Text: Barbara Josef
Covid-19 war nicht nur ein Beschleuniger, sondern vor allem auch eine Krise, die uns erlaubt hat, aus der alten Arbeitswelt auszubrechen, Unwichtiges zu ignorieren, explorativ zu lernen, eigene Vorurteile zu hinterfragen und Neues mutig auszuprobieren. Nun gilt es, die Lebendigkeit, die mit Umbruchsituationen einhergeht, gezielt für wünschenswerte Veränderungen zu nutzen, statt sich willenlos anzupassen. Gemäss dem World Bank Home Based Work Index von Dingel & Neuman beträgt der Anteil der Menschen, die nicht ortsunabhängig arbeiten können, in der Schweiz gut 60 Prozent. Umgekehrt formuliert: Die Schweiz nimmt mit einem Anteil von rund 60 Prozent an Erwerbstätigen, die einer wissensintensiven Tätigkeit nachgeht (die Differenz zu den 40% erklärt sich dadurch, dass die erste Erhebung nur Tätigkeiten, die komplett remote ausgeführt werden könnten, einschliesst) weltweit einen Spitzenplatz ein. Diese Aussage kann zusätzlich durch die Tatsache untermauert werden, dass die Schweiz in Bezug auf die Investitionen in den digitalen Arbeitsplatz pro Kopf weltweit führend ist.
Isoliertes Arbeiten als Risiko
Die Schlussfolgerung, dass die Schweiz als Home-Office-Land prädestiniert wäre, ist jedoch auf lange Sicht gefährlich: Bezieht man auch das Bruttoinlandprodukt pro Kopf in die Betrachtung ein, wird deutlich, dass die Schweiz zu den führenden Nationen zählt, ebenso wie bei der durchschnittlichen Einkommenshöhe. Die Schweiz hat sich über Jahrzehnte hinweg erfolgreich zu einem Standort entwickelt, in welchem hohe Löhne für qualitativ hochstehende Dienstleistungen, innovative Tätigkeiten und das Lösen komplexer Probleme bezahlt werden.
Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen: Wir können davon ausgehen, dass ein grosser Anteil der Tätigkeiten, der komplett ortsunabhängig und weitgehend in fleissiger Einzelarbeit ausgeführt wird, mittel- bis langfristig automatisiert beziehungsweise in Länder mit tieferen Lohnkosten verlagert wird. Zweitens lassen sich die geschilderten Tätigkeitsfelder, für welche der Standort Schweiz auch in Zukunft attraktiv ist, nur in einem starken interdisziplinären Verbund bewältigen.
(Quelle: Dingel & Neumann, World Bank Home Bases Work Index, WEF_Future_of_Jobs_2020.pdf (weforum.org))
Also doch wieder 9 bis 5 vor Ort?
Eine Rückkehr zur Präsenzarbeitswelt ist weder nötig noch zielführend: In einem erst kürzlich publizierten Artikel zeigt Carl Benedict Frey auf, dass sich in Bezug auf verteilte Zusammenarbeit seit 2010 eine positive Trendwende abzeichnet. Konkret: Bestand bis 2010 ein negativer Zusammenhang zwischen der physischen Distanz von Forschungsteams und der Anzahl disruptiver Entdeckungen, so hat sich das Blatt in den letzten Jahren überraschend gewendet: Mit der zunehmenden Reife des digitalen Arbeitsplatzes und der Einführung von Enterprise-Social-Networking-Plattformen (wie Slack, Teams, Beekeeper, Jive etc.) wird nicht nur die individuelle Produktivität, sondern auch die soziale Kollaboration gefördert.
Gefragt ist eine sinnvolle Flexibilisierung
Damit der Denk- und Werkplatz Schweiz die digitale Transformation zum Wohl von Menschen und Organisationen gestalten kann, braucht es Unternehmen und Führungskräfte, welche die Einführung von neuen Arbeitsformen und digitalen Arbeitsplatzkonzepten vorausschauend begleiten und so sicherstellen, dass sowohl individuelle Autonomiegewinne als auch organisationale Resilienz und Innovationsstärke resultieren. Und wir benötigen gesetzliche Rahmenbedingungen, welche mit den schnellen Veränderungen der Arbeitswelt Schritt halten und eine sinnvolle Flexibilisierung ermöglichen. Swico hat sich hier bereits mehrmals eingebracht und wird dies auch weiterhin tun: Ein Circle «New Work» ist im Aufbau und wird in der zweiten Jahreshälfte aktiv.
(Quelle: Carl Benedict Frey, How remote collaboration impacts innovation | VOX, CEPR Policy Portal (voxeu.org))
Die Autorin
Barbara Josef begleitet mit ihrer Firma 5-9 Organisationen in Transformationsprozessen Richtung neue Arbeitswelten. Sie hat an der Universität St.Gallen studiert und promoviert und ist Mitglied im Vorstand von Swico.
Barbara Josef, Mitglied im Vorstand von Swico. (Quelle: Swico)
Über Swico
Swico ist der Wirtschaftsverband der ICT- und Online-Branche. Er vertritt die Interessen von etablierten Unternehmen und Start-ups in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Seine über 650 Mitglieder mit ca. 56’000 Mitarbeitenden erwirtschaften jährlich einen Umsatz von 40 Milliarden Franken, insbesondere im Bereich Hardware, Software, Hosting, IT-Services, Consulting, Digitalmarketing und -kommunikation.
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