Steven Raymund über Konsolidierung, Dell und die Zukunft von Tech Data

Der weltweit zweitgrösste Distributor, Tech Data, wurde, zumindest was die Gewinne betrifft, von der Nachfrageflaute weniger hart getroffen als Konkurrent Ingram Micro. CEO Steven Raymund sagt im Exklusiv-Gespräch mit IT Reseller, warum.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2002/18

     

IT Reseller: Distributoren wie Tech Data müssten theoretisch ihre schiere Grösse nützen können. Warum ist ein Disti wie Tech Data trotzdem wesentlich weniger profitabel als beispielsweise Also ABC? Werden die «economies of scale» je zum Tragen kommen?
Steven Raymund: Ich bin gar nicht so sicher, ob die «economies of scale» nicht bereits heute Wirkung zeigen. Ingram und Tech Data sind in den meisten lokalen Märkten unter den Top-3. Das ist kein Zufall. Aber die europäischen Märkte sind sehr komplex. Also kann es in einem einzelnen Land einen lokalen Disti unter sehr guter Führung geben, der lange Zeit einen guten Job macht. Das Problem mit diesem Modell ist, dass es nicht flexibel ist.
Was passiert, wenn dem Gründer etwas passiert, die lokale Wirtschaft schwächelt oder einzelne Linien Probleme haben? Die Zeit ist auf der Seite von Firmen wie Tech Data. Wir haben viele gute lokale Konkurrenten, vor denen ich viel Respekt habe. Langfristig wird sich jedoch unser Modell durchsetzen.
Die «economies of scale» funktionieren eben doch. Wir werden Wege finden, europaweit besser einzukaufen, und wir werden unsere Backoffice-Funktionen europaweit zentralisiert günstiger und besser erbringen können. Wir können bei einem Umsatz von 16 oder 17 Milliarden Dollar viel mehr in unsere IT-Infrastruktur investieren als ein lokaler Player mit vielleicht einer Milliarde Franken Umsatz.
Ein weiterer Faktor ist die Vielfalt der Produkte. Wir können die ganze Reseller-Landschaft mit einem breiten Spektrum von Lösungen bedienen. Ein Nischen-Disti ist abhängig von einer Technologie oder einer schmalen Kundenbasis. Für ihn ist es schwierig, im Backoffice eine ähnliche Effizienz wie wir zu erreichen. Wir haben die weltweit niedrigsten Backoffice-Kosten. Solange wir es schaffen, gegen aussen die spezifischen Bedürfnisse der Reseller mit spezialisierten Einheiten anzusprechen, haben wir eine mächtige Verbindung: sehr tiefe Verwaltungskosten, kombiniert mit sehr gutem Front-Office.
ITR: Es gibt für mich ein «Aber». Sowohl Tech Data wie auch Ingram haben immer irgendwo ein Problem, das viel Geld kostet. Wird eine riesige Firma wie Tech Data jemals kein gröberes Problem irgendwo haben?
SR (lacht): Ich hoffe doch sehr. Wenn sie in 20 verschiedenen Ländern aktiv sind, scheint es immer eine oder zwei Niederlassungen zu geben, die irgendwie krank werden. Aber wir haben die Ressourcen und die Fähigkeiten, solche «Problemländer» wieder auf Vordermann zu bringen. Wir hatten vor ein paar Jahren ja auch Probleme in der Schweiz.
Wären wir ein lokaler Disti gewesen, würde es uns hier vielleicht nicht mehr geben. Aber weil Tech Data Schweiz Teil einer grösseren Gruppe ist, konnten wir Zeit, Geld und Ressourcen investieren, um die Probleme zu lösen.
Im Laufe der Zeit werden sie bedeutende Ertragsverbesserungen bei Tech Data Schweiz feststellen. Weltweit gesehen haben wir weniger Probleme als früher. Vor drei Jahren hatten wir massive Schwierigkeiten in Holland, in Dänemark, in der Schweiz und Spanien. Alle diese Länder wurden reorganisiert. Ich denke, wir haben heute die richtige Infrastruktur, um solche Probleme frühzeitig zu erkennen und proaktiv zu beheben. Natürlich sind wir nicht perfekt und haben noch einiges zu tun. Aber das einzige wirkliche Problem zurzeit ist die generell schwache Nachfrage. Zurzeit ist es frustrierend: Wir wissen, dass wir sehr viel besser arbeiten als früher, aber es schlägt sich nicht in den Umsatz-zahlen nieder, weil der Markt so schwach ist.
ITR: Michael Kaack von Ingram sagte uns, er sehe keine Existenzberechtigung für mittelgrosse Broadliner. Was sagen Sie dazu?
SR: Ich bin mit ihm einverstanden. Es gibt zu viel Distributionskapazität im Markt, und viele Distis überleben nur mit Mühe. Sie könnten aus zwei Gründen in ernsthafte Probleme geraten. Erstens könnte ihnen das Geld ausgehen, da Bankkredite immer schwieriger zu bekommen sind. Und zweitens gibt es die Tendenz der grossen Hersteller wie Cisco oder HP, die Anzahl der Distis zu reduzieren. Eine HP fragt sich doch heute, ob sie wirklich sechs Distis in Spanien braucht. Die Hersteller wollen sich das Leben einfacher machen und ihr Kreditrisiko reduzieren.
Ich glaube, wir werden einen Shake-Out erleben.
ITR: Tech Data bietet heute mehr und mehr Services an, die früher typischerweise vom Reseller erbracht wurden. Ich denke da an Finanzierung, Drop-Shipment, Marketing-Services etc. Nicht alle Reseller haben da Freude daran. Was antworten Sie ihnen?
SR: Ich sage ihnen, dass wir diese Dinge machen, weil unsere Reseller diese Services von uns wollen. Nehmen wir Drop-Shipment. Viele Reseller haben wenig Interesse daran, ihre eigene Logistik-Abteilung zu managen. Sie finden es vorteilhaft, Beschaffungsservices outzusourcen und konzentrieren sich auf die Dienste, wo sie Mehrwert hinzubringen können. Wir erbringen diese Services nicht, weil wir unsere Reseller konkurrenzieren wollten, sondern weil wir sie konkurrenzfähiger machen wollen. Wenn jemand unsere Services nicht mag, braucht er sie nicht zu kaufen.
Generell sehen wir einen Trend zu mehr Spezialisierung. Wir werden das virtuelle Backoffice des Resellers, weil wir diese Dinge besser und günstiger erbringen können. Ich kenne keinen einzigen Fall, wo wir einen Reseller konkurrenzieren würden. Die Reseller sollten sich eher vor Firmen wie Also in acht nehmen, die selbst ein sehr grosses Enduser-Geschäft betreiben. Man sollte vorsichtig damit sein, seine Beschaffung zu einem potentiellen Konkurrenten outzusourcen. Tech Data wird die Kundendaten der Reseller nie dazu benützen, den Reseller zu konkurrenzieren.

