E-BUSINESS-ROUNDTABLE: Kampf dem Margendruck

Schweizer E-Business-Dienstleister haben ein grosses Problem: Ihre Kunden zwingen sie zu tieferen Projektkosten. Wie geht man mit der Konkurrenz um, wie differenziert man sich gegenüber den Offshore-Entwicklern, und wie sind die Aussichten für den heimischen E-Business-Markt? Darüber diskutierten am IT Reseller E-Business-Roundtable Top-Manager von Accenture, Crealogix, GFT Technologies und Namics.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2004/02

     

Teilnehmer v.l.n.r.: Louis-Paul Wicki, Crealogix; Andreas Göldi, Namics; Lars Keller, GFT; Karl Renold, Accenture

IT Reseller: Wie lief 2003 für Ihre Unternehmen?

Karl Renold (Accenture): Wir geben als börsenkotiertes Unternehmen keine Länderzahlen bekannt. Konzernweit haben wir im 2003 unsere Ziele erreicht. Der Umsatz betrug 11,8 Milliarden Dollar, das Wachstum betrug 2 Prozent. Besonders das vierte Quartal 2003 war stark, hier betrug das Wachstum 12 Prozent. Der Cash Flow betrug 1,3 Mrd. Dollar.
Weltweit beschäftigen wir 83’000 Mitarbeiter in 48 Ländern in den Bereichen Business Consulting, Technology & Outsourcing und Business Process Outsourcing. In der Schweiz beschäftigt Accenture rund 600 Mitarbeiter, 230 davon im Consulting-Bereich, die restlichen sind in der Abteilung Solutions – der ehemaligen Systor – zusammengefasst.
Louis-Paul Wicki, CEO Crealogix Schweiz: Crealogix beschäftigt heute 120 Mitarbeitende, die integrierte Applikationen mittels Web-Technologien, mit E-Finance, E-Learning und Mobile Business als Spezialitäten konzipieren und realisieren.
Im 2003 haben wir im Bereich Mobile und E-Learning zwei kleinere Akquisitionen getätigt, die beiden Unternehmen erfolgreich integriert und bereits ausgebaut. Für die ersten drei Quartale von Januar bis September wurde mit den getätigten Akquisitionen im 2003 eine Umsatzsteigerung von 2.4 Mio. Franken respektive 15 Prozent erreicht, verglichen mit der gleichen Zeitperiode im 2002.
Das Resultat vom letzten Quartal 2003 (Oktober bis Dezember) werden wir anlässlich unseres Quartalsreportings am 17. Februar 2004 veröffentlichen. Auch im Ende Juni 2003 abgelaufenen Geschäftsjahr konnten wir bei einem Umsatz von 23.5 Mio. Franken im operativen Geschäft einen EBIT von 790’000 und ein Reingewinn von 1,075 Mio. Franken erwirtschaften.
Lars Keller, Managing Director, GFT Technologies Schweiz: GFT Schweiz war die erste Auslandgesellschaft, ich habe sie aufgebaut. Der Konzern hat ca. 1000 Mitarbeiter, Hauptsitz in Deutschland, wir sind aber auch in Spanien relativ stark und auch in Grossbritannien und Ungarn vertreten. Eine weitere Niederlassung haben wir in Indien.
