Lahmer Start zum Messe-Marathon

Wenn es auf Messen zögernd losgeht, ist die Floskel «der erste Tag ist traditionell immer etwas ruhiger» Ausdruck letzter Hoffnung. Wenn die Cebit allein von letzten Hoffnungen leben könnte, stünde ihr eine glänzende Zukunft bevor.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2003/05

     

Bevor die Cebit 2003 die Pforten für die Besucher öffnete, hätte man den Eindruck gewinnen können, die Zeit sei um fünf Jahre zurückgedreht worden. Rundfunk und Fernsehen berichteten von Sonderzügen und Sonderflügen.
Doch schon auf dem Weg zum Messegelände relativierte sich das Bild. Die für die Weltausstellung ausgebaute Infrastruktur tut ihr Übriges, um die Besucherströme zu dirigieren, und deshalb ging die Anfahrt reibungsloser vonstatten, als es den Verantwortlichen lieb war.
In den Hallen waren Spuren der 700 Aussteller auszumachen, die dieses Jahr nicht den Weg nach Hannover gefunden haben. Trennwände und grosszügige Stauräume, Sitzgelegenheiten und nicht selten Buden an den Aussenwänden täuschen Fülle vor, wo gähnende Löcher klaffen würden. Nimmt man den ersten Tag als Omen für den Erfolg oder Misserfolg der weltweit grössten IT-Messe, wurde der Start schon mal verpatzt.

Geschrumpfter Schweizer Gemeinschaftsstand

Ähnlich gemischt fiel auch die Reaktion der Schweizer Aussteller auf der Cebit aus. Insgesamt waren 57 Unternehmen alleine oder als Teil internationaler Konzerne mit ihren Produkten auf der Messe vertreten. Die Palette reichte von CRM-Anbietern bis zu Druckmaschinenbauern, wobei der Schwerpunkt der Tradition entsprechend bei den Software-Herstellern lag.
Auch wieder mit dabei war der Schweizer Gemeinschaftsstand (Bild), als Kooperation zwischen der Osec Business Network Switzerland und dem Swiss Technology Award. Der kleinen Gruppe unter dem Zeichen der Eidgenossen ging es allerdings wie der ganzen Cebit, sie schrumpfte. Lediglich 16 Aussteller waren im Verzeichnis des Gemeinschaftsstandes zu finden.
Nur sechs Personen nahmen am Rundgang während des «Schweizertages» teil. Mit den Ländertagen soll während der Messe besonderes Augenmerk auf Technologien und Anbieter einzelner Länder gelenkt werden. Wenn aber weniger als die notwendige Anzahl der Spieler für eine Handballmannschaft antritt, gerät so etwas leicht zur Farce. Auch der Stand war, sicherlich aufgrund der geschrumpften finanziellen Mittel, weniger eindrucksvoll als noch vor zwei Jahren.
Dabei hatte man einen Teil der möglichen Mitaussteller selbst vergrault. Während den Veranstaltern durchwegs gute bis sehr gute Noten für die Arbeit vor Ort gegeben wurden, hatte man im Vorfeld durch selbstherrliches Gebaren für Unmut und Abwanderung gesorgt. Wer Ausstellern keinerlei Möglichkeit gibt, im Vorfeld einer so wichtigen Messe Wünsche, Anregungen und notwendige Eckdaten in die Planung einzubringen, sondern nach der Methode Vogel friss oder stirb Stellfläche zuweist und sich bei der Kommunikation auf das Schreiben von Rechnungen beschränkt, lässt das Fingerspitzengefühl vermissen.