ITR: Wie sieht der «ideale Reseller» der Zukunft für Sie aus? Was wird er tun?

SR: Wir sehen in den USA, dass erfolgreiche Reseller sich mehr in Richtung mehrwertschaffender Spezialisierung orientieren. Es gibt noch viele traditionelle Reseller. Aber je mehr die Beschaffung von Hard- und Software zu einer Commodity wird, desto grösser wird das Risiko mit diesem Business-Modell.
Ein Reseller sollte Mehrwert durch Technologie-Know-how schaffen. Er muss Expertenwissen besitzen, das es woanders nicht gibt. Nehmen wir das Beispiel Security. Ein Experte kann um das Thema Sicherheit herum Massenspeicher, Backup-Systeme und Security-Software verkaufen. Wer keinen einzigartigen technologischen Mehrwert einbringen kann, wird mehr und mehr herausgefordert sein.
Wenn man genau hinschaut, ist jeder erfolgreiche US-VAR in einer Nische positioniert. Sogar grosse Reseller wie Computacenter in Grossbritannien verändern ihr Geschäftsmodell, weg vom Boxmoving hin zu Managed Services.
ITR: Lasst uns über Dell sprechen. Wie schätzen Sie die Whitebox-Initiative von Dell ein? Wie reagiert Tech Data?
SR: Es ist ein interessanter Aufbruch von Dell. Bis heute hat Dell immer die Tugenden des Direktverkaufs betont, nun kommt eine Kehrtwende. Sie umarmen zum ersten Mal mindestens einen Teil des Channels.
Ich glaube, es gibt zwei Gründe: Der offensichtliche Grund ist, dass Dell die Fabriken noch besser auslasten will. Ich sehe einen weiteren, weniger offensichtlichen Grund: Wenn Dell, und ich denke es ist so, in Richtung Netzwerkausrüstungen und Drucker expandieren will, werden sie zusätzliche Kanäle brauchen. Dell will jetzt lernen, wie man mit einem Reseller-Kanal umgeht.

ITR: Wird Tech Data selbst No-name-PCs anbieten?

SR: Wir könnten vielleicht auch Whiteboxen anbieten. Aber wir werden sie nicht selber herstellen. Es gibt einen Markt für BTO (Build-to-order)-Maschinen. Aber es braucht ziemlich spezialisiertes Know-how, und ich glaube nicht, dass wir dieses haben. Viele PC-Hersteller verlieren heute Geld.
Möglicherweise wäre aber eine Partnerschaft mit einem grossen BTO-Hersteller interessant. Bis heute kam eine solche aber nicht zustande.

ITR: Könnte Dell dieser Partner sein?