In der Schweiz sind wir heute 40 Leute. Zu der Gesamtentwicklung: Der Konzern hat nach dem Börsengang 1999 eine Akquisitionsstrategie gefahren und zwei Firmen zugekauft, eine davon im Bereich der Crealogix, Pixelfactory. Die andere Firma ist im Bereich Dokumenten-Management tätig. Dann haben wir vor zwei Jahren eine Tochter der Deutschen Bank integriert und waren kurzfristig ca. 1400 Mitarbeiter.
Wir haben innerhalb der letzen 18 Monate rund 300 Mitarbeiter entlassen, insbesondere in Deutschland. Heute sind wir für 2004 gut aufgestellt. Wir haben im 2003 einen Verlust ausgewiesen, das hat unter anderem mit dem Umsatz, aber auch mit den Kosten zu tun. Aus Konzernsicht war das eine schwierige Zeit. In der Schweiz haben wir einen kleinen Gewinn ausgewiesen und planen das auch für 2004, wir mussten keine Mitarbeiter entlassen.
Andreas Göldi, CEO, Namics: Wir sind momentan an fünf Standorten in der Schweiz und Deutschland (Frankfurt und Hamburg) tätig. Insgesamt haben wir 120 Mitarbeiter. Ich darf noch keine genauen Angaben zum Geschäftsjahr machen. Es war durchmischt, hat schlecht angefangen. Wir mussten im ersten Halbjahr noch einiges konsolidieren.
Aber im zweiten Halbjahr lief es ausgesprochen gut. Das letzte Quartal war das beste seit zwei Jahren. Das Jahr 2003 ist insgesamt positiv abgelaufen und es sieht weiterhin positiv aus. Wir machen ca. die Hälfte des Umstzes mit klassischen, meistens grösseren Webprojekten. Die andere Hälfte sind spezialisierte Projekte, die auch in die Webtechnologie greifen.
ITR: Geben Sie uns bitte einen Ausblick in die nahe Zukunft, auf die Projekvolumen und eine Vorstellung davon, wann der Aufschwung im E-Business-Markt kommt.
Renold: Wir wurden nicht völlig vom Platzen der Internet-Blase überrascht. Wir haben versucht, basierend auf den bestehenden Tätigkeiten, weitere Geschäfte aufzubauen. Vor allem den Bereich Outsourcing hat man ausgebaut. Das ist aus heutiger Sicht das schnellst wachsende Segment, das längerfristige Engagements beinhaltet. Wir wollen extrem wachsen in den Bereichen Applications Management und Business Process Outsourcing.
Das klassische Projektgeschäft ist immer noch sehr wichtig, aber der Margendruck ist hier am grössten. Die Strategie gilt auch für die Schweiz. Die Bereitschaft für Outsourcing ist in den umliegenden Ländern sicher noch grösser als in der Schweiz. Wir haben viele Projekte im E-Business- und E-Commerce-Bereich gemacht, das war bei uns aber nie ein speziell definierter Geschäftsbereich. Aus technologischer Sicht ist dies sicher ein wichtiger Bereich, wo man auch am Ball bleiben muss und wo wir auch in Zukunft Projekte tätigen werden.
Keller: 2004 wird sich in etwa gleich verhalten wie 2003. Wir bewegen uns also weiterhin in einem nicht einfachen Markt, auch wenn die Projekt-Pipeline der GFT Schweiz sicher gut ist. Ich habe selten so gute Forecasts gesehen wie derzeit, stelle aber auch fest, dass die Zeitspanne zwischen dem Auftauchen eines Projekts in der Pipeline und der Realisierung relativ lang ist.

