Comdex als Spielzeug-Messe

Auch dieses Jahr nutzten die Ellisons, McNealys und Gates‘ ihre Keynotes an der Comdex Fall, um den Gegnern in der Show-Town Las Vegas an den Kragen zu gehen. Im Zentrum standen einmal mehr die Gadgets.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2000/21

     

An der diesjährigen Comdex zeigten 2300 Aussteller ihre Produkte rund 100‘000 Besuchern. Damit weist selbst die Systems bessere Zahlen vor, als die von den Amerikanern immer noch als «grösste Computer-Messe der Welt» bezeichnete Austellung in Las Vegas. Allerdings werden auf der Herbst-Comdex nach wie vor wichtige Trends ablesbar. Und was wäre die Computerbranche ohne die Keynote-Gockelkämpfe von Leuten wie Larry Ellison (Oracle), Scott McNealy (Sun) und Bill Gates (Microsoft) .
Ellison warf Gates wieder einmal vor, die Software von Microsoft sei zu kompliziert. Überhaupt sei die Zeit des PC vorbei. «Der PC wird zum Netzwerk-Computer, er verwandelt sich in eine E-Appliance», verkündete der Oracle-Chef.
Microsoft blieb die Antwort nicht schuldig. Steve Ballmer in einem Interview mit Cnet: «Larry redet seit Jahren von Ideen, die zu nichts führen. Wie lange propagiert er seinen Netzwerk-Computer nun schon – sechs oder sieben Jahre? Und wohin führte die Idee? Ins Nichts.»Für Ballmer liegt die Zukunft nach wie vor beim PC: «Der Markt wächst zwar langsamer, man muss aber im Auge behalten, dass die Büroangestellten in Europa noch lange nicht so gut ausgestattet sind wie ihre Kollegen in den USA.»

Kleingeräte und Spielereien

Im Zentrum der Messe standen jedoch – wie schon im letzten Jahr — sogenannte «Gadgets». Bill Gates etwa präsentierte während seiner Keynote den bereits am Microsoft Forum 2000 vorgeführten Tablet-PC – eine Kombination aus E-Book und Surf-Terminal (Bild). Der Tablett-PC ist übrigens nicht etwa mit Windows CE bestückt, sondern läuft unter Win
2000. Ein in der Presseveranstaltung gezeigter Tablet-PC lief mit einem Crusoe-Prozessor von Transmeta.
Der von Gates ebenfalls angekündigte Windows Media Players für Pocket PCs liegt unterdessen als Betaversion zum Download bereit. Damit können Besitzer des Mini-Rechners Streaming Video und Audio über das Internet empfangen. Demnächst wird man wohl Leute beobachten können, die sich die Tagesschau im Tram reinziehen. Für den Empfang ist entweder eine drahtlose Netzwerkverbindung oder die Übertragungen vom Handy über eine serielle oder Infrarot-Schnittstelle notwendig. Auf der Serverseite werden die Windows Media Services unter Windows 2000 vorausgesetzt.
Die vorliegende Version lässt sich allerdings nur auf den iPaq-Pocket-PCs von Compaq installieren. Im nächsten Monat sollen auch Geräte von Casio und Hewlett-Packard unterstützt werden.
Konkurrent Palm Computing seinerseits hat einen Mobile Internet Kit vorgestellt. Hinter dem klangvollen Namen verbirgt sich ein Softwarepaket mit einem Update auf die neue Betriebssystemversion 3.5, ein Programm zum Versenden und Empfangen von SMS-Nachrichten sowie die Standard-Version des E-Mail-Client Multimail. Diese kann allerdings – im Gegensatz zur Pro-Version – keine Anlagen herunterladen und beschränkt Textnachrichten auf 60 KByte.
Um mit einem Palm-Organizer ins Internet zu kommen, wird ein datenfähiges Mobiltelefon und ein Verbindungskabel oder eine Infrarotverbindung benötigt.

Reigen der Pinguine

Natürlich durfte auch Linux auf der Comdex nicht fehlen. In der Linux-Ecke fanden sich Pinguine aller Sorten: als Zauberer verkleidet, als Punk mit rasierten Kopffedern und sogar als Zielscheibe für Plastikpfeile.
Noch skurriler ging es bei einem «Desktop Dukeout» zu, den die Firma Epitera veranstaltete: In einem Boxring kämpfte eine hektische Büroklammer gegen einen Geist namens Kandu. Dieser ist laut Epitera ein Assistent, der neuen Linux-Benutzern den Einstieg in das System genau so erleichtern soll, wie die Büroklammer bei Microsoft. Damit hat Linux jetzt seine eigene Nervensäge.
Neben den Einfällen der Newcomer mutete die Präsentation von Firmen wie Red Hat, Suse oder Turbo Linux schon beinah IBM-mässig seriös an.
Etwa 60 Neuvorstellungen von eigens für den Normalanwender geschriebenen Programmen zeigten, dass Linux auf dem Weg zum Desktop ist. Die allgemeine Linux-Seligkeit hat aber auch eine Kehrseite. Manuel de Icaza (Gnome) machte in seiner Keynote darauf aufmerksam: Da keine verbindlichen Richtlinien für die Oberfläche existieren, entstehen Programme, die oft genug Benutzerführung mit Benutzerverwirrung verwechseln.

Und ausserdem

Neben der Messe ging es eher zivilisiert zu. Richtig wild und fast wie in alten Zeiten feierte nur der Newcomer EDS, der einen ganzen Flugzeughangar für den Auftritt einer Popgruppe namens Barenaked Ladys gemietet hatte. Der EDV-Dienstleister bestritt auf der Comdex seine erste Keynote unter dem Titel «Managing Communications is like Herdings Cats». Auf Video-Wänden in der ganzen Stadt lief dazu ein Video, in dem Cowboys eine Herde Katzen durch den Wilden Westen treiben und am Abend Wollknäuel binden. Das gefiel den Besuchern. (fis)

Kein System preisgekrönt

Zum Ende der Messe werden traditionell die besten Produkte ausgezeichnet. In der Kategorie Mobile Systeme schaffte es Nvidia mit «Geforce 2 Go» für Laptops auf den ersten Platz, bei den Online-Diensten Ricochet mit ihrem in den USA populären, drahtlosen Internet-Zugang. Bei den Business-Produkten gewann Compaq mit dem portablen Projektor MP 2800, im Bereich Enterprise «The VAN» von Virtual Access Networks.
Gateway und AOL wurden für den Connected Touch Pad zu «Best of Show» gekührt.
Erstmals wurde in diesem Jahr jedoch kein Betriebssystem prämiert. Es gab nichts Neues auf der Messe . Als Ersatz wurde von der Jury die Kategorie «Vision of the Future» geschaffen. Und obwohl das Konzept des Tablet-PC schon 1991 auf der Comdex einen Preis bekommen hatte (damals für die Firma Go), galt die Schreibhilfe der Jury auch jetzt wieder als visionär. Als einzige Firma mochte Microsoft ihren Preis nicht abholen.


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