Angst vor rückwirkender MP3-Abgabe

Die Beschwerde des Branchenverbandes Swico hat die MP3-Player-Abgabe zwar einstweilen verhindert, gleichzeitig aber auch für viel Unsicherheit bei den Distributoren und Importeuren gesorgt.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2006/05

     

Am 17. Januar hat die Eidgenössische Schiedskommission eine Pauschalabgabe auf digitalen Speichermedien beschlossen. Künftig sollen die Konsumenten beim Kauf von MP3-Playern oder Videorekordern mit integrierten Festplatten eine Abgabe dafür entrichten, dass sie auf diese Geräte möglicherweise auch urheberrechtlich geschütztes Material aufspielen. Der Branchenverband Swico hat dagegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben. Mit Verfügung vom 20. Februar hat dieses der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Bis zu einem definitiven Entscheid in der Sache kann die geplante Abgabe nicht wie vorgesehen am 1. März in Kraft treten und ist einstweilen ausgesetzt.

Verunsicherung ist gross

Die Verunsicherung bei den Schweizer Distributoren und Importeuren von Gerätschaft, die mit der neuen Abgabe belegt wird, ist gross: «Die Situation ist verworren», sagt etwa Also-Chef Marc Schnyder. Solche Geräte würden zwar von Also nicht direkt importiert, doch würden sie je länger je mehr einen wachsenden Anteil im Produktportfolio bilden. «Wir prüfen jetzt, wie es weitergehen soll», so Schnyder. Die Rechts­lage ist in der Tat nicht ganz klar. Fakt ist, dass mit dem Zwischenentscheid des Bundesgerichtes in der Frage des Tarifs selber noch nichts entschieden ist. Sollte dieses nämlich in einem späteren materiellen Verfahren den Tarif stützen, befürchten die Importeure, dass sie rückwirkend für die seit dem 1. März dieses Jahres fälligen Abgaben zur Kasse gebeten werden.
«Wir reden hier von nicht ganz unerheblichen Beträgen», sagt Actebis-Chef Hanspeter Weiss. Für einen MP3-Player mit einem Gigabyte Speicher würden 15 Franken fällig. Actebis habe erst vor kurzem für einen grossen Kunden 6500 solcher Geräte eingekauft: «Im Falle einer harten rückwirkenden Einführung würde uns dies schwer treffen. Mit der niedrigen Marge im Distributionsgeschäft ist man nicht in der Lage, solche Beträge zu finanzieren», klagt Weiss. Ob rückwirkend verrechnet oder nicht: Der nackte Tarif selber ist schlimm genug und könnte kleinere Schweizer Importeure in arge Schwierigkeiten bringen: «Unsere Multimedia-Harddisk Rhapsody kann mit Festplatten bis zu 400 Gigabyte bestückt werden. Ein Preisaufschlag in der Grössenordnung von 200 Franken für den Endkunden wäre verheerend», sagt Susanne Hiestand, Marketingleiterin von Simpex Electronic. Man sei deshalb froh, dass der Swico Beschwerde gegen den Tarif führe.

Wie geht es weiter?

Der Swico muss die schriftliche Begründung der Schiedskommission abwarten, bevor er materielle Beschwerde gegen den Tarif erheben kann. «Die Begründung dürfte im Frühsommer vorliegen», sagt Andreas Wegelin, Direktor Kundendienste und Lizenzierung der Suisa zu IT Reseller. Anschliessend ist es wahrscheinlich, dass der Swico dagegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben wird. Einen entsprechenden Schritt werden auch die Verwertungsgesellschaften prüfen. «Nach dem Schriftenwechsel unter den Parteien braucht das Bundesgericht rund 10 Monate für einen Entscheid. Es kann sein, dass man erst im Sommer 2007 genaueres über die Höhe und das Inkrafttreten des Tarifs weiss», so Suisa-Wegelin weiter.

Was passiert wenn...

Jetzt stellt sich die Frage, was passiert, wenn die aufschiebende Wirkung dahinfällt und der Tarif gestützt wird: Müssen die Importeure die Abgaben nachzahlen, Also jetzt Rückstellungen dafür bilden? Solche Schritte scheint COS ins Auge zu fassen: «Von der Suisa wurden wir brieflich informiert, dass die Gebühren im Fall einer Bestätigung durch das Bundesgericht rückwirkend geschuldet werden. Die COS Distribution hat diese Weisung zur Kenntnis genommen und die entsprechenden Massnahmen eingeleitet», sagt COS-Boss Christian Köck.
Eine andere Meinung vertreten die Juristen des Swico: «Angesichts der bisherigen Gerichtspraxis ist es wenig wahrscheinlich, dass der Tarif rückwirkend in Kraft tritt. Wenn schon dürfte das Bundesgericht einem verzögerten Inkrafttreten dadurch Rechnung tragen, dass die entgangenen Abgaben in der Form von erhöhten Abgaben für die Zukunft kompensiert würden», sagt Swico-Geschäftsführerin Rita Wirz (Bild). Rückstellungen seien also vorderhand nicht nötig. Die CE-Branche teilt die Ansicht des Verbandes: «Wir denken auch, dass diese Variante eintreffen wird, zumal eine solche Praxis auch in früheren Entscheiden einvernehmlich angewandt wurde», sagt Christian Hermle, Leiter Corporate Communications von John Lay.

IT Reseller meint:

Schweizer Distis und Importeure s­agen: Jetzt hat die Stunde des ­Swico geschlagen! Jetzt kann sich dieser Verband zum ersten Mal einer harten Bewährungsprobe stellen. Denn: Der von der Schiedskommission beschlossene Tarif sollte junge Raubkopierer treffen, doch er trifft eine ganze Industrie mitten in ihr Herz. Störend ist, dass der Bundesrat bei der Revision des Urheberrechts ­explizit auf eine Geräteabgabe verzichten will. Und dass eine solche jetzt «durch die Hintertür» eingeführt werden soll. In einer Höhe, die jeder Rechtfertigung entbehrt, die den ­Distis und Importeuren schadet und die Kunden vom Kaufen solcher ­Geräte abhalten wird. Denn wer bezahlt schon freiwillig 200 Franken Suisa-Gebühren für eine mobile Festplatte? Es bleibt zu hoffen, dass mindestens die krassen Ungleichheiten in der Besteuerung korrigiert und die Abgaben massiv herabgesetzt werden. (bor)


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