Renold: Zu welchem Zeitpunkt kommen Sie denn in ein Projekt rein?

Keller: Wir haben im 2003 fast nur Ablösungen von bestehenden Systemen gemacht. Im 2002 und 2001 sind neue Business-Ideen aufgekommen, dann sind wir relativ früh in Projekte reingekommen. Aber im 2003 waren es eher Sachzwänge, sei es, weil der Partner eines Kunden die Technologie nicht mehr unterstützt hat oder weil die Wartung der bestehenden Software sehr aufwändig war und es immer schwieriger wurde, Fachkompetenzen zu finden.
Wir sind also wenig bis gar nicht vertreten, wenn es darum geht, Geschäftsideen mit Kunden zu diskutieren. Wir kommen dann zum Zug, wenn der Kunde weiss, was er will.
Renold: E-Business als solches verfolgen wir nur opportunistisch. Die Regel ist, dass wir viel früher reinkommen. Meistens ist ein Business-Problem vorhanden oder wir glauben, es sei eins vorhanden. So kann es sein, dass man eine Implementation macht. Wenn es denn notwendig ist, kann dies auch mit E-Business zu tun haben, muss aber nicht. Der Fokus ist also bei Accenture ein wenig ein anderer.
Göldi: Man kann schon sagen, dass die Abgrenzungen heute schwieriger sind, obwohl wir sehr fokussiert in einem Bereich tätig sind. Wir nehmen den Markt als sehr fragmentiert war. Es gibt Kunden, die schieben nach wie vor Projekte auf die lange Bank, bemühen aber die Anbieter mit grossen Ausschreibungsrunden.
Es gibt aber zum Glück immer mehr, die systematisch planen und mit klaren strategischen Zielen Projekte durchziehen. Umgekehrt gibt es Kunden, die sehr taktisch und kurzfristig denken. Kunden sind heute deutlich reifer geworden. Die Zeit der «Full-Service-Webagenturen» ist definitiv vorbei.
Kein Grosskunde gibt heute ganze Projekte in Auftrag, sondern es werden Kompetenzen gezielt nachgefragt und einzeln eingekauft. Wir gehen auch davon aus, dass 2004 auf einem ähnlichen Niveau verlaufen wird wie 2003, vielleicht dass gewisse Sektoren ein Wachstum verzeichnen, aber es ist sicher noch zu früh, von einem grundlegenden Aufschwung zu reden.
Keller: Der Rahmen unserer Realisierungsprojekte, die GFT Schweiz als Generalunternehmer abschliesst, bewegt sich zwischen einer halben und zehn Millionen. Die grossen Projekte ab einer Million waren im 2003 sehr dünn gesäht, die konnten wir fast an einer Hand abzählen. Ebenso Projekte zwischen drei und fünf Millionen. Hier ist auch die Konkurrenzsituation sehr hart.
Wicki: Bei uns war vor drei bis vier Jahren die Wahrscheinlichkeit grösser, dass man ein grosses Budget bekommen hat. Heute wird intensiver darüber nachgedacht, ob ein Projekt realisiert wird. Und wenn man das «Go» erhält, wird längerfristiger geplant als früher. Time-to-Market ist nicht mehr entscheidend.