Bison und Ixos optimistisch

Prominentester Aussteller unter den verbliebenen Treuen war die Bison Group. Der Spezialist für betriebswirtschaftliche Software-Lösungen stellte überarbeitete Versionen seiner ERP-Lösungen «alpha.px2» und «Bison Solution» vor, wobei der Trend zu grafischen Elementen geht, die den Arbeitsalltag mit der häufig recht komplexen ERP-Software deutlich vereinfachen sollen. Hinzu kommt, dass die Administration erleichtert wird, indem das Programm browsergestützt auf dem Client vorhanden ist.
Rainer Kiefer, Geschäftsführer von Bison Deutschland, sieht gelassen in die Zukunft. «Bison ist einer von lediglich sechs Independent Software Vendors (ISV) von IBM» sagt er, und unterstreicht damit die gesicherte Position innerhalb des ERP-Marktes. «Wir erwarten für 2003 eine Belebung des Marktes und ein gegenüber dem Vorjahr verbessertes Ergebnis, trotz der weiterhin angespannten Lage.»
Noch optimistischer sieht man die Lage bei Ixos/Obtree. Die bitteren Pillen, besonders den Personalabbau und die Aufgabe des Service-Geschäfts, hatte die Obtree schon vor der Übernahme durch Ixos hinter sich gebracht. Das jetzt geläuterte Unternehmen stellt nach Aussage von Jens Rabe, Chief Marketing Officer für Obtree, eine wertvolle Ergänzung des Mutterkonzerns dar. «Wenn wir nicht übernommen worden wären, wäre eine strategische Partnerschaft das nächst Sinnvolle gewesen», beschreibt er die Rahmenbedingungen der Übernahme. «Während die Produkte von Ixos oft vom Kunden unbemerkt im Hintergrund laufen, ist Obtree C4 ein klassisches Frontend-Produkt, das nicht nur die Produktpalette ideal abrundet, sondern auch für deutlich mehr Aufmerksamkeit und Beachtung für Ixos beim Kunden sorgt».
Die Reaktion seitens der Lizenznehmer auf die Übernahme fiel daher auch überwiegend positiv aus. Unternehmen und Produkt werden weiterleben und weiterentwickelt. Der Konzern sorgt für die notwendige finanzielle Sicherheit, die andererseits wieder für das notwendige Vertrauen bei den Kunden sorgt. Letzte Bedenken wurden seitens Obtree ausgeräumt, indem man versicherte, dass die Software nicht nur alsTeil einer aufeinander abgestimmten Ixos-Umgebung, sondern auch als Stand-alone-Produkt weitergeführt wird.
Obtree profitiert derweil von der Kundendatenbank des Konzerns: «Kaltakquise ist doch ein deutlich schwierigeres Geschäft als das Anbieten von Ergänzungen und Erweiterungen», schildert Jens Rabe die Vertriebssituation, «besonders in einem Markt, der so hart umkämpft ist».

Team Brendel: langfristige Planung

Mit einer wesentlich besseren Bilanz startet dagegen Team Brendel in das Wirtschaftsjahr 2003. «Das letzte Jahr war recht erfolgreich», schildert Hagen Dommershausen, Manager Corporate Marketing und Communication, die Lage beim CRM-Spezialisten. «Dementsprechend ist der erste eigene Messestand auch Ausdruck eines gewachsenen Selbstbewusstseins. Wir erwarten, dass sich unsere positive Cebit-Bilanz der vergangenen Jahre auch dieses Jahr fortsetzt.»
Bei Team Brendel setzt man zudem weniger auf den kurzfristigen Messeerfolg, sondern betrachtet die Kundenbedürfnisse eher mittel- und langfristig. «Wir müssen im Endeffekt die Leute überzeugen, die täglich mit unseren Produkten arbeiten», gibt Hagen Dommershausen die Marschrichtung vor. «Wir wollen Customer Relationship Management verkaufen, indem wir CRM leben. Als Ergebnis überfordern wir potentielle Kunden nicht mit überfrachteten Paketen, sondern setzen auf sukzessiven Ausbau.
In vielen Fällen haben wir inzwischen die vierte Ausbaustufe erreicht.» Mit der Taktik, das eigene Credo zu leben, konnte man 2002 mehr als 60 Neuprojekte gewinnen.
Bei vielen anderen Ausstellern mochte man am ersten Messetag jedoch noch keine Zwischenbilanz ziehen. Besonders bei den Software-Firmen in der hart umkämpften Halle 4, in der auch Microsoft zu finden war, war man zumindest etwas unglücklich ob des Umstandes, dass Besucher zunächst an den riesigen Ständen der Grosskonzerne vorbei müssen, um zu den spezialisierteren Ausstellern zu gelangen.

