Neue Ärzte, neue Diagnose, neue Therapie für Getronics

Getronics sei finanziell in besserer Form als gedacht, findet das neue Management und hat deshalb den bisher geplanten Kapitalschnitt auf Eis gelegt.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2003/06

     

Manch ein Patient tut gut daran, nach einer schlimmen Diagnose eine zweite Meinung einzuholen. Vor rund einem Monat hat der Verwaltungsrat von Getronics das damalige Führungsduo, CEO Peter van Voorst und CFO Jan Docter, zum Rücktritt gezwungen.
Ihre Nachfolger Klaas Wagenaar und Axel Ruckert haben sich seither intensiv mit der Finanzlage des internationalen IT-Dienstleistungskonzerns beschäftigt und nun eine neue Diagnose gestellt: Dem Patienten geht es besser, als man vorher dachte. Besonders die Loyalität der Kunden sei stärker, als man erwartet habe.

Cash muss her

Geblieben ist allerdings das Grundproblem: der Netto-Schuldenberg des Unternehmens von 500 Mio. Euro, der abgetragen werden muss. Am dringendsten ist es, genügend Cash aufzutreiben, um zwei Wandelobligationen, die in den nächsten beiden Jahren fällig werden und zusammen ein Volumen von über 500 Mio. Euro darstellen, zurückzuzahlen.
Das alte Management hatte Zweifel daran geäussert, dass der Konzern in dieser Zeit genügend Bares zusammenbringen könnte. Voorst und Docter fassten deshalb einen anderen Plan ins Auge: Ähnlich wie eine Regierung, die einfach neues Geld druckt, um Schulden zu bezahlen, wollten sie sich der Aktienpresse bedienen: Den Inhabern der Obligationen wurden im Tausch dafür neu ausgegebene Aktien des Unternehmens angeboten.
Die Zeche wäre dabei von den gegenwärtigen Aktieninhabern bezahlt worden. Deren Anteile hätten statt der jetzigen 43% plötzlich nur noch 3,5% des Unternehmens ausgemacht, und der Aktienkurs wäre stark gefallen.
Während ein erstes, nicht ganz so radikales Aktien-gegen-Obligationen-Angebot bei den Obligationeninhabern noch weitgehend auf taube Ohren stiess, wäre das zweite Angebot wahrscheinlich von genügend Inhabern angenommen worden, um die Aktion durchzuziehen.

Jetzt doch aus eigener Kraft

Die neuen Chefs Wagenaar und Ruckert glauben nun, dass die Schulden doch durch die Einnahmen aus der normalen Geschäftstätigkeit sowie durch den Verkauf von Vermögenswerten zurückgezahlt werden können. Die existierenden Kreditverträge werden beibehalten, dafür soll durch einen Massnahmenkatalog die Fähigkeit, durch seine Kerntätigkeiten Cash zu generieren, erhöht werden.
Geplant sind unter anderem die Einführung eines zentralen Cash-Management-Systems, der Verkauf oder die Schliessung von unprofitablen Geschäftsbereichen sowie der Turnaround von Ländergesellschaften, die Verluste einfahren. Beim letzten Punkt ist vor allem Italien betroffen, wo anscheinend tiefrote Zahlen eingefahren wurden.
Um Bares zu erhalten, will das neue Führungsteam allerdings auch eines der besseren Pferde im Getronics-Stall verkaufen, den Lohnbuchhaltungs-Outsourcer Human Resource Solutions. Diese hatte letztes Jahr 35 Millionen Euro Gewinn eingefahren. Zusammen mit anderen Verkäufen soll sie Getronics nun rund 300 Millionen Euro einbringen.

Zufriedenere Shareholder – verärgerte Obligationeninhaber

Der vom alten Management geplante Kapitalschnitt wurde zwar offiziell noch nicht völlig abgeblasen, durchgeführt werden soll er aber nur noch, wenn «unvorhergesehene und aussergewöhnliche Umstände» eintreten. Die Deadline hat man, um nichts überstürzen zu müssen, vorerst einmal auf Ende Mai verschoben.
Bei dieser Entscheidung dürfte auch eine Drohung des Aktionärsverbandes VEB eine Rolle gespielt haben, Getronics zu verklagen, falls der Aktientausch durchgezogen wird. Der VEB hat Gewicht, er vertrittdie meisten öffentlichen und privaten Pensionskassen in Holland, wo Getronics seinen Hauptsitz hat. Die Aktionäre dürften jetzt etwas besänftigt sein – und der Aktienkurs machte auch gleich einen Hüpfer nach oben.
Andererseits überlegen sich jetzt einige Obligationeninhaber, rechtliche Schritte einzuleiten. Allen kann es halt auch Getronics nicht recht machen. (hjm)


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