Ein Heimweh-Bündner ist er nicht – nicht mehr. Die Rede ist von Jon Erni, Leiter Public Sector bei
Microsoft Schweiz. Kam er in jungen Jahren für ein Elektrotechnik-Studium nach Zürich, war für ihn lange Zeit klar, dass er danach wieder nach Hause, ins Engadin, zurückkehren würde. «Ich habe im Herbst an der ETH angefangen, als hier in Zürich alles unter einer dicken Nebelsuppe lag und im Engadin die Sonne schien», erinnert er sich. Anfangs sei er denn auch jedes Wochenende in die Berge zurückgekehrt. Die Wende brachten schliesslich seine heutige Frau sowie ein erweiterter Bekanntenkreis, durch die er die schönen Seiten der Limmatstadt doch noch für sich entdeckte.
Nichtsdestotrotz stand der heute 49-Jährige Ende der 90er-Jahre vor der Entscheidung: Rückkehr ins Engadin oder ein Leben in Zürich. Bis dahin hatte Erni sowohl in Zürich einen Lebensmittelpunkt, wo er bei Alcatel nach dem Elektrotechnik-Studium sowie einer Zweitausbildung zum höheren Lehramt den Berufseinstieg fand, sowie einen Lebensmittelpunkt in den Bergen, wo er am Hochalpinen Institut in Ftan im Teilzeitpensum als Lehrer arbeitete.
Als sich bei Alcatel schliesslich die Chance auftat, an einem Leadership-Programm für junge Führungskräfte teilzunehmen, musste sich Erni entscheiden: Eine Karriere als Lehrer in Ftan oder eine Karriere bei Alcatel. Diese Entscheidung fiel schliesslich zugunsten von Alcatel aus. «Ich kam zum Schluss, dass ich nicht 100 Prozent als Lehrer arbeiten wollte und dies vor allem nicht für zig Jahre. Zudem habe ich realisiert, dass Zürich bezüglich Arbeitsplatzsituation der spannendere Ort ist», blickt Erni zurück.
Engadin als Quelle der Ruhe
Losgelassen hat Erni das Bündnerland aber nie. «Ich habe das Engadin immer als Rückzugsort beibehalten.» So besitzt er dort etwa eine kleine Jagdhütte, die nicht erschlossen ist – «ein Ort, wo ich komplett offline bin und wohin ich mich, nicht nur während der Jagdsaison, immer mal wieder zurückziehe.» Dieses Sein, ohne Agenda, sucht Erni dabei bewusst. «Auch die Auseinandersetzung mit mir selbst. Gerade während der Jagdsaison bin ich oft ein, zwei Wochen alleine in dieser Hütte. Dabei bin ich mit meinen Gedanken alleine. Das sind gute Momente, um den Kompass fürs Leben zu richten.»
Zur Jagd gekommen ist Erni als Bündner schon früh. «Ich habe bereits in jungen Jahren den Jagdschein gemacht. Meine grosse Leidenschaft sind die Jagd und die Natur.» Zudem bietet ihm die Hütte in den Bergen auch die Möglichkeit, handwerklich zu arbeiten – etwas, das ihm in seinem Alltag fehlt. «Ich arbeite sehr gerne mit Holz, schreinere ein bisschen an der Hütte herum oder schneide die Wege im Wald heraus, die man als Jäger braucht.»
Entwicklungsarbeit mit mia Engiadina
Eine weitere Sache, die Erni unweigerlich mit dem Engadin verbindet, ist das Projekt mia Engiadina – «eine Herzensangelegenheit». Vor rund vier Jahren, bevor Erni zu Microsoft wechselte, initiierte er dieses Projekt zusammen mit Partnern. Den Anfang nahm das Projekt, als das lokale Elektrizitätswerk mit Swissgrid eine Vereinbarung ausarbeitete, die es ermöglicht, eine neue Leitung durch das Engadin zu ziehen, auch für die Glasfaserversorgung.
Im Sinne eines regionalen Entwicklungskonzepts soll nun, zusammen mit dem Glasfasernetz als Mittel zum Zweck, das Engadin als «Ort für kreative Arbeit, Projektarbeit, Ausbildungen oder Workshops» etabliert werden. Dazu wurden, mit Hilfe von Bund, Kanton und verschiedenen Partnern, etwa Co-Working Spaces und ein Public WLAN aufgestellt und neue Business-Modelle errichtet. Im Rahmen von mia Engiadina ist Erni sicher jedes zweite Wochenende in den Bergen. «Das Projekt ist sehr intensiv, gibt mir aber auch viel Energie – aus Liebe zum Engadin.»
Unterstützung erhält Erni dabei auch von seinem Arbeitgeber
Microsoft. «Unser Ziel ist es, das Engadin dank der Digitalisierung zu befähigen, mehr aus seinen Möglichkeiten zu machen. Das ist eine Ableitung der weltweiten Microsoft-Vision, welche Personen und Organisation ebenfalls genau dazu befähigen will», so Erni.
Spuren hinterlassen
Erni ist sich bewusst, dass er sein grosses Engagement in diesem Projekt und bei der Arbeit nicht auf Dauer in dieser hohen Kadenz beibehalten kann. «Man muss schauen, dass verschiedene Bereiche des Lebens genügend zeitlichen Raum kriegen.» Dabei verlässt er sich auch auf sein Bauchgefühl und seine Emotionen. «Ich möchte immer so unabhängig sein, dass ich, wenn es für mich nicht mehr stimmt, weiterziehen kann.»
Gelernt hat er diese Lektion nach seinem Weggang bei Sunrise, wo er nach Alcatel drei Jahre lang nach der geplatzten Fusion mit Orange die neue Strategie für den B2B-Bereich aufstellte und umsetzte. «Dazumal habe ich mir eine Auszeit genommen und überlegt, was für mich der Sinn des Lebens ist. Schnell habe ich gemerkt, dass das Monetäre für mich kein Treiber ist. Vielmehr möchte ich zurückschauen können und die Spuren sehen, die ich hinterlassen habe.» Dies könne etwa durch ein Projekt wie mia Engiadina oder aber auch bei der Erziehung der Tochter der Fall sein, wenn er sehe, dass er ihr die Werte, die ihm wichtig seien, habe vermitteln können.
Eine komplette Rückkehr ins Engadin kann sich Erni derweil nicht mehr vorstellen. «Es ist möglich, dass ich in ein paar Jahren wieder mehr Zeit im Engadin verbringen werde. Aber mein Leben wird immer geprägt sein von Aufenthalten an verschiedenen Orten.» Zu sehr brauche er nebst seinem Rückzugsort Engadin auch das internationale, städtische Umfeld sowie den Austausch mit Menschen aus verschiedenen Kulturen.
Jon Erni
1968 im Engadin geboren, lebte Jon Erni die ersten sieben Jahre in Tschlin, bevor er mit seiner Familie nach Scuol umzog. Nach der Matura am Hochalpinen Institut in Ftan zog es Erni nach Zürich, um an der ETH Elektroingenieurswesen zu studieren. Anschliessend absolvierte er das höhere Lehramt. Seinen Karriereeinstieg fand Erni bei Alcatel, wo er zu Beginn für die Kundenausbildung zuständig war. Gleichzeitig arbeitete er am Hochalpinen Institut in Ftan in einem Teilzeitpensum als Lehrer. Danach hatte er verschiedene Positionen bei Alcatel inne, etwa als Teamleiter von Projektleitern, als Verantwortlicher für die ganze Schweizer Serviceorganisation oder den Verkaufs- und Marketingbereich. Nach einigen Jahren bei Alcatel wechselte Erni zu Sunrise, wo er die Geschäftsleitung im B2B-Bereich übernahm. Nach drei Jahren zog es ihn zu
Microsoft, wo er zuerst während vier Jahren den Grosskundenbereich führte, bevor er Anfang 2017 die Leitung des Public Sectors übernahm. Heute lebt Jon Erni, der in der Familienkapelle Klarinette spielt und einen Executive MBA an der HSG abgeschlossen hat, mit seiner Frau und seiner zehnjährigen Tochter in Thalwil.
(abr)