Die Aktienkurse des börsenkotierten Value-added Distributors (VAD) Azlan machten vorletzten Freitag einen Freudensprung. Der Grund: Tech-Data-Chef Steve Raymund machte den Azlan-Aktionären ein Übernahmeangebot. Raymund ist bereit, für Azlan tief in die Schatulle zu greifen. 235 Millionen Dollar will Raymund für den britischen Netzwerk-Disti in bar bezahlen, glatt 40% mehr als der aktuelle Börsenwert der Firma vor dem Angebot.
Raymund sagte in einer Telefonkonferenz mit Investoren, er rechne mit einem «Goodwill» (Differenz zwischen innerem Wert und dem Preis einer Firma) von etwa 100 Millionen Dollar. Der Deal sollte Ende März abgeschlossen sein, falls Wettbewerbsbehörden und Azlan-Aktionäre das Angebot annehmen.
Überraschung bei Azlan, Verunsicherung bei Resellern
«Wir waren überrascht und auch ein bisschen vor den Kopf gestossen», sagt ein Schweizer Azlan-Mitstreiter, der es vorzieht, nicht mit Namen in der Presse zu erscheinen. Wenn schon, habe man hausintern eher mit einer Übernahme durch Ingram gerechnet, so der Insider. Azlan-intern wurden bis letzte Woche keine konkreten Vorstellungen, wie die Übernahme über die Bühne gehen soll, kommuniziert. Dies sorgt natürlich für Verunsicherung, vor allem bei Leuten im Backoffice-Bereich (Buchhaltung etc.), die am ehesten von einem künftigen fusionsbedingten Stellenabbau bedroht sind.
Auch Azlan-Kunden scheinen nicht durchs Band begeistert. So waren auf IT Reseller Online einige Kommentare zur geplanten Übernahme zu lesen. So schrieb etwa D. Gadgil, Geschäftsführer der Winterthurer Wintime GmbH: «Die Meldung, dass Tech Data nun Azlan kaufen möchte, stimmt mich persönlich gar nicht froh. Im Customer Relationship Management stufe ich Azlan doch weit besser ein als die
Tech Data. Die Gefahr besteht nun, dass aus Synergiegründen gewisse Abläufe und Arbeiten zentralisiert werden, und die Reseller stehen plötzlich wieder einem unpersönlichem Gebilde namens Tech Data gegenüber.»
Ironie der Geschichte: Azlan wird ausgerechnet jetzt von Auszeichnungen überschüttet. Im November gewannen die Netzwerker den IT Reseller Disti-Award, vergangene Woche kam die Ehrung als «Cisco Distributor of the year» dazu.
Prophet Weissmann?
Betrachtet man den Hintergrund des «friendly takeovers», ist das Angebot von
Tech Data so überraschend doch nicht. Der Broadliner Tech Data versuchte schon seit längerem, einen VAD-Arm mit Fokus auf Netzwerk in Europa aufzubauen. Bisher scheint man aber keine grossen Stricke zerrissen zu haben. Ganz anders als Erzkonkurrent Ingram, der in Europa mit dem VAD Compushack ein grosser Player ist.
Mit Azlan gewinnt Tech Data auf einen Schlag einen grossen und profitablen VAD mit etwa 450 Mio. Dollar Umsatz und einem operativen Gewinn von ca. 10 Mio. Dollar. Azlan bietet neben reinen Distributionsdiensten vor allem auch Ausbildung/Zertifizierung und Engineering-Dienstleistungen. Ausserdem führt Azlan ein ziemlich komplettes Sortiment für Netzwerk-Bau und Systemintegration. Zu den vertretenen Linien gehören neben
Cisco auch
Enterasys,
3Com,
Nortel, Computer Associates, RSA und
Citrix.
Falls es Tech Data gelingt, die Stärken von Azlan zu bewahren, könnte aus der Kombination Tech Data / Azlan ein durchaus schlagkräftiges Tandem entstehen. Azlan brächte Services und Kundennähe und Tech Data die Lagerhaltung und die günstigere Kostenstruktur in die «Ehe» ein – keine sehr gemütliche Perspektive für lokale Konkurrenten.
Beide Firmen gehören – im Gegensatz zum gewichtigsten hiesigen Konkurrenten
Also ABC – zum exklusiven Kreis der Distis, die von Cisco direkt beliefert werden. Fusionieren die beiden, könnte Cisco tatsächlich versucht sein, einen weiteren Disti zum Direkt-Partner zu machen. Und da bietet sich die European Wholesale Group (EWG). Die EWG wurde von Also-Chef Thomas Weissmann im letzten Oktober zusammen mit drei weiteren, unabhängigen europäischen Distributoren ins Leben gerufen. Hauptziel des Bündnisses ist es, das nötige Gewicht bei grossen Herstellern, wie Cisco einer ist, zu erreichen. Die Gründung der EWG scheint also gerade zum rechten Zeitpunkt erfolgt zu sein. (hc)