Wirft man einen Frosch in eine Pfanne mit siedendem Wasser, dann wird er sofort wieder herausspringen. Wenn man jedoch das Tier in ein Gefäss mit kaltem Wasser gibt und dann die Temperatur langsam bis zum Siedepunkt erhitzt, so wird er im Topf bleiben, bis er stirbt. Der Grund: Das Tier bemerkt die tödliche Gefahr nicht und versucht nicht zu fliehen. Dieses Experiment ist in der Biologie als «Boiled Frog Effect» bekannt. Doch nicht nur Frösche scheinen die Gefahren nicht zu erkennen, wenn diese nur langsam genug ablaufen. So weiss man beispielsweise schon seit Jahren, dass sich der Fachkräftemangel in der Schweiz infolge demografischer Veränderungen in den nächsten zwanzig Jahren drastisch zuspitzen wird. Doch Rekrutierungsstrategien, wie aktiv dagegen vorgegangen werden könnte, wenden zurzeit nur wenige Firmen an. Und dies, obwohl bereits heute der sich abzeichnende Spezialistenmangel schon deutlich spürbar ist. So geben beispielsweise 52 Prozent aller Schweizer KMU in einer von Ernst & Young veröffentlichten Studie aus dem Jahre 2011 an, dass die Suche nach qualifizierten Fachkräften im Jahre 2010 schwieriger geworden sei.
Wer nun glaubt, dass dies allein mit dem positiven Wirtschaftswachstum im Jahre 2010 zu tun hat, der irrt: Wie derselben Grafik aus den Jahren 2008 und 2009 zu entnehmen ist, gestaltete sich die Suche nach Spezialisten auch in diesen wirtschaftlich anspruchsvollen Zeiten ähnlich schwierig. Der Grund dafür ist, dass in Krisenzeiten Mitarbeiter viel vorsichtiger sind mit einem Stellenwechsel und darum viele Stellen nicht besetzt werden können. Die Schlussfolgerung: Qualifizierte Fachkräfte sind immer Mangelware.
Erfahrung zählt wieder etwas
Welche Trends und Schlussfolgerungen können nun aber in Bezug auf die Rekrutierung von Vertriebsmitarbeitern im IT-Umfeld gezogen werden? Zunächst einmal stelle ich fest, dass es wesentlich einfacher geworden ist, einen guten Vertriebler um die fünfzig bei einer Firma zu platzieren, als dies noch vor ein paar Jahren der Fall war. Mag sein, dass sich mittlerweile auch bei den Arbeitgebern die Einsicht durchgesetzt hat, dass seniore Verkäufer meist über ein exzellentes Netzwerk sowie über die erforderlichen technischen und verkäuferischen Skills verfügen, die für jedes Unternehmen unbezahlbar sind. Mindestens ebenso wahrscheinlich dürfte jedoch der Umstand sein, dass die Auswahl der in Frage kommenden Kandidaten oft so bescheiden ist, dass man zwangsläufig auf ältere Verkäufer zurückgreifen muss, um die Stelle überhaupt besetzen zu können. Denn junge und qualifizierte Nachwuchskräfte mit ein paar Jahren Erfahrung sucht man meist vergebens. Demografische Entwicklungen können dafür sicherlich mitverantwortlich gemacht werden. Doch auch die Firmen selbst haben oft mit einer völlig verfehlten und kurzfristigen Personalpolitik diesen Trend sicherlich noch verschärft. Was meine ich damit? Spricht man mit Verkäufern, die in den 70-iger oder 80-iger Jahren in den IT-Vertrieb eingestiegen sind, so erzählen einem diese mit leuchtenden Augen von internen Sales Schools, die sie während den ersten 12 Monaten durchlaufen mussten. Sie erwähnen, dass ihnen in den ersten Monaten ein erfahrener «Sales-Kollege» zur Seite gestellt wurde, der sie unter die Fittiche nahm und ihnen das Verkaufshandwerk von der Pike auf beibrachte. Sie berichten darüber, dass sie am Anfang vom Quotendruck befreit gewesen seien und kontinuierlich an die neue Aufgabe herangeführt wurden.
Geld allein genügt nicht
Und wie sieht es heute mit der Nachwuchsförderung im IT-Vertrieb aus? Nur zu oft ist diese heute leider praktisch nicht existent. In der irrigen Annahme, dass man die Mitarbeiter alleine über das Portemonnaie motivieren könne, werden junge und unerfahrene