Das war 2003: Kaufen oder gekauft werden

Das IT-Jahr 2003 war das Jahr der Konsolidierungen. In keiner Branche wurde heuer so viel ver- und gekauft, einverleibt und zusammengeführt: Der Jahresrückblick von IT Reseller zu den wichtigsten Ereignissen der letzten 12 Monate.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2003/22

     

Das Jahr 2003 der Schweizer Disti-Szene ist geprägt von Rücktritten, Ver- und Aufkäufen sowie Strategieänderungen.
Im Januar diese Jahres verkündet die Also Holding einen Strategiewechsel. Sie will sich auf Distribution und Logistik-Dienste fokussieren, aus der Systemintegration aussteigen und Also Comsyt verkaufen. Unter Druck steht die Holding nicht, denn Comsyt wurde, wenn auch teuer, so doch mehr oder weniger erfolgreich saniert.
Als Käufer kommt nur ein Systemintegrator in Frage, der Perspektiven aufzeigen kann, heisst es. Der geplante Verkauf zieht sich mittlerweile knapp ein Jahr hin, wer Comsyt übernehmen wird, steht nach wie vor in den Sternen. Der Deal soll aber gerüchteweise noch bis Ende des Jahres unter Dach und Fach gebracht werden.
Trotz der Schrumpfkur durch die Comsyt-Sanierung bleibt Also auf Kurs. Nicht zuletzt durch den Distributionsarm, die Cashcow Also ABC. Der Schweizer Disti, der letzten Herbst erst die «Portorevolution» angezettelt hatte, geht diesen September aufs Ganze: Die Hersteller sollen sich entscheiden, welche Art von Dienstleistung der Disti für sie erbringen soll. Im Oktober renovieren die Emmener zudem ihr Internet-Bestellsystem (IVIS).
Im November steigt Also mit dem Kauf der ACS Trading ins Supply-Business ein und lastet so die eigene Logistik besser aus. Also’s neuester Schachzug: «Transaktionsorientiertes Pricing». Beim IT Reseller Disti-Award räumt der grösste Schweizer Dist zum vierten Mal in Folge den ersten Preis in der Kategorie Broadliner ab.

Tech Data kauft Azlan

Auch beim Broadliner Tech Data hat sich in diesem Jahr so einiges getan. Im Februar macht Tech Data-Chef Steve Raymund den Aktionären des Value-added Distributors (VAD) Azlan ein Übernahmeangebot. Ganz überraschend kam das Angebot nicht, versuchte Tech Data doch schon seit längerem, einen VAD-Arm mit Fokus auf Netzwerk in Europa aufzubauen.
Mit Azlan gewinnt Tech Data auf einen Schlag einen grossen und profitablen VAD mit etwa 450 Mio. Dollar Umsatz und einem operativen Gewinn von ca. 10 Mio. Dollar. Die Schweizer Azlan-Konkurrenz mimt Gelassenheit. Andreas Dürst, der bisherigeChef von Tech Data Schweiz wird im März bei Tech Data zum Verantwortlichen für die Region Zentraleuropa ernannt.
Sein Nachfolger als Managing Director Schweiz wird Manfred Steinhardt. Weltweit muss der Disti wegen der neuen US-Buchhaltungsregeln einen massiven Abschreiber von fast 330 Millionen Dollar hinnehmen. In den USA werden 200 Mitarbeitende geschasst, acht Training Center werden dicht gemacht, die Aufgaben an 200 Training-Partner im ganzen Land ausgelagert.
Bei Tech Data in Deutschland werden der Chef Martin Furuseth sowie der Vertriebsdirektor Mario Stollmeier auf die Strasse gestellt. Im Oktober tritt Tech Data-Europaboss Graeme Watt zurück.
Tech Data Schweiz arbeitet laut eigenen Aussagen profitabel.

COS wächst zusammen

Im Juli zieht sich Kurt Früh, der CEO der COS-Gruppe in die Rolle eines «aktiven Verwaltungsratspräsidenten» zurück und übergibt das Zepter an den Leiter des Geschäftsbereichs Distribution Roland Apelt. Nach wie vor ist die Distribution Schweiz das Sorgenkind der Holding und hat die missglückte Alltron-Übernahme vom Frühjahr 2001 noch nicht wirklich verdaut. Mit dem Break-Even rechnet Apelt im nächsten Jahr.
Aus dem mehr oder weniger zusammengewürfelten Konglomerat der COS-Gruppe will Apelt einen Konzern schmieden. Nach Land und Liegenschaften verkauft die COS-Gruppe im November auch das Beratungs- und Vermittlungsgeschäft für das Leasing und die Finanzierung von IT-Infrastrukturen.