SR: Dell ist ein grosser Kunde von uns. Ich wäre nicht überrascht, wenn unsere Beziehung sich vertiefen würde. Co-opetion ist eine Realität in der IT-Welt. Wir konkurrenzieren uns auch mit HP, obwohl HP ein sehr wichtiger Partner von uns ist.
ITR: Was halten Sie von den Versuchen Dells, in weitere Märkte wie Drucker, Netzwerk-Komponenten oder Storage vorzustossen. Sind diese Versuche eine Gefahr für Tech Data?
SR: Dell ist natürlich eine sehr entschlossene, erfolgreiche und vor allem ressourcenreiche Firma. Man darf Dell nicht unterschätzen. Gleichzeitig sind die neuen Geschäftsfelder von Dell aber sehr verschieden von den bisherigen. Die Geschäftsmodelle und Erfolgsfaktoren sind ganz anders. Dells Kerngeschäft ist das Beherrschen der Lieferkette und der Aufbau einer Marke. Aber Dell ist keine «IP (intellectual property)-Company», keine Firma, die viel geistiges Eigentum besitzt.
Im neuen Business muss Dell selber Technologie entwickeln. Das ist viel schwieriger. Im Printergeschäft geht alles um Technologie und «economies of scale». Wir werden sehen, wie Dell sich in diesem Markt schlagen kann.
ITR: In der Schweiz reden alle über Krise. Wir glauben, es ist weniger eine Krise denn ein Reiferwerden der IT-Industrie. Was bedeutet dieser Vorgang für Tech Data? Tech Data muss sich auch verändern...
SR: Ich teile diese Einschätzung. In der Vergangenheit konnte das Marktwachstum viele Sünden zudecken. Jetzt müssen wir mit dem leben, was wir haben. Es braucht andere Einstellungen und ein neues Business-Modell. Ich denke, dieser Trend bevorzugt die grossen Distributoren, die weiter investieren können und diversifiziert sind.

ITR: Wie sieht das veränderte Business-Modell konkret aus?

SR: Auf lange Sicht wird es mehr Standardisierung der Prozesse geben. Man wird ebenfalls mehr Rationalisierung der Back-Office-Funktionen erleben. Ich denke da vor allem an Euroland. Gleichzeitig werden wir aber die lokale Identität gegenüber den Kunden behalten. Natürlich kann ich nicht genau voraussagen, wie es im Detail aussehen wird. Sicher ist, dass wir unsere Prozesse vereinheitlichen und so Kosten rausnehmen. Mit der Zeit werden wir auch in Europa die Vorteile unserer Grösse nützen können.
Ein Beispiel sind Beschaffungsprozesse, die wir zentralisieren. Cisco-Produkte werden zentral bestellt und gelagert. Damit können wir ein tieferes Sortiment an Lager nehmen. Das gleiche gilt für Supplies, die wir containerweise kaufen, oder auch Harddisks. Als Resultat haben wir einige Marktanteile im Cisco-Markt und riesige Marktanteile im Speicher-Markt gewonnen.
Es gibt aber noch viele Redundanzen und damit Rationalisierungspotential bei uns.
ITR: Kann man zusammenfassen, dass die Grösseneffekte erst in den kommenden Jahren richtig greifen werden?
SR: Wir werden in den nächsten fünf Jahren viel mehr Veränderungen erleben als in den vergangenen fünf. Wir müssen unsere Prozesse besser in den Griff bekommen und werden die Hürden für unsere Konkurrenz laufend höher setzen.
ITR: Eine persönliche Frage. Wie gehen Sie mit schlechten Zeiten um? In den USA musste Tech Data ja auch ziemlich viele Stellen abbauen. Was zeichnet einen Manager in schlechten Zeiten aus?
SR: Es gab Zeiten, wo es mehr Spass machte, zur Arbeit zu gehen. Wir haben in den letzten zwei Jahren etwa 2000 Stellen abgebaut. Nur etwa ein Fünftel des Abbaus führte zu Entlassungen. Entlassungen sind immer die letzte Möglichkeit.
ITR: Ich stelle mir vor, Sie brauchen als Manager heute völlig unterschiedliche Fähigkeiten als vor drei Jahren?
SR: Ich bin seit 22 Jahren bei Tech Data. Mein Job hat sich seitdem jedes Jahr verändert, und ich bin es gewöhnt, mich selbst auch zu verändern. Ich glaube, dass wir aufgrund unserer Erfahrung fähig waren, die Veränderungen des Marktes früher als andere zu verstehen und zu reagieren. So konnten wir die Schmerzen für die Firma minimieren. Wir konnten unsere Profitabilität, im Gegensatz zu Ingram, erhalten und mussten nie grössere Restrukturierungskosten tragen.
Wir sind eine sehr sparsame Firma. Unser CFO ist ein Pfennigfuchser, der auf jeden Penny achtet. Wir sind sehr konservative und sehr vorsichtige Leute und gehen keine Wetten auf zukünftiges Wachstum ein. So haben wir den Sturm besser als viele andere gemeistert. Natürlich bleiben Narben zurück, aber wir verdienen Geld.
ITR: Sie haben persönlich im vergangenen März Tech-Data-Aktien verkauft. Haben Sie selbst kein Vertrauen mehr in die Firma?
SR: Ich verkaufe jedes Jahr seit 1986 Aktien von Tech Data und bin immer noch der grösste private Aktionär. Ich diversifiziere mein eigenes Portfolio, denn ich will nicht mein ganzes Geld in einer einzigen Firma investiert haben. Aber noch besitze ich mehr Aktien von Tech Data, als ich je verkauft habe.
(Interview: hc)


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