Künstliche Intelligenz als Gamechanger
Quelle: Unsplash/Pickawood

Künstliche Intelligenz als Gamechanger

KI, Social Commerce und Mobile Shopping sind die aktuellen Treiber für den E-Commerce. ­Hochwertige, nachhaltige Produkte haben das Potenzial, der Konkurrenz aus Asien zu trotzen.
8. Januar 2025

     

Der Online-Handel steht 2025 vor tiefgreifenden technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen. Die aktuelle Studie Onlinehändlerbefragung 2024 der School of Management and Law der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) beleuchtet die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz (KI), Social Commerce und Mobile Shopping sowie den Einfluss asiatischer Plattformen auf den Schweizer Online-Handel. Mit 624 teilnehmenden Onlineshops, darunter 516 aus der Schweiz, bietet die Studie wertvolle Einblicke in aktuelle Trends und Herausforderungen.

Druck aus Asien

Chinesische Plattformen wie Temu und Shein verschärfen den Wettbewerb im Schweizer Online-Handel massiv. Mit aggressiv günstigen Preisen setzen sie Schweizer Händler zunehmend unter Druck und ziehen Kunden an wie Motten das Licht. Temu erreichte allein im Jahr 2023 in der Schweiz einen Umsatz von rund 350 Millionen Franken und sicherte sich damit Platz neun im nationalen E-Commerce-Ranking. In der Schweiz gehören Galaxus, Zalando, Temu und Amazon zu den beliebtesten Marktplätzen der Konsumentinnen und Konsumenten. Trotz intensiver Bemühungen, sich durch hochwertige und nachhaltige Produkte abzuheben, fällt es vielen Schweizer Anbietern schwer, mit den Preismodellen asiatischer Wettbewerber mitzuhalten.


Der Marktdruck spiegelt sich auch in den Kosten wider: Werbung auf Plattformen wie Google und Instagram wird teurer, da besagte Anbieter verstärkt dort auftreten. Dies verschärft die Herausforderungen für lokale Anbieter. Laut Studie sind mehr als 40 Prozent der befragten Händler direkt von diesen Entwicklungen betroffen und sehen sich mit steigenden Werbekosten und einem schärferen Wettbewerb konfrontiert.

Revolution KI

Ein bedeutender Aspekt im Schweizer Online-Handel ist der zunehmende Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Mehr als die Hälfte der befragten Händler nutzt bereits KI-Tools wie ChatGPT für die Erstellung von Produktbeschreibungen oder zur Übersetzung von Inhalten. Diese Anwendungen sparen nicht nur Kosten und Zeit, sondern verbessern auch die Qualität der Texte und optimieren die Auffindbarkeit bei Google – Stichwort SEO –, was wiederum zu mehr Conversions und mehr Umsatz führt. In der Textgenerierung ist die Qualitätssicherung essenziell. Um Information Overload zu verhindern, sollten übermässige Textmengen vermieden werden. Die Verbesserung und Standardisierung von Prompts sowie der Einsatz von KI-Übersetzungstools verbessern zudem die sprachliche Reichweite, beispielsweise durch einen mehrsprachigen Onlineshop.

Automatisierte KI-Lösungen für E-Mail- und Chatbot-Support ermöglichen effizienten Kundenservice, während Verkaufs- und Beratungs-Chatbots eine 24/7-Betreuung bieten können. Durch die Identifizierung häufig gestellter Kundenanfragen lassen sich KI-gestützte Services im Support weiter optimieren und Kundenanfragen kompetent und schnell bearbeiten. KI muss in den Unternehmen trotzdem noch intensiver und gezielter eingesetzt werden. Es ist ratsam, sich fortlaufend einen Überblick über aktuelle KI-Entwicklungen zu verschaffen und diese, etwa zur Pflege und Qualitätssicherung von Produkt- und Stammdaten sowie zur automatisierten Produktklassifizierung, strategisch zu nutzen. Die Förderung kreativer Ideen durch KI kann die Innovationskraft des gesamten Unternehmens stärken.


Erstaunlicherweise wird KI bisher nur begrenzt zur Personalisierung von Angeboten eingesetzt – lediglich neun Prozent der Händler nutzen KI zur individuellen Anpassung von Inhalten. Hier besteht grosses Potenzial für die Zukunft. Die grössten Hemmschwellen für den Einsatz von KI liegen bei fehlendem Know-how, zu wenigen Anwendungsfällen mit Business Impact sowie an zu wenig Zeit, Budget, Personal und Erfahrung und zuweilen an der Qualität der Ergebnisse. Immerhin planen rund 20 Prozent der Händler, ihre KI-Anwendungen in den kommenden Jahren weiter auszubauen, was zeigt, wie viel Dynamik diese Technologie in den kommenden Jahren entfalten könnte.