AMD: Spuren der Rezession

Definitiv nicht spezialisiert, sondern mit der ganzen Bandbreite seiner Produkte präsentierte sich Intel auf der Cebit. Hier stand das Paket zur Centrino-Mobile-Technologie im Mittelpunkt der Aktionen. Die Kombination aus neuer Mobile-CPU, passendem Chipsatz und WLAN-Chip sieht man als «Tipping-Point», als den Moment innerhalb einer Entwicklung einer Technologie, an dem es zu einer dramatischen Beschleunigung bei Akzeptanz und Verwendung eintritt.
So stehen beim Centrino auch die für mobile Einsatzzwecke relevanten Daten im Vordergrund und nicht wie gewohnt lediglich die GHz-Zahl. Zwar konnte auf der Pressekonferenz ein mit 1,6 GHz getakteter Centrino-Laptop ein gleichwertiges Gerät mit 2,4 GHz Pentium4-M deutlich outperformen, doch ist dieser Centrino die Obergrenze dessen, was von Intel an mobilen CPUs derzeit angekündigt ist. Die Einstiegsversionen beginnen bei 1,3 GHz und liegen dann leistungsmässig entsprechend darunter.
Dennoch betonte man bei Intel, dass man das Verhältnis von Centrino zu Mobile-M ähnlich sehen müsste, wie die Relation von Mobile P4-M zu Notebooks mit Desktop-Prozessoren. Die Punkte Laufzeit, WLAN, und schlankere Bauformen sind für den Einsatz unterwegs in der Regel ausschlaggebender als das letzte Quentchen Rechenleistung. Zumal auch die sich nicht zu verstecken braucht.
Ein Ende der Pentium-4-M-Familie ist derweil entgegen ersten Pressemeldungen nicht zu erwarten. Intel wird statt dessen versuchen, das Performance-Segment, in dem GHz noch immer ein Verkaufsargument ist, mit diesen CPUs zu besetzen.
Bei AMD kann man dagegen derzeit nur neidvoll auf den übermächtigen Konkurrenten schauen. Die Nummer zwei zeigt deutliche Spuren der Rezession. So fand erstmals keine Party bei AMD statt. Und das während der Cebit, die auch sehr stark von den Standpartys am Abend lebt. Ein sicheres Zeichen, dass die Kassen leer sind.
Auch die Motherboardhersteller können auf Grund der langsameren Entwicklung bei den Prozessoren nur wenig wirklich Neues präsentieren. DDR400 ist mit Chipsätzen von VIA, SiS und Intel ein Thema, ohne wirklich als Kaufanreiz zu wirken. Hier warten Hersteller wie Integratoren auf den grossen Schritt zu DDR2 im nächsten Jahr. Betroffen von dem Trend ist natürlich auch die Zubehörindustrie, vom Lüfterbauer bis zum Kühlspezialisten. Alles stagniert auf technisch hohem Niveau.

Multimedia und Telco im Trend

Bei den Displays waren es besonders Notebooks mit 16- und 17-Zoll-Displays, die Beachtung fanden. Durch extrem dünne Bildschirmränder sind sie kaum breiter als aktuelle 15-Zoll-Modelle. Dennoch war der Besucherandrang bei der Computerhardware eher mässig.
Voll waren gegen den Messetrend die Fotografie- und Video-Hallen. Alles um die bewegte oder statische Bildaufnahme und Verarbeitung fand bei den Besuchern verstärkt Beachtung. Besonders beliebt war der Fotodruck direkt aus der Digitalkamera.
Wirklich gerettet wird die Messe derzeit jedoch durch die TK-Sparte. Messestände, gegen die selbst die grössten Hard- und Softwarebuden wie kleine Klitschen aussahen, prägten das Bild und liessen die Cebit nominell ihre Hallenanzahl halten. Dazu tobte ein beinahe verzweifelter Kampf um den Kunden sowohl bei den Endgeräten, als auch bei den Netzen. Von Sättigung des Marktes will derweil niemand etwas hören. Neue Features, MMS und Organiserfunktionen sollen auch weiterhin für regen Absatz und vermehrten Umsatz sorgen.
Dennoch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Megamessen ihren Höhepunkt überschritten haben. Imperien sterben immer zuerst von innen und das gilt gleichermaßen für Institutionen wie die Cebit. Solange seitens der Messeleitung aus Marketinggründen die Entwicklung schön geredet wird, anstatt das Konzept geändertem Besucherverhalten und Ausstellerbedürfnissen anzupassen, ist der Trend nicht aufzuhalten. Ein Planet Reseller in einer Fachbesuchermesse wirkt jedenfalls wie ein Pony-Karussell in einer Reithalle. (tm)


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