IT Reseller: 1+1 ergibt bei Fusionen selten 2, erst recht nicht bei
Alltron / COS. Wieviel Umsatz haben Sie seit der Alltron-Übernahme verloren?
Fredy Staudacher: Genau kann ich das nicht sagen. Aber es war sicher nicht mehr als 1. Diese Erfahrung haben aber auch andere Unternehmen gemacht. Ich habe noch nie erlebt, dass 1+1 drei ergibt.
ITR: Viele gute Leute sind im Integrationsprozess weggegangen. Auch das dürfte zurzeit noch ein Handicap sein...
FS: Es stimmt, wir haben sicher auch gute Leute verloren, auch den einen oder anderen mit einer Schlüsselfunktion. Das passiert bei jeder Übernahme. Es treffen immer zwei Kulturen aufeinander, und es gibt immer Leute, die sich damit nicht abfinden können.
Wir haben nun Einzelgespräche geführt. Wir haben gefragt: «Seid ihr bereit, am Neuaufbau mitzumachen? Seid ihr bereit, zu kämpfen und vielleicht noch ein bisschen mehr zu geben?» Man sieht schon jetzt, im ersten Quartal 02, dass die Mitarbeitenden nicht nur bereit sind, länger zu arbeiten, sondern sich klar dazu bekannt haben, unser Schiff wieder flottzumachen. Das betrifft nicht nur das Management-Team, sondern auch den Mitarbeiter im Lager, der sich Mühe gibt, Verbesserungen zu finden.
Roland Apelt: Wir brauchen jetzt auch einen anderen Menschentyp. Bei einem Start-Up auf der «grünen Wiese» brauchen Sie einen anderen Führungsstil als Teil eines Konzerns. Nicht jeder, der allein gut ist, ist auch gut in der Gruppe.
Ich habe für die Mitarbeitenden ein Bild gemacht. Da ist dieser Mann, ich habe ihn Allfons Coswill getauft. Er ist mächtig und kräftig und sagt: «Schaut mal, wie gross ich bin. Mir kann nichts passieren.» Er nimmt da noch ein Stück Torte, frisst sich dort noch ein Stück Speck an. Er macht noch mehr Umsatz – dreht ein noch grösseres Rad. Beim Treppensteigen im Markt merkt er dann, dass der Bauch ein bisschen im Weg ist. Noch eine Zigarre, noch ein grösseres Auto. Irgendwann liegt er flach – Herzinfarkt – Intensivstation.
Schauen wir uns diese Metapher weiter an: Es gibt eine medizinische Grundversorgung: die Holding. Sie hat die Pflicht, den Patienten am Leben zu erhalten. Deshalb muss sie dem Patienten Diät verordnen. Salat, keine Zigarren mehr und jeden Tag sportliche Ertüchtigung. Abspecken. Das tut weh, ist aber eine faire Chance, wieder zu gesunden. Wir machen jetzt aus dem dicken Allfons Coswill einen Marathonläufer.
ITR: Das klingt gut. Aber die Image-Probleme kriegen Sie mit Metaphern nicht weg. Euer Mitbewerber lächelte, die Kunden beobachten Euch sehr genau. Was tun Sie dagegen?
FS: Es stimmt, wir haben ein Imageproblem. Aber wir können stolz auf die Ergebnisse der letzten drei Monate sein.
Wir haben bei Service und Qualität konkrete Steuerungsmechanismen eingebaut. Letztes Jahr haben wir ein modernes Callcenter eingebaut. Unterdessen sind wir über die Hauptnummer zu 97% erreichbar. Das ist bei täglich 550 bis 600 Anrufen nicht schlecht.
RA: Mir ist es egal, wenn Mitbewerber lachen. Wenn einer zum Kunden sagt: «Stör mich nicht, ruf mich nicht an, du bist zu klein», kann er gerne über uns lachen.
Wer sind denn unsere Konkurrenten? Es gibt Broadliner, das sind wir nicht und wollen es auch nicht sein. In fünf Jahren gibt es vielleicht keine PC-Hersteller mehr. Dann gibt es die «Mainframer» wie
Magirus, die Netzwerker und andere Spezialisten. Wir fokussieren auf Komponenten, Peripherie und mobile Lösungen für den KMU-Markt. Da müssen wir uns differenzieren.