Die Projekte sind zwar da, aber nicht mehr ganz so gross. Sie werden mehr in Phasen aufgeteilt. Es wird heute einfach professioneller mit Ressourcen-Geldern umgegangen.
Wir sind zurückhaltend optimistisch, was die Aussichten angeht. Optimistisch darum, weil wir eine Aufhellung am Konjunkturhimmel feststellen. Die Börsenkurse gehen wieder hoch, den Banken geht es besser, und weil wir im Finance-Bereich tätig sind, merken wir, dass es insbesondere bei den Privatbanken anzieht. Also: So gut es der Branche geht, so gut geht es auch uns. Die Investitionsbereitschaft ist eher gestiegen.
Wichtig sind auch die Disziplinen. Mobile Computing ist sicher vielversprechend. Der Erfolg von SMS und MMS zieht Anwendungen nach sich, die gemacht werden müssen. Hier sind wir sehr zuversichtlich. Im E-Learning läufts auch gut, die Kosten/Nutzenrechnungen liegen auf dem Tisch.
Der Hauptharst unserer Mitarbeiter ist im Software Engineering mit Fokus auf Webtechnologien, wo wir herkommen, tätig. Zurückhaltend bin ich deshalb, weil die Indizien für den ganz grossen Aufschwung noch nicht da sind. Börsenkurse in Ehren, aber die können auch wieder fallen.
Grossunternehmen und vor allem Blue-Chip-Kunden stehen unverändert auf der Kostenbremse. Die IT wird radikal umgebaut und was mir am meisten Sorgen macht ist der Tenor, dass IT keinen strategischen Wettbewerbsvorteil mehr bedeute.
Nur so kann man erklären, dass Time to Market keine grosse Rolle mehr spielt und dass Entscheide über IT-Budgets zentralisiert gefällt werden und das in einem Markt, in dem Business-Ideen zentral sind. Den Mehrwert einer Informatiklösung muss man kommunizieren.
ITR: Und wie machen Sie das? Es dürfte doch schwierig sein, einen CIO zum Kauf zu überzeugen, der von oben die Order erhält, unter dem Strich das Budget um einen bestimmten Betrag zu kürzen, egal wie. Es entscheiden doch Leute, die keine Ahnung von IT haben.
Wicki: Ich bin strikt gegen Investitionen, die keinen ROI (Return on Investment) bringen. Jede Investition ist dadurch begründet, dass man schneller, kostengünstiger und besser produzieren kann. Wenn von der Strategie her die Entscheidungskanäle bestimmt sind, kann es allerdings bei der Akquisition schon schwieriger werden.
ITR: Der Trend zur Zentralisierung von Entscheiden ist unter anderem eine Reaktion auf die vielen gescheiterten Projekte aus den Boom-Jahren. Waren es Kunden selbst, die diese Wende zu mehr Kontrolle und Sicherheit über die IT-Budgets verursacht haben? Wie stellen Sie sich als Branchenvertreter nachträglich dazu?

