Welcher Berufsmann musste nicht schon feststellen: Interessanten Aufgaben und Kontakten stehen sinnlose Sitzungen, führungslose Projekte und firmenpolitische Erstarrungen gegenüber. Eine Erkenntnis, zu der Anfang 1985 auch der 29-jährige Hans Bärfuss gelang. Als Konsequenz daraus gründete er im August 1985 im zürcherischen Steinmaur die Glance AG. Es war die Zeit, als die Masse der Menschen und auch viele IT-Spezialisten noch nichts vom PC an jedem Arbeitsplatz oder vom Internet in jedem Haushalt ahnten.
Vier Jahre zuvor war Bärfuss direkt von der ETH-Diplomprüfung ins BBC-Forschungszentrum (Baden) gewechselt, wo man an neuen Techniken wie vernetzten Rechnern und künstlicher Intelligenz werkelte. «Hier knüpfte ich Forschungskontakte, die bis heute wichtig sind», sagt Bärfuss. Davor hatte der im Kanton Freiburg Aufgewachsene von 1972 bis 1981 Elektrotechnik studiert, unterbrochen durch längere Praktika bei der Tontechnik-Spezialistin Studer Revox.
Schweizermacher vertont
Der Weg zu Studer Revox war vorgezeichnet. Schon in der Jugendzeit hatte Bärfuss als Musiker und Radiobastler autodidaktisch elektronische Musikgeneratoren und Orgeln konstruiert. In der Bedienung den Originalen ähnlich fanden sie bei Organisten Gefallen, die nicht ausreichend üben konnten. So gründete er mit 17 Jahren eine Orgelmanufaktur und verdiente mit der Firma gutes Geld.
Glance wiederum fertigte 12 Jahre später als Initialisierungsprojekt ein Studio-Automationssystem für die Nachbearbeitung von Filmen und Videos, womit die Tonspur für den Film «Schweizermacher» kreiert wurde. Wegen des internationalen Erfolgs kaufte Willi Studer von Bärfuss die Lizenz für Herstellung und Vertrieb der Lösung, ehe sich Glance auf Software für Mikrocontroller konzentrierte. Gleichzeitig schrieb Bärfuss nebenberuflich von 1988 bis 1994 eine Dissertation zum Thema Mikrocontroller.
Acht Firmen in 16 Jahren
Während der Dissertation erkannte Bärfuss das Potential von Imaging-Systemen in der Medizin und von elektronischen Patientenakten. Und gründete im Jahr 1990 weitere Firmen:
Creative Computer Software (CCS) entwickelte Zahnarztlösungen und die Medizinal-Informatik AG (Medica) elektronische Patientenakten für Krankenhäuser. Glance hatte sich mittlerweile zur Softwareentwicklerin und Systemintegratorin gewandelt. In den schnelllebigen 90er-Jahren gewann Glance mit E-Business-Software und Webportal-Anwendungen eine Reihe von Banken und Versicherungen als Kunden. Zwischen 1985 und 2001 gründete Bärfuss insgesamt acht Firmen, von denen sechs noch existieren, meist aber in andere Unternehmen integriert sind – so Glance etwa in Adesso Schweiz.
Ein Erfolgsrezept? «Von klein auf musste ich mehrere Themen unter einen Hut bringen: Schule, Broterwerb, Kunst. Und somit klare Ziele haben», blickt Bärfuss zurück. Zugute kam ihm, dass er in den 70er-Jahren Segelfliegen und Motorfliegen gelernt, die Berufspilotenlizenz erworben und schliesslich noch das Akrobatikfliegen erlernt hatte. «Im Flugzeug gilt die Tradition des Patrons, nicht des Managers: Der Kommandant muss alles selber können, was seine Crew durchführen muss.»
Als Mann, der Vorder- und Hinterbühne der IT-Welt unterscheiden konnte, sah Bärfuss das Platzen der Dotcom-Blase kommen. Als er die Hauptfirma Glance 2001 zu einem «schönen Preis» verkaufte, beschäftigte sie 70 Mitarbeiter sowie Freelance-Programmierer in Russland. Bärfuss: «Zuvor hatte ich persönlich nicht viel Geld aus meiner Arbeit herausgeholt, sondern die Gewinne laufend reinvestiert. Ich wollte mich vorerst nur noch um die schönen Dinge des Lebens kümmern.»
Archivierung als neues Gebiet
Ganz geschafft hat Bärfuss dies aber nicht: 2002 gründete er als Glance-Spinoff die PDF- und Archivierungsspezialistin PDF Tools AG. Seine Idee: Das Geschäft sollte auf einem Notebook Platz haben und der Markt via Web erschliessbar sein. Das hat er nicht ganz geschafft: Am Firmenstandort im zürcherischen Winkel arbeiten mehrere Angestellte. Inzwischen gehören Firmen wie UBS und OEM-Partner wie Finjan und Docubase zu den Kunden. Gleichzeitig wurde Bärfuss Repräsentant der Schweiz in der Normierungsgruppe PDF/A der ISO – eine Spezialität von PDF Tools sind Archivierungs- und Aufbewahrungslösungen rund um den PDF/A-Standard (PDF-Archivierung von Rechnungen, Dokumenten usw. mit Lesbarkeit über mindestens zehn Jahre hinweg), der inzwischen auch mit digitalen Signaturen arbeitet.
Längst gibt Bärfuss sein Wissen weiter: 2006 gründete er mit anderen Ingenieuren und Führungskräften das Beratungshaus Forte Advisors, das Investoren im Umfeld innovativer Technologie berät. Vielen Jungfirmen hat Bärfuss mit auf den Weg gegeben, dass am Anfang jeden Erfolgs wohl die zündende Idee stehe. Doch ist es für ihn ein Irrglaube, dass Ideen von hoher Kreativität sein müssen: «Meine Beobachtung und Erfahrung ist, dass die Welt mit mittelmässigen Ideen vorangebracht wird.» Ob eine Idee sich zu marktgerechten Produkten entwickle, hänge von Initiative, Willen und Ausdauer des Unternehmers ab.
Hans Bärfuss
Hans Bärfuss (Jahrgang 1956) ist als eines von drei Kindern in Courgevaux, einem Dorf im Kanton Freiburg, in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Sein Vater war Bildhauer und Cellist, die Domänen der erdverbundenen Mutter waren Haus und Herd. Mit dem Vater verband sie eine grosse Liebe zur Musik. Um Geld zu verdienen, arbeitete Bärfuss bereits mit 14 auf dem Bau oder unterrichtete Privatschüler in Musik. Zudem spielte er in einem Kammerorchester. Ungefähr zeitgleich mit der Matura erwarb er am Konservatorium das Lehrdiplom in Musik, ehe er in Zürich Elektrotechnik studierte. Den Umzug aus der Kulturstadt Freiburg ins geldgetriebene Zürich erlebte Bärfuss als Kulturschock. Hans Bärfuss ist verheiratet, hat einen Sohn und wohnt im zürcherischen Winkel. Die Familie bezeichnet er als das für ihn Wichtigste auf der Welt.