Wirren um Actebis

Am 19. September flattert der IT Reseller Redaktion ein Communiqué ins Haus. Darin heisst es, Michael Urban, CEO von Actebis, trete von seinem Posten zurück. Sein Nachfolger werde Joe Hemani vom britischen Disti Westcoast. Zwischen Actebis und Westcoast käme es zu einer «strategischen Allianz mit einer Option der Beteiligung.
Nur vier Tage später erklärt Hemani, er wolle Actebis kaufen. Womit er den zehn Mal grösseren Distributor kaufen will, bleibt unklar. Distributionsprofis rechnen mit einem Cash-Bedarf von etwa 300 Mio. Euro, die Hemani allein für die Finanzierung des laufenden Geschäftes von Actebis aufbringen müsste. Weitere drei Tage später erreicht uns erneut ein Communiqué, diesmal von der Disti-Allianz EWG (Also, Esprinet, Copaco, Westcoast).
Man «begrüsse» die Akquisition, heisst es und habe «den Wunsch, dass Actebis der EWG beitritt». Das Gerücht, HP stecke als treibende Kraft hinter der Actebis-Übernahme, wird von HP glaubhaft dementiert. Im Oktober wird Hemani zum CEO der Actebis-Gruppe ernannt. Hemani, der einen Tag zuvor erklärt hatte, Westcoast werde aus EWG austreten, wird Westcoast in Actebis integrieren. Die gesamte Gruppe wird nun unter dem Namen Actebis auftreten.
Unbeeindruckt von den Turbulenzen um die Muttergesellschaft lanciert der Disti im Oktober auch in der Schweiz ein Partner-Netzwerk. Für den neuen Reseller-Verbund «Actebis Network» will man bis Ende 2004 rund 90 VARs gewinnen. Wichtigste Funktionen des Netzwerks: Das Teilen von Ressourcen und Know-how.
Auch andere Distis haben das Jahr nicht untätig verbracht: Der Ebikoner Software-Distributor Trade Up beispielsweise expandiert und lässt seit 1. März seinen indirekten Vertrieb in Deutschland über Trade Up Distribution in Offenburg laufen.
Der Mägenwiler Komponenten-Distribuor Brack Consulting ändert seine Rechtsform, wird zur AG und nennt sich seit dem Sommer Brack Electronics. Entgegen dem allgemeinen Trend werden die Mägenwiler in diesem Jahr rund 25% mehr Umsatz einfahren als im letzten Jahr.
Über Ingram Schweiz gibt es nicht viel zu berichten, der Disti hat keinen Grund zum Klagen. Die Schweizer Niederlassung des Mega-Unternehmens Ingram Micro kann im Gegensatz zum Konzern – zumindest im Frühling – Wachstum und ein positives Ergebnis vermelden.

Fressen und gefressen werden

Nirgends in der IT-Branche gab es in diesem Jahr weltweit soviel Bewegung und Aufregung wie in der Software-Branche.
Anfang des Jahres wird der Basler Content-Management-Spezialist Obtree von der deutschen Ixos Software gekauft. Obtree als Marke bleibt erhalten, das Hauptprodukt soll auch künftig unter dem Namen Obtree C4 vermarktet werden. Anders dagegen die Firma – hier übernimmt Ixos in Form der bereits bestehenden Schweizer Niederlassung Ixos Software das Zepter.
Entgegen der Mitteilung vom Februar verlassen Frank Boller, der bisherige CEO von Obtree und COO Alexander Stahel das Unternehmen im April. Im Oktober verkündet dann Open Text, Hersteller von Enterprise Content Management-Lösungen, Ixos übernehmen zu wollen. Die beiden Firmen bezeichnen ihr Produktportfolio als komplementär, gemeinsam will man sich zum weltweit grössten ECM-Anbieter mausern. Die Übernahme soll über eine Open Text-Tochterfirma abgewickelt werden. Bereits im September 2002hatte sich Open Text den deutschen CMS-Hersteller Gauss Interprise einverleibt.

Schlammschlacht um Peoplesoft

So richtig ins Rollen gerät die Konsolidierungswelle mit der Übernahme von J.D. Edwards durch Peoplesoft. Peoplesoft schluckt den Mitbewerber Mitte Juli für 1,8 Mrd. Dollar. Eine Schlammschlacht sondergleichen beginnt, als Oracle versucht, sich an Peoplesoft zu vergreifen und eine «feindliche Übernahme» durchzuführen. Das Ende der Scharmützel ist noch nicht in Sicht. Entgegen früheren Beteuerungen verkündet Peoplesoft im September die Streichung von 800 bis 1000 Stellen.

