RFID zwischen Hype und Realität

Die Hersteller reden begeistert von RFID. Spricht man sie jedoch auf konkrete Aufträge an, werden sie schweigsamer. Die ersten Pilotprojekte sorgten für Ernüchterung.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2004/18

     

In Europa soll der RFID (Radio Frequency Identification)-Markt laut aktuellen Prognosen in den kommenden vier Jahren zu einem 2,5 Milliarden Euro-Geschäft werden. Spricht man die Anbieter darauf an, verweisen sie vorwiegend auf Pilotprojekte in den USA. Das hat seine Gründe, wie eine Studie der Universität St. Gallen und der Beratungsfirma Booz Allen Hamilton zeigt: Während die IT-Industrie das RFID-Geschäft als Hoffnungsträger sieht, sind die potentiellen Abnehmer sehr viel zurückhaltender. Die Identifizierung über Funk sei bei grossen Firmen zwar ein Thema, ihre Investitionsbereitschaft halte sich aber in Grenzen: Nur gerade 18 Prozent wollten derzeit mehr als eine halbe Million Euro dafür ausgeben.
Entsprechend zurückhaltend fallen die Reaktionen der Hersteller auf Fragen nach konkreten Projekten aus. Bei IBM Schweiz etwa war niemand bereit, Auskunft zu geben. Sprecher Jochen Reinhardt verwies auf die Investitionen, die das Unternehmen im RFID-Bereich tätigt. Zur konkreten Situation in der Schweiz meinte er jedoch nur, es gebe zwar Interessenten gebe, aber es sei zu früh, über konkrete Projekte zu reden. Ähnlich tönt es bei Hewlett-Packard: «Im Moment werden Konzepte erarbeitet. Da wollen die Kunden nicht darüber reden, weil ihre Pläne der Konkurrenz etwas über ihre Strategie verraten könnten.» Auch Adrian Krummenacher von Microsoft weiss im Augenblick nichts von konkreten Projekten: «Man interessiert sich für das Thema, aber erst müssten die entsprechenden Business Cases erstellt werden.»

Vom Labor in den Laden

Die Pilotprojekte der letzten Jahre hätten zu einer Ernüchterung geführt, stellt die St. Galler Studie fest. Zum einen erlaubten die hohen Chip-Preise nur in speziellen Fällen einen attraktiven Business Case. Zum anderen war auch die Technologie noch nicht ausgereift. Ein HP-Mitarbeiter, der sich intensiv mit RFID befasst, aber nicht genannt werden möchte: «Vieles, was im Labor läuft, lässt sich in einem Verkaufslokal nicht so einfach umsetzen. Dazu gehört etwa das gleichzeitige Auslesen ganzer Einkaufswagen.»
In geschlossenen Systemen, etwa in der Automobilproduktion, wo die Chips umprogrammiert und wieder verwendet werden können, rechnet sich Waren-Identifizierung per Funkchip schon heute. Offene Systeme im Handel und in der Konsumgüterindustrie dagegen kommen noch selten auf ein sinnvolles Kosten/Nutzen-Verhältnis. Schuld sind die hohen Chip-Preise und die Investitionskosten.
Das bestätigt auch Jürg Schleier. Der Geschäftsführer von BEA Schweiz verweist auf erste Erfahrungen seiner Kollegen in den nordischen Ländern. Hierzulande habe er bisher ausser ein paar Seminaren wenig gesehen. «RFID steckt noch in der Hypephase. Man redet darüber, aber es tut sich wenig Konkretes.»

RFID braucht EAI

Dass sich auch eine Firma wie BEA mit RFID befasst, verweist auf die grossen Datenmengen, die mit diesen Systemen von den Peripherien her anfallen. Systemintegration wird damit zum zentralen Punkt. BEA sei kein RFID-Anbieter, betont aber Schleier. Demnach dürfe man den Zug nicht verschlafen. BEA werde seine Systeme daher RFID-tauglich machen.
Das sehen die grossen Anbieter ähnlich. IBM will in den kommenden fünf Jahren rund 250 Millionen Dollar in den Aufbau seiner RFID-Sparte stecken. Insgesamt 1000 Mitarbeiter sollen die Kunden mit Produkten und Services unterstützen.
Hewlett-Packard hat angekündigt, nochmals 150 Millionen Dollar in die Entwicklung seiner RFID-Technologien zu investieren, und unterzeichnete gleichzeitig Vereinbarungen über eine Zusammenarbeit mit dem Software-Unternehmen OATSystems und der Unternehmensberatung Bearingpoint.
SAP hat soeben eine RFID-Gesamtlösung vorgestellt, die auf Netweaver und der RFID-Betriebsumgebung You-R Open des Chip-Herstellers Infineon basiert und auf den Handel und Fertigungsunternehmen zielt.

Hemmnisse überwinden

Dem breiten Durchbruch steht aber noch einiges entgegen. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts nennt vor allem die fehlende Standardisierung und die erwarteten Investitionskosten. Entscheidend wird sein, welcher Anbieter als erster ein überzeugendes Projekt vorweisen kann.
Da die angepeilten Kunden nicht unbedingt «First Mover» sind, bringen sich die Unternehmen gleich selber ins Spiel. Infineon Technologies setzt das mit SAP geschnürte Software-Paket selber ein, um zu zeigen, wie sich die RFID-Abläufe in die ERP-Prozesse für das Lieferketten- und Anlagen-Management einpassen lassen.
HP gehört zu den acht Unternehmen, die Walmart für sein RFID-Projekt in den USA mit Waren beliefern. Die Drucker-Verpackungen werden im Logistikzentrum in Memphis mit einem RFID-Tag versehen. Dasselbe passiert seit kurzem mit den in den USA gefertigten Druckerpatronen. Nach und nach sollen die HP-Zulieferer für die Drucker-Assemblierung dazu gebracht werden, ihre Teile ebenfalls mit Funk-lesbaren Tags zu versehen.

Angst vor Big Brother

Über die wirtschaftlichen Vorteile von RFID besteht allgemein Überereinstimmung. Krummenacher von Microsoft weist aber auf die mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz hin: «Es ist doch bezeichnend, dass die Migros aufgrund eines angekündigten RFID-Pilotprojektes soeben für den Big Brother Award nominiert wurde, mit dem Verstösse gegen den Datenschutz ‹auszeichnet› werden. Da steht uns noch einiges an Überzeugungsarbeit bevor.»
Die Technik als solche wird schon länger eingesetzt. Wanderungen von Wildtieren – und auf manchen US-Farmen das Herdenverhalten der Kühe – werden mittels implementierter RFID-Tags beobachtet. Die Angst vor der Überwachung von Menschen liegt da auf der Hand.
SAP scheint dies erkannt zu haben: Bei allem wirtschaftlichen Nutzen müsse man auf Vorbehalte gegenüber einem möglichen Einfluss auf die Privatsphäre Rücksicht nehmen, schreibt das Unternehmen. Es ruft zu einem Diskurs zwischen allen beteiligten Gruppen auf und plant ein Internet-Forum, das sich mit dem Thema RFID befasst. Dort sollen sich Kunden, Partner, Lieferanten und interessierte Gruppen informieren und Meinungen austauschen können. (fis)


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