Göldi: Da müssten Sie Firmen fragen, die heute nicht hier sind. (Alle lachen)


Wicki: Die Firmen sind bekannt.

Göldi: Es ist schon so, dass es eine Aufteilung gab zwischen seriösen Anbietern und solchen, die den Hype etwas aggressiver geritten haben als die anderen und dementsprechend verschwunden oder nur noch ein Schatten ihrer selbst sind.

ITR: Sonst wären sie heute ja noch mit uns am Tisch.

Göldi: Das hat sich auf dem Markt rumgesprochen und die Kunden nehmen diese Trennung auch durchaus distanziert wahr. Andererseits hat die Zentralisierungswende auch damit zu tun, dass die Kreativität an gewissen Orten auch überbordet ist, unabhängig davon, wie gut die einzelnen Projekte durchgeführt wurden.
Viele internationale Konzerne haben damals in jedem Land dieselbe E-Business-Lösung nochmals nachgebaut. Das war zwar toll für die Dienstleister, aber insgesamt macht sowas natürlich wenig Sinn. Heute ist das Pendel auf die ganz andere Seite geschwungen, was auch übertrieben ist. Viele Unternehmen sind heute nicht mehr in der Lage, die lokalen Gegebenheiten sinnvoll abzubilden.
Zum Thema ROI: Auch in den Hype-Zeiten wurden Business Cases gerechnet. Aber jede ROI-Rechnung ist abhängig von den Annahmen und im 2000 waren die Annahmen immer auf der extrem positiven Seite, heute sind sie auf der extrem negativen Seite.
Rechnen kann man damit viel. Wichtig ist nun, dass sich dieses Tendenz wieder normalisiert. Wir beobachten im Banken-Umfeld und auch in der Industrie, dass wieder eine vernünftigere Haltung einzieht, auch wenn die Unsicherheit heute noch gross ist.
Wicki: Sobald die Wirtschaft wieder anzieht, wird die Nachfrage nach IT wieder zunehmen und dann werden auch wieder die Visionen formuliert und operationalisiert. Das ist ein Zyklus. Auf Zentralisierung folgt Dezentralisierung, das kann man (auch) bei grossen Unternehmen beobachten. In dem Moment, wo ein Entscheid getroffen wird, macht er Sinn, aber die Welt bewegt sich weiter und wir alle und unsere Kunden passen uns an.
Viele Projekte sind auch gut gelaufen, andere sind «in die Hosen» gegangen, so wird es auch in Zukunft ein. Es braucht die Innovation, das Visionäre.
ITR: Wird der Trend, Projekte in kleinere Tranchen aufzuteilen, also zuerst die «Musts» und später die «Nice-to-Have» zu bewilligen, noch anhalten?
Keller: Die ganz grossen Ideen und Projekte – Stichwort Internetbanken – sind heute sicher in den Hintergrund getreten, aber nicht nur weil man schlecht realisiert hat, sondern auch weil sich der Business Case oft nicht gerechnet hat. Man kann ja durchaus eine Software schreiben, die funktionstüchtig ist und muss sie dennoch einstampfen, weil keiner sie benutzt.
Natürlich gibt es auch Projekte, die gar nicht realisiert wurden. Heute geht man einfach vorsichtiger an solche grossen Projekte heran. Die ganz grossen «Würfe» werden heute nicht ausgeschrieben, die sind heute vielleicht in irgendwelchen Schubladen.
ITR: Im Hardware-Bereich spricht man von einem Erneuerungsüberhang, einem Investitionszwang sozusagen, der gewisse Investitionen unumgänglich macht. Gibt es das auch im E-Business?
Göldi: Vielleicht nicht so offensichtlich wie im Hardware-Bereich, aber es gibt viele Situationen, wo es sehr deutlich Sinn macht, einen Schritt weiter zu gehen. Was wir häufig antreffen ist die Einführung von sehr umfassenden CMS-Infrastrukturen.
Also Fälle, wo man in der Vergangenheit die Inhalte von einzelnen Websites mehr oder weniger «gebastelt» hat. Hier kann man auch sehr schnell einen ROI erzielen. Lange Zeit wollte man selbst solche offensichtlichen Verbesserungen nicht wahrhaben. Nun kommt langsam aber sicher mehr Bewegung rein.
Keller: Gerade in Konzernen, in denen eine Konsolidierung stattfindet, werden bestehende CMS-Systeme nach vier, fünf Jahren nun ersetzt und migriert. Das sind durchaus interessante Projekte mit einem entsprechenden Volumen.
Renold: Eigentlich sind die grossen Projekte nach wie vor da, vielleicht nicht mehr so häufig. Die Notwendigkeit war früher eben nicht immer gegeben, der Business-Nutzen nicht unbedingt vorhanden. Heute schaut man zweimal hin. Ich habe aber auch früher selten 20-Millionen-Projekte gesehen. Ein grosses E-Business-Projekt bei Accenture Schweiz bewegt sich zwischen 2 und 10 Millionen Franken.