Kampf um KMU

Auch im SAP-Umfeld rappelt es gewaltig in der Kiste. Im Herbst 2002 hatte SAP seinen Einstieg ins KMU-Geschäft verkündet und sein KMU-Paket «Business One» auf den Markt geworfen. Im Februar setzt sich nach OBT, MTF, Pragmatica, Steffen Informatik und Data Unit auch der Zuger Systemintegrator und Software-Hersteller RedIT als Schweizer Partner ins «Business One»-Boot. Pragmatica bringt zudem im März ein Business One-Paket inklusive Hardware, Installation, Service und Schulung zum Fixpreis auf den Schweizer Markt.
Auch Simultan vermeldet im März seine Zusammenarbeit mit SAP. Die Walldorfer werden ihrerseits mit Business One auch Module von Simultan vertreiben. Für Microsoft/Navision – die Integration nimmt im Frühjahr Konturen an – wird es langsam eng und auch Oracle sucht neue Partner, mit denen die Mittelmärkte für Business-Software attackiert werden sollen. Im November kauft sich SAPs deutscher Dienstleister SAP SI den Schweizer SAP-Partner SLI Consutling und kannibalisiert damit den eigenen Channel.

Übernahmen, Übernahmen

Im Juni gerät der holländische ERP-Hersteller Baan unter neue Fittiche. Der Besitzer Invensys befindet sich in finanziellen Schwierigkeiten und verkauft Baan an das amerikanische Venture-Capital-Konsortium Cerberus Capital Management und General Atlantic Partners für 135 Mio. Dollar. Ein weiterer ERP-Hersteller namens Industrie SSA Global Technologies soll mit Baan verschmelzen und das neue Unternehmen zur Nummer 4 in Sachen ERP machen.
In der Schweiz schnüren im Mai Opacc und Soreco ein gemeinsames Software-Paket für KMU-Handelsunternehmen und machen damit gegen Abacus und Simultan mobil.
Ebenfalls im Mai ist auch Rolf Herlig wieder im Geschäft. Mit seiner Q3-Software will der ehemalige Sesam-Besitzer (jetzt Sage Sesam) den Markt für KMU-Business-Software in der Schweiz aufmischen. Herlig gerät in einen Rechtsstreit mit Sage Sesam wegen angeblicher Verletzung des in seinem Arbeitsvertrag festgelegten Konkurrenzverbotes.
Sage hält unterdessen das Übernahmekarussell in der Softwareszene munter am drehen. Die deutsche Sage KHK kauft im Oktober die PPS-Software von Bauknecht Softfolio. Der britische Mutterkonzern übernimmt für etwa 120 Mio. Franken die spanische Firma Groupo SP. Groupo stellt Buchhaltungs-Software für KMU her und hat etwa 200’000 Kunden.
Schliesslich kauft sich Novell Anfang November mit dem Linux-Anbieter Suse eine Strategie gegen Microsoft und treibt den Umbau seiner Software-Palette weiter voran. Mitte November verkündet der auf ERP- und CRM-Lösungen spezialisierte US-Softwarehersteller Epicor den holländischen ERP-Hersteller Scala Business Solutions übernehmen zu wollen. Epicor ist in Europa vor allem in England präsent, Scala besitzt auch in der Schweiz eine Niederlassung.
Kleine und mittlere ERP-ler sterben langsam aus. Der amerikanische Konzern Agilisys übernimmt im Dezember die deutsche Infor Business Solution. Infor ist nach Brain bereits der zweite deutsche Software-Anbieter mit Fokus auf Unternehmen der Fertigungsindustrie den sich Agilisys einverleibt. (sk)
Was sonst noch passierte:
Januar
Accenture übernimmt Systor
IEX besser als erwartet
T-Systems fokussiert auf Outsourcing
Februar
3Com mit neuer Strategie
Asendis konkurs
Dynabit wird ausgeweidet
März
Rettungsversuch für Getronics
Telindus’ Turnaround
SCO verklagt IBM
April
Toshiba schluckt Ozalid
Mount10 versucht Sanierung
PC-Markt: Dell überholt alle

Mai
CA renoviert
Think Tools auf Talfahrt
Psinet schliesst Büro

Juni
Erbitterte Schlacht im Service-Markt
Linux-Vorreiter SFI macht dicht
Fantastic schrumpft
Juli
Aderlass bei EDS
HP Schweiz entlässt
Oracle will in die Mittelmärkte
August
Schweizer IT-Budgets konstant
Tablet PCs sind ein Flop
Altherr krempelt Pixelpark um
September
Opentext schluckt Gauss
Orbit schwer angeschlagen
Microsoft sägt Apertum ab
Oktober
Excom und Epson trennen sich
Fust übernimmt Portable Shop
Aus für Netstuff und GSC
November
Symantec schluckt On Technologie
Aderlass bei Swisscom
Digicomp verkauft
Dezember
IT Com macht dicht
Comdex Schatten ihrer selbst
Bison und IBM in einem Boot


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