Wir werden Zusatzdienste anbieten, die wir nicht vom Preis der Produkte oder vom Umsatz des Kunden abhängig machen.
RA: Zum Beispiel Beratung und Produkte-Know-how.
FS: COS war und ist dem KMU-Segment verpflichtet. Das sind keine leeren Worte auf Powerpoint-Folien.
RA: Der Markt ist immer ähnlich segmentiert. Etwa 50% des Umsatzes entfällt auf kleine Player. Wenn ein Hersteller nur die Grossen anhört, fehlen ihm 50% der Informationen.
FS: Kein Hersteller hat wirkliche Kundennähe im KMU-Segment, ausser er verbuttert sehr viel Geld. Die Hersteller suchen uns also als Anknüpfungspunkt zum Kunden. Wir sagen ihm, was die Kunden wollen und wer welche Bedürfnisse hat.
RA: Ausserdem definieren wir unsere Rolle genau. Wir sind Grosshändler und beschaffen weltweit, verkaufen also nicht direkt.
ITR: Wie gross ist der Druck auf Sie? Bis wann muss
COS Distribution Schweiz wieder profitabel arbeiten?
RA: Die Holding spielt zurzeit den Lebensretter für COS Distribution Schweiz. Wir werden den Patienten zum Laufen bringen, aber wir wiegen ihn und kontrollieren die Diät. Fredy steht sozusagen unter ärztlicher Kontrolle, und Apelt ist der Arzt.
FS: Es gibt keine klar definierte Zeitlimite. Über erste Erfolge werden wir bereits im Mai berichten können, aber natürlich brauchen wir Zeit. 2002 ist das Jahr des Turnarounds.
Wir haben schon im ersten Quartal 02 neue Kunden gewonnen. Diese Neukunden haben wir aus eigener Kraft geholt, nicht geerbt. Wir haben keine Umsatzbarrieren, und wir wollen auch junge Leute, die etwas aufbauen, als Kunden gewinnen.
ITR: Der Zweck von multinationalen Distributoren-Gruppen sind Synergien zwischen den einzelnen Ländern. Sind solche bei COS sichtbar?
RA: Jede Landesgesellschaft hat das Recht und die Pflicht, eigene Vertriebsverträge abzuschliessen. Die Verantwortung liegt in den einzelnen Ländern. Die Holding tritt hingegen gegenüber dem Hersteller als virtuelle Einheit auf. Dieser Job wird mehr und mehr durch COS IP übernommen.
FS: Die Produktmanager im Bereich Komponenten haben täglichen Kontakt. Davon profitieren wir heute schon. Am Morgen wird der Bedarf diskutiert, dann wird bestellt.
ITR: COS Distribution hat bezüglich der eingesetzten Software einen Rückstand von etwa zwei Jahren gegenüber der Konkurrenz. Wie überbrücken Sie die Zeit bis zum Einsatz des neuen SAP-Systems?
FS: Wir haben viel in unser System gesteckt und arbeiten kontinuierlich an unseren E-Commerce-Fähigkeiten. Noch sind wir nicht dort, wo die Konkurrenz steht, aber wir setzen heute etwa 20% über E-Commerce um.
Unser grosser Vorteil ist, dass wir dem Kunden Realtime-Lagerinformationen zeigen. Den E-Shop werden wir laufend ausbauen – bis hin zu einem Portal für Reseller. Und unser webbasierendes RMA-Tool ist absolut auf der Höhe der Zeit. Wenn einer aber lieber einen Fax schickt, dann ist das für uns kein Problem.
ITR: Zum Schluss: Würden Sie den Job bei COS heute wieder annehmen?
FS: Ganz klar ja! Ich kann bei meinem Job etwas bewegen, und ich habe viel Spass in unserem Team. Wir fahren in Windeseile eine «Winning back»-Strategie. Das Ziel ist, Entscheide schnell umzusetzen. Das kann man nicht überall.
RA: COS hatte im vergangenen Jahr eine schwere Zeit. Aber mich fasziniert das Potential. Es ist genug Kapital da, um etwas aufzubauen. Mir gefällt es, an prominenter Stelle mitzubauen.
Ich setze mich gerne auch über 100% ein, aber ich will das mit Leuten tun, die mir etwas bringen. Mit Profilneurotikern tue ich mich schwer. Bei COS habe ich ein gutes Kollegium gefunden.
(Interview: hc)