In bester Selfmademan-Manier hatte Boerries 1985 im Alter von 16 Jahren seine Textverarbeitung Starwriter entwickelt. Seitdem erhält die zur Office-Suite ausgewachsene Software in Tests regelmässig gute Noten. Doch gegen
Microsoft Office hatten die innovativen Deutschen trotzdem wenig zu bestellen.
Alles wird Gratis
Während
Microsoft mit der Office-Suite weiterhin sehr gutes Geld verdient, ergreift Boerries 1998 die Flucht nach vorn und gibt am 13. November bekannt, ab sofort gebe es Staroffice 5.0 für nicht-kommerzielle Anwender gratis. Bis zur Cebit 1999 hatten 1,8 Millionen Leute Staroffice heruntergeladen oder die Installations-CD angefordert. Nach dem Verkauf seiner Star Division an Sun geht Boerries einen Schritt weiter. Das Star Office-Paket soll in eine Star Portal-Version umgewandelt werden. Star Portal wird es erlauben, mit verschiedenen Geräten im Intra- oder Internet auf die Office-Software zuzugreifen. Der Clou: Auch Star Portal soll, unter der Bedingung, dass auch den Benutzern nichts verrechnet wird, kostenlos verteilt werden.
Wie wollen Sie Geld verdienen, Herr Boerries?
IT Reseller: Sun wird Star Portal verschenken. Wie wollen Sie überhaupt noch Geld verdienen?
Marco Boerries: Wir werden auf drei Arten Geld verdienen. Erstens werden unsere Kunden, also ISPs und Grossfirmen, für Star Portal Service-Verträge abschliessen. Das ist ein sehr einträgliches Business. Zweitens ist Sun eine Server- und Speicherfirma: Die neue Art, Software zu verteilen, wird eine grosse Nachfrage nach Servern und Speicher generieren. Drittens gibt es die Re-Distribution: Wenn ein ISP von seinen Kunden Geld für die Benützung der Star Office-Umgebung verlangt, muss er uns eine Gebühr bezahlen.
ITR: Wie soll Star Portal konkret funktionieren?
MB: Die Bandbreite und die Kosten sind in Europa tatsächlich noch ein Problem. Man wird also nicht von heute auf morgen die ganze Office-Funktionalität vom Star Portal aus benützen. Aber wir bieten eine Zwischenlösung: Sie können mit Star Office Classic lokal arbeiten und die Daten später mit Star Portal einfach synchronisieren.
ITR: Wie wollen Sie die Leute überzeugen, von Microsoft umzusteigen?
MB: Wir machen den Zugriff auf die Daten flexibel, so dass Sie von überall her und mit jedem Gerät darauf zugreifen können. Dabei haben wir einen Vorsprung, denn wir haben bereits vor 10 Jahren die Core-Funktionalität vom User-Interface getrennt.
ITR: Wenn Sie recht haben, so wird ihr Konzept auch die Vertriebswege für Software völlig verändern.
MB: In fünf Jahren wird es den Software-Handel nicht mehr geben. Portale werden als Lieferanten von Software funktionieren. Man wird nicht mehr alle paar Monate mühsam Upgrades installieren müssen, sondern einen Service-Vertrag mit dem SW-Hersteller abschliessen.
Paradigma-Wechsel oder Marketing-Gag?
In der anschliessenden Demo sahen wir die ersten Anwendungen von Star Portal. Zwar war konnten uns die Sun-Leute keine Anwendungen auf realen Handies oder
Palm Pilots zeigen. Doch die Emulationen (zum Beispiel die Kommunikations- und Planungs-Oberfläche auf einem Handy und einem Palmpilot) sahen sinnvoll aus.
Doch für uns blieben zwei Fragen offen. Zum einen die nötige Bandbreite. Mails im WAP-Standard abzubilden ist eine ganz andere Sache als eine Präsentation mit diversen Bildern und eingebundenen Dritt-Anwendungen in einem Browser laufen zu lassen.
Zum anderen werden die Daten extrem zentralisiert. Kaum vorstellbar, dass ein Betrieb seine Geschäftsdaten von einem ISP oder gar einem amerikanischen Multi verwalten lassen wird.
So schnell dürfte
Microsoft nicht ins Zittern kommen. Und wer sagt denn, dass Bill Gates nicht in dem Moment, wo sich das Portal-Konzept durchgesetzt hat, vor die Welt steht und sagt: «Wir waren schon immer eine Portal-Company!». (hc)