Die freie Wahl ist eines der höchsten Güter unserer westlichen Demokratie. Das gilt auch im Bereich der Produktewahl: Wer wollte mir schon vorschreiben, welche Zahnbürste oder welches Aftershave ich zu verwenden habe! Dabei ist diese freie Wahl durchaus nicht selbstverständlich. Immer wieder ist von Kartellen, Monopolen und Marktregulierungen die Rede. Eine solche Entwicklung findet derzeit auch im Software-Markt statt. Dieser Markt ist gekennzeichnet durch eine symbiotische Zusammenarbeit von Hersteller und Reseller, von der beide Seiten profitieren: Der Hersteller vergrössert seine Reichweite, der Reseller sein Produkteportfolio. Als unabhängiger Berater fungiert letzterer als Bindeglied zwischen Produzent und Kunde und bringt die Interessen beider auf einen gemeinsamen Nenner. Dieses Erfolgsmodell ist in letzter Zeit jedoch unter Druck geraten. Mit speziellen Incentives versuchen die grossen Hersteller ihre Partner enger an sich zu binden. Bei den Resellern geht der Trend daher in Richtung Spezialisierung auf ausgewählte Hersteller und Produktepaletten.
Punktuelle Incentives versus Giesskannenprinzip
Bis vor kurzem waren die Incentives der meisten grossen Hersteller nicht produktgebunden, sondern erstreckten sich in der Regel auf das ganze Sortiment, also auch auf jene Produkte, die dies eigentlich nicht nötig haben. Die Hersteller kamen deshalb auf die Idee, Gelder von den «Selbstläufern» weg hin zu weniger bekannten «Ladenhütern» zu verschieben, um auch dort ihre Umsätze zu erhöhen. Anstatt Incentives mit dem Giesskannenprinzip zu verteilen, wollten die Hersteller ihre Anreizsysteme in Zukunft gezielter einsetzen. Die Logik der neuen Strategie leuchtet ein: Wozu Produkte wie beispielsweise das «Office Paket» pushen, wenn diese sowieso gekauft werden?
Nicht ganz so unumstritten ist hingegen die Art und Weise, wie die grossen Hersteller dieses Ziel mittlerweile anstreben. Sie tun dies über die Voraussetzungen, die ein Reseller erfüllen muss, um in den Genuss von vorteilhaften Partnerprogrammen zu kommen. Diese Voraussetzungen reichen von einem zu erzielenden Mindestumsatz bis hin zur Bereitstellung von Spezialisten für gewisse Produktgruppen oder Technologien. Einem Reseller, der mehrere dutzende verschiedener Programme im Angebot hat, ist es aber schlicht nicht möglich, für jedes einzelne Produkt eigene Spezialisten zu engagieren.
Den Software-Herstellern kommt dies gerade recht: Anstatt mit jedem beliebigen Reseller zusammenarbeiten zu müssen, können sie sich auf einige wenige Partner konzentrieren, die sich auf ihre Software spezialisiert haben. Für alle anderen werden die Hürden so hoch angesetzt, dass eine Zusammenarbeit für den Reseller nicht mehr rentabel ist. Letztere können die Software nicht mehr zu konkurrenzfähigen Preisen anbieten – sie fällt aus dem Sortiment. Ein Verlust für den Reseller, der seinen Stammkunden gewisse Programme nun nicht länger anbieten kann.
Gefährliche Dynamik
Doch auch die Endkunden sind Verlierer dieser
neuen Strategie. Der Grund dafür ist offensichtlich: Kann der Reseller gewisse Produkte nicht mehr anbieten, weil er die Bedingungen des Herstellers nicht erfüllt, dann hat der Kunde letztlich eine geringere Auswahl. Incentives der Hersteller sorgen zudem dafür, dass Reseller gewisse Produkte aggressiver verkaufen als andere. Der Channel-Partner ist in dem Fall kein neutraler Verkäufer und Berater mehr. Es besteht die Gefahr, dass er den Kunden nicht mehr unvoreingenommen über die Vor- und Nachteile eines bestimmten Produkts informiert, sondern die Vorzüge jenes Produkts hervorhebt, bei dem er den grössten Profit macht. Letztlich schränken die Hersteller so die freie Produktewahl des Endkunden ein. Mit anderen Worten: Es findet eine gezielte Marktregulierung statt. Die meisten Kunden haben bisher noch nicht viel von dieser Veränderung mitbekommen. Doch bereits sind erste Fälle bekannt geworden, in denen sich ein Kunde dazu entschied, wesentlich mehr für ein Produkt zu bezahlen, weil er es über seinen langjährigen Reseller und nicht über den Partner der Wahl des Herstellers beziehen wollte.
Dass die grossen Hersteller ihre finanziellen Mittel gezielt einsetzen, ist durchaus sinnvoll. Und das rundum perfekte Partnerprogramm wird es vermutlich nie geben – genauso wenig wie die eierlegende Wollmilchsau –, denn zu viele verschiedene Interessen müssen unter einen Hut gebracht werden. Die einen Hersteller lösen das Problem partnerschaftlicher als die anderen. Doch am besten werden wohl letztlich die Reseller fahren, die ihren Kunden Mehrwert über den reinen Software-Verkauf hinaus anbieten können: sei es in der Beratung, in der Vollständigkeit ihres Sortiments oder in der Spezialisierung auf einem ganz bestimmten Gebiet.