Bei längerfristigen Outsourcing-Projekten im europäischen Umfeld kann es für einen meist für 10 Jahre dauernden Vertrag zwischen 30 Millionen und über einer Milliarde sein.
Wicki: Ich sehe den Erneuerungsbedarf auch, auch wenn er im Softwarebereich weniger offensichtlich ist. Man kann mit neuen Technologien – sei es im CMS- oder Application-Server-Bereich – effizienter programmieren. Es kann durchaus sein, dass man für Lizenzen und Wartung mehr bezahlt als für eine Neuentwicklung.
ITR: Früher war internationale Präsenz für einen Webdienstleister ein Muss. Wie stehen Sie heute zur Internationalisierung?
Wicki: Internationalisierung ist nach wie vor ein Thema für Crealogix. Man muss heute aber ganz klar mit einem Produkt oder mit einem Kunden ins Ausland gehen. Wir haben eine Gesellschaft in Deutschland, auch in Kanada besteht die Gesellschaft noch. Der nächste Versuch wird kommen.
Göldi: Wir machen in Deutschland rund 30 Prozent des Umsatzes, das ist der Markt, in dem wir am stärksten gewachsen sind. Die anderen Fronten wie Frankreich und Italien haben wir wieder abgebrochen, als sich der Markt abgekühlt hat. In Deutschland gab es viel mehr Bewegung. Von der Seite unserer Kunden her wird nicht mehr verlangt, in anderen Ländern präsent zu sein. Die meisten Projekte sind heute sehr viel mehr lokaler Art.
Renold: Für uns ist die internationale Präsenz sehr wichtig, da wir sehr viele Projekte haben, die internationale oder weltweite Ausbreitung haben. Wir haben eine gemeinsame, weltweite Methodologie, Projekte zu entwickeln.
Keller: Wir konzentrieren uns auf Europa, haben allerdings ein kleines Fenster nach Amerika, wo wir in den USA eine Beteiligung haben. Wir haben erkannt, dass es gar nicht so wichtig ist, bei internationalen Projekten überall präsent zu sein. Der andere Trend ist eher, im Ausland Software zu entwickeln.
ITR: Damit wären wir beim Thema Offshore-Entwicklung. GFT hat eine Firma in Indien gekauft. Vor einem Jahr sagten die am Roundtable Beteiligten einhellig, wer unsere Arbeit nicht bezahlen kann, hat Pech gehabt. Wie sehen Ihre Strategien bezüglich Software-Entwicklung heute aus?
Wicki: So wie unsere Kunden denken, müssen auch wir denken. Das ist allerdings auch nichts Neues. Es ist heute etwas aktueller als früher, v.a. getrieben durch die Beratungsgesellschaften.
Renold: Nein, nein! Das Thema Offshore-Programmierung wird durch den Markt angetrieben, der Kostendruck ist da und man versucht, möglichst kostengünstig zu produzieren.
Wicki: Wir hatten auch schon Aktivitäten in Indien am Laufen, beispielsweise mit Attraxis. Aber wir fahren gleichzeitig die Initiative des Schweizer Software-Powerhouses und wir glauben an den Standort Schweiz für IT-Leistungen.
Es gibt aber auch Wege, diese Entwicklungen zu verbinden. Wir werden die Sache im Auge behalten und im Falle eines nachhaltigen Trends mit ausländischen Firmen zusammenarbeiten, sei dies nun in Indien oder Europa, wo es zum Beispiel in Polen hervorragende Firmen gibt.
ITR: Die Credit Suisse hat kürzlich ein Projekt ausgelagert, worauf hin die Presse gemutmasst hat, dass dies nachhaltige Auswirkungen auf die Aufträge für Crealogix haben wird.
Wicki: Ich muss dazu festhalten, dass Cralogix nicht mehr 70 Prozent des Umsatzes mit der CS macht wie früher. Es sind heute noch rund 15 bis 20 Prozent. Das macht uns in dieser Hinsicht gelassener. Aber es gibt Projekte, die prädestiniert zum Auslagern sind. Etwa sehr grosse Projekte oder solche, bei denen die Innovationsrate tiefer ist oder solche bei denen die Interaktion mit dem Kunden nicht im Vordergrund steht – Stichwort Migration.
Dann gibt es Projekte, bei denen man sehr eng mit dem Kunden zusammenarbeiten muss. Insbesondere bei Software Engineering im Webbereich. Da sehen wir unverändert einen Markt.
Keller: Man muss die Entwicklung ernst nehmen, denn zum Schluss sind es die Kunden, die entscheiden, ob sie bei uns oder woanders kaufen. Wir haben im 2003 erlebt, dass wir x-mal in Konkurrenz standen zu Firmen, die aus Fernost stammen. Ich habe Unterschiede von um Faktor 6 bis 10 tiefere Projektkosten gesehen.

ITR: Das heisst, mehr iterative Prozesse sind gefragt?

Göldi: Richtig, die Prozesse werden deutlich mehr iterativ und mehr Beratungselemente beinhalten. Bei uns haben wir praktisch keine Software-Entwickler, die nicht sehr regelmässigen, persönlichen Kundenkontakt haben. Das ist in unseren Projekten essentiell wichtig für den Erfolg. Solche Projekte kann man sehr schlecht nach Indien «offshoren». Sehr oft bleibt nichts anderes übrig, als sich durch die Qualität zu differenzieren.
Renold: Wir haben bereits weltweit 38 Delivery Center, etwa in Indien oder Taiwan. Das ist bereits Realität, d.h. wir haben unsere Liefermethoden dahingehend angepasst, dass es funktioniert. Den Kunden interessiert der Preis, das Lieferdatum und der Inhalt. Meistens mit einer Fixpreis- und einer Konventionalstrafen-Klausel, der billigste Lieferant bekommt den Auftrag.

ITR: Sie haben meistens ein Kostendach?

Keller: Ein Kostendach heisst, der Auftrag ist wie ein «Fixed Time, Fixed Price»-Projekt gestaltet. In der öffentlichen Verwaltung ist dem auf jeden Fall so. Oder mindestens ein «Fixed Price»-Projekt, denn die «Time to Market» ist meistens nicht mehr so entscheidend.
Renold: Bei Offshore Delivery sind es auch nur gewisse Teile, die ausgelagert werden. Zum Beispiel Programmieren, Detaildesign, vielleicht ein Teil des Tests. Aber Einführung, Kundenschulung, Übergabe etc. macht man nach wie vor vor Ort. Aber was die Auslagerung von gewissen Teilen angeht, haben wir sehr gute Erfahrung gemacht.
Keller: Analyse, Design und Requirement Definition wird vor Ort gemacht, das wird auch in der Schweiz bleiben.
Renold: Es muss auch nicht so sein. Es gibt auch Kunden, die wollen ihre Software Entwicklung nicht ausser Haus geben. Das kann zum Beispiel eine delikate Software wie ein Accounting System einer Bank sein. Es gibt Kunden, die Tests nur bei sich im Hause machen wollen. Auch im Government-Bereich kommt das vor und ich nehme an, es wird seine Gründe haben, weshalb man eine gewisse Kontrolle behalten will.
Keller: Im Government-Bereich wird es politische und gesamtwirtschaftliche Gründe geben, weshalb man die Aufträge nicht über die Landesgrenzen hinaus geben will. Aber auch in der Pharma-Industrie gibt es Kunden, die das Requirement Engineering bewusst mit Schweizer Unternehmen gemacht haben und danach die Anforderungen für eine Offerte an unterschiedlichste Firmen herausgegeben haben.
Das reine Engineering wurde dann ausserhalb der Schweiz gemacht und die Lieferung ist wieder mit Unternehmen in der Schweiz passiert. Ob dies in der Praxis so gut funktioniert, bleibt auszuprobieren.
Renold: In der Praxis ist es immer so, dass wir beim Kunden geradestehen müssen, egal wer die Software wo entwickelt hat.
Wicki: Wir setzten nicht auf den «Heimatschutz», weil er über kurz oder lang fallen wird, genauso wie er in den anderen Branchen auch gefallen ist.
Keller: GFT hat seine Standorte für Software-Entwicklung von 11 in Deutschland auf einen reduziert. Ausserhalb Deutschlands entwickeln wir nur noch in Spanien und in der Schweiz. So kann man viel Geld sparen. Auch was die Wiederverwendbarkeit von Software angeht, kann man viel sparen.
Aber auch im Projektabwicklungs-Prozess wird in unseren Projekten viel falsch gemacht. Hier arbeiten wir an Zertifizierungen wie z.B. CMMI, die eine Industrialisierung und Standardisierung im Bereich der SW-Entwicklung geben.
Renold: Der Margendruck zwingt uns zu Offshore-Entwicklung. Die Margen von früher werden nie mehr zurückkommen.

ITR: Was sagen die anderen Teilnehmer zum Thema Margendruck?

Göldi: Der Margendruck ist auch bei uns sehr stark. Wir haben natürlich deutlich kleinere Projekte als Accenture oder ähnliche Firmen. Aber auch wir spüren den Druck deutlich, zum Beispiel in der Form von Grosskunden, die in den letzten Jahren ihren Einkauf sehr stark professionalisiert haben, andererseits auch im öffentlichen Bereich, wo fast immer der Billigste gewinnt.
Wicki: Wir müssen unsere Professionalität, oder man kann sagen Produktivität, anpassen. Das ist unsere permanente Aufgabe.
Keller: Der Margendruck ist auch bei uns gross, insbesondere im Bereich der Individualsoftwareherstellung. Hier ist es besonders schwierig, einen USP (Unique Selling Proposition) herauszuarbeiten, weil aus der Sicht des Kunden das Gesamtpackage wichtig ist, und nicht der einzelne Tagessatz.
Bei Projekten mit einem Produkt im Vordergrund – wir verkaufen auch eine Archivierungs- und Dokumentenmanagementlösung – sind die Tagessätze interessanterweise wenig oder gar nicht unter Druck. Die Konstellation von Standardsoftwareprodukt und Dienstleistung ist aus der Sicht der zu realisierenden Marge für uns nicht schlecht.
Wenn sich der Kunde einmal entschieden hat, dass er das Produkt wirklich will, ist eigentlich der Rest kein Thema mehr. Aber alles in allem herrscht ein extremer Margendruck.
Göldi: Es gilt heute, eine Nische zu finden, um ein Produkt oder um eine sehr spezifische Beratungsdienstleistung herum, die nicht so ohne weiteres vergleichbar ist. Wo es nicht irgendwelche Inder oder Kleinfirmen gibt, die einfach mit dem Preis sehr tief heruntergehen können. Aber auch hier ist heute teilweise Druck vorhanden.
(Gesprächsleitung: mh)


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