Social Commerce via TikTok & Co.

Social Commerce, also der Verkauf über soziale Netzwerke wie TikTok, Instagram und Facebook, wird für den E-Commerce zunehmend relevant. Fast ein Drittel der befragten Händler sieht darin einen umsatzstarken Vertriebskanal. Besonders TikTok hat sich als aufstrebende Plattform für direkte Verkäufe etabliert, wobei die Reichweite und der Einfluss von Influencern die Marktdynamik antreiben. Allerdings birgt Social Commerce auch Herausforderungen: Die Entscheidung von Meta, die Shops auf Facebook und Instagram im August 2023 in Europa einzustellen, führte bei einigen Schweizer Händlern zu deutlichen Umsatzeinbussen, da viele Kunden die direkten Einkaufsmöglichkeiten über diese Plattformen genutzt hatten.


Um sich klar von Billiganbietern abzugrenzen, sollte auf hochwertige Produkte und Dienstleistungen gesetzt werden. Eine kontinuierliche Marktbeobachtung und vorausschauendes Handeln helfen dabei, flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Um eine starke Markenbekanntheit aufzubauen, ist professionelle Suchmaschinenwerbung wie Google Ads notwendig, und es empfiehlt sich, gegebenenfalls einen SEO-Spezialisten an Bord zu holen. Auch wenn die Shops auf Facebook & Co. weggefallen sind, sollte das Social-Media-Marketing auf diesen Plattformen nicht vernachlässigt sowie das E-Mail-Marketing personalisiert werden. Auch Investitionen in Video-Marketing können sich lohnen, da Kurz-Videos beliebt sind. Eine regelmässige Überwachung der KPIs im Performance-Marketing macht steigende Werbekosten kontrollierbar.

Mobile Shopping bevorzugt

Ein weiterer zentraler Trend ist das Wachstum des Mobile Commerce. Der Umsatz, der über mobile Endgeräte generiert wird, steigt stetig, und viele Händler verzeichnen mittlerweile den Grossteil ihrer Bestellungen über Smartphones. In der Studie gab ein Händler an, dass 80 Prozent seiner Bestellungen über mobile Geräte abgewickelt werden. Auch die Nutzung nativer Apps nimmt zu: Etwa 27 Prozent der Schweizer Online-Händler bieten ihren Kunden eine eigene App an, 11 Prozent stufen ihre App als umsatzrelevant ein. Vor allem grössere Händler investieren zunehmend in mobile Apps, um das Einkaufserlebnis zu verbessern und Kunden langfristig zu binden.


Die digitalen Vertriebskanäle sollten also breit aufgestellt und kontinuierlich weiterentwickelt werden. Besonders wichtig ist es, den Onlineshop für mobile Geräte zu optimieren oder eben eine App anzubieten. Zudem ist es sinnvoll, Verkauf und Support über Whatsapp einzuführen und Kundenportale auszubauen, um personalisierte Angebote zu integrieren. Die Nutzung von KI-gestützter Preisoptimierung ermöglicht attraktive Preisgestaltungen.

IT und Payment

Die Studienverfasser empfehlen, flexible und erweiterbare Onlineshop-Systeme mit offenen Architekturen zu nutzen oder zu entwickeln. Mobile-Payment-Lösungen wie Twint, Apple oder Google Pay erleichtern den Zahlungsprozess. Paypal, Saferpay, Postfinance, Payrexx und Planet bleiben im E-Commerce die fünf führenden Payment-Service-Provider in der Schweiz. Auch Debitkarten sollten als Zahlungsmethode im Onlineshop akzeptiert werden. Der Kauf auf Rechnung und Debitkarte gehören nach Twint bei jedem dritten Onlinehändler zu den Top 3 der präferierten Zahlungsmethoden. Services wie Card on File können den Kundenkomfort erhöhen, indem Kreditkartendaten nicht manuell eingegeben werden müssen. Ein Beispiel eines modernisierten, globalen Industriestandards für Online-Kartenzahlungen ist Click to Pay, ein Service, der Mitte 2024 auch in der Schweiz eingeführt wurde. Im Gegensatz zu andern Card-on-File-Services müssen bei diesem Service die Karteninformationen nur einmal online hinterlegt werden, egal für wie viele Händler, was das Risiko des Datenklaus senkt.


Auch «Buy Now, Pay Later»-Lösungen sind gefragt. Zudem ist es ratsam, Zahlungslösungen mit biometrischer Authentifizierung wie Gesichtserkennung anzubieten. Um Sicherheit und Vertrauen zu gewährleisten, sollten im E-Shop KI-basierte Lösungen zur Betrugserkennung und Bonitätsprüfung integriert sein. Das reduziert letztlich auch die Kaufabbrüche.

Lager und Logistik

Der Ausbau von Dropshipping für bestimmte Sortimente reduziert Kosten und Risiken. Laut Studie betreibt heute bereits jeder vierte Händler mit einem Teilsortiment Dropshipping, und sieben von zehn sind damit zufrieden. Die Lagerhaltung, einschliesslich Picking und Kommissionierung, sollte unbedingt roboterisiert und automatisiert werden, denn KI-optimierte Lager- und Logistikprozesse ermöglichen schnellere Lieferzeiten. Eine Paketverfolgung garantiert eine planbare und steuerbare Lieferung. Wer sich von der Konkurrenz differenzieren und seine Kundenbindung stärken möchte, kann seine Retouren-Freundlichkeit durch kostenlose Retouren, Retouren-Etiketten und wieder verschliessbare Pakete verbessern.


Nachhaltige Produkte, einschliesslich entsprechender Labels und Zertifikate, sind im Trend. Für diese Produkte und Services empfiehlt es sich für eine gezielte Auswahl eine Filterfunktion im Onlineshop einzubauen. Die Möglichkeit zur CO2-Kompensation für Verpackung und Versand stärkt zudem die Nachhaltigkeitsstrategie eines Unternehmens.

Chancen und Herausforderungen

Noch nie war (Online)-Handel so schwierig wie heute. Die Ergebnisse der Onlinehändlerbefragung 2024 der ZHAW und FHNW verdeutlichen die starken externen Einflüsse auf den Schweizer Online-Handel. Trotzdem ist bei 58 Prozent der Studienteilnehmer der Online-Umsatz 2024 mehr oder weniger stark gewachsen.

Um in diesem dynamischen und globalen Markt­umfeld weiterhin bestehen zu können, müssen Händler flexibel bleiben. Der gezielte Einsatz von KI und die Integration von Social Commerce bieten Chancen, um sich zu differenzieren und die Effizienz zu steigern.


Das Potenzial von KI in der Personalisierung von Inhalten und Angeboten sowie im Bereich Analytics – etwa bei der Datenanalyse, Preisgestaltung und Prognosemodellen, wird noch zu wenig genutzt. Doch gerade die gezielte Datenauswertung und Optimierung des Pricings können einen direkten Wettbewerbsvorteil schaffen. Zudem nutzen Konsumentinnen und Konsumenten zunehmend fokussierte Shopping-Apps für ihre Einkäufe, die Conversion Rates erzielen, die fünf- bis zehnmal höher sind als jene herkömmlicher Onlineshops. Eine Chance für IT-Reseller und Distributoren, ihren Kunden auf die Sprünge zu helfen.

Zugleich gilt es, Herausforderungen wie den steigenden Kostendruck und den Fachkräftemangel zu bewältigen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Die technische und fachliche Spezialisierung der Mitarbeitenden ist daher essenziell. Sie sollte vor allem in den Bereichen SEO, Social Media, Content Marketing, Analytics, Automation und KI regelmässig durch Aus- und Weiterbildungen gefördert werden. Wer Fachpersonal sucht, insbesondere im Bereich KI und Automation, sollte auch nicht die Nachwuchsförderung vergessen. Der Schweizer Online-Handel steht vor einem Wendepunkt, an dem Innovation und Anpassungsfähigkeit entscheidend sind.

Die Autorin

Quelle: Worldline
Diana Hurni ist seit dem 1. Juli 2024 Managing Director von Worldline Schweiz. In der Zahlungsbranche ist sie seit rund dreizehn Jahren tätig. Bei Worldline Schweiz führt Hurni weiterhin als Co-Head das Merchant-Services-Geschäft, das sie zuvor bereits als Head Direct Sales Schweiz und stellvertretende Verkaufsdirektorin Schweiz verantwortete.


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