort Channel-Konflikte. Es ist sehr aufwendig, diesen auszweichen. Drittens ist es sogar für uns gar nicht einfach, die nötigen IT-Ressourcen auf einen Schlag bereit zustellen. US-Retailer haben die grössten Schwierigkeiten, die richtigen Leute zu finden. Und wir setzen die besten Leute lieber für unsere Kunden ein.
Dies alles bedeutet, dass diejenigen wie Dell und Gateway, die von Anfang an direkt gearbeitet haben, stark im Vorteil sind. Wer glaubt, dass man ein Business-Modell auf einen Schlag umstellen kann, träumt. Wir können also nicht unser Business eines Tages einstellen und sagen, wir kämen dann in sechs Monaten wieder als Direct-Company. Das heisst, dass IBM PSG mehr denn je mit seinen Business-Partnern verbunden ist. Wir hängen voneinander ab und müssen gemeinsam erfolgreich sein. Wir müssen die richtigen und aggressiven Angebote machen.
In den USA ist das anders, denn dort gibt es grosse Städte, wo es keine Händler gibt. Eine KMU mit 200 Arbeitsplätzen ist praktisch gezwungen, das direkt zu machen. In der Schweiz mit seinen ca. 3000 Händlern ist das ganz anders.
IT Reseller: Compaq sagt, sie wollen dem Kunden die Wahl lassen. Wer direkt bestellen will, soll dies tun können.
JB: Die Logistik der klassischen Hersteller wie IBM ist für dieses Business gar nicht geeignet. Wie wir es machen, zeigt das Beispiel unserer Promoprodukte, der «Topseller». Der Händler bekommt eine reduzierte Marge. Damit bezahlen wir die Logistikkosten des Distributors und des Händlers. Wir werden mehr und mehr mit aggressiven Angeboten auf die VSB (Very Small Business) und die KMU-Kunden zugehen. Das ist eine Art von direkter Kommunikation durch den Hersteller, doch die Lieferung erfolgt durch den Channel. Mit der Marge wird der Händler so für Beratung, Cross- und Upselling entschädigt. Uns sind Händler, die motiviert sind, ihre Kunden kompetent zu beraten, wichtig. Fazit: Wollte ich das ganze Business direkt abwickeln, würde mich das sehr viel mehr kosten. In England verkauft IBM an VSB direkt. Das System heisst «Odyssee». Untersuchungen haben gezeigt, dass kein einziger Kunde vom Handel abgezogen wurde. Doch wir werden «Odyssee» in der Schweiz vorderhand nicht einführen. Die Umstände sind einfach anders. Wenn schon, würden wir aggressiv die Kunden unseres Mitbewerbs angehen.

ITR: Welche Rolle spielen E-Reseller wie Distrelec (Bluestore) für Sie?

JB: Distrelec ist für uns ein Händler, der für uns auch schon Programme für Mitarbeiter von Grosskunden erarbeitet hat. Sie sind für uns Logistik- und E-Commerce-Partner.
ITR: Aber auf der IBM-Site gibt es einen direkten Link zu Bluestore. Was sagten Ihre Händler dazu?
JB: Eigentlich nicht viel, denn die Volumen sind sehr klein.. Die Schweizer Einkäufer wollen die Beratung. Wir konzentrieren dieses geringe Volumen lieber bei einem Händler, der darauf eingerichtet ist.

ITR: Was macht IBM, wenn ein Kunde 100 PCs bei IBM kaufen will?

JB: Es gibt natürlich einige Grosskunden, die wir direkt beliefern. Aber wir machen das gegenüber den Händlern transparent. Wir versuchen nicht bestehende Kunden auf uns zu lenken, sondern neue Kunden zu gewinnen, die vielleicht eine direkte Beziehung zum Hersteller wollen. Es gibt Grosskunden, die eine Rechnung von uns wollen. Es kann aber gut sein, dass sie die Dienstleistungen von einem Partner beziehen.
ITR: Wie gehen Sie mit der Konkurrenz zwischen «Ihren» Händlern und IBM Global Services um?
JB: Es gibt tatsächlich Situationen, in denen IBM Global Services unsere Kunden, also die Händler, konkurrenziert. Konsequenterweise haben wir die Verkaufsorganisationen getrennt. Ein Verkäufer von IBM PSG bekommt keine Provision für Verkäufe über IBM Global Services. Er hat also keinen finanziellen Anreiz, IBM-Dienstleistungen zu verkaufen. Wir haben sehr klare Regelungen und haben diese klar kommuniziert. Der Kunde soll wählen können, von wem er seine Dienstleistungen beziehen will.

ITR: Werden die Margen noch weiter sinken?

JB: Im allgemeinen ja, klar. Ich glaube, der veröffentlichte Preis (Listenpreis) wird sich noch mehr dem «Strassenpreis» angleichen. Die effektive Marge wird wohl nicht mehr stark sinken können.
ITR: Wie setzen Sie sich gegen die Ansprüche aus der Zentrale durch? Können Sie überhaupt selbständig entscheiden?
JB: Manchmal ist es ein Vorteil, nicht in der EU zu sein. Es hilft uns, eine gewisse Selbständigkeit, gerade im Preisbereich, zu behalten. Der Markt in der Schweiz ist sehr aggressiv und wir können voll mitziehen. Wir bekommen natürlich Richtlinien aus den USA. Aber es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Und die Schweiz ist innerhalb der PSG sehr glaubwürdig, weil die Profitabilität stimmt. Aber natürlich werden viele Entscheide in der Europazentrale getroffen, wo übrigens drei Schweizer sitzen.

ITR: Spüren Sie den ‘Digital Winter’?


JB: Das erste Quartal ist tatsächlich ziemlich ruhig. Die Hersteller, die einen grossen Umsatzanteil im Grosskundensegment haben, sind stärker betroffen. Unter dem Strich ist es ein gutes Quartal. Besonders das Geschäft mit Thin Clients läuft im Moment sehr gut. Wir haben dort ein gutes Paket aus Clients, Servern und Services. (Interview: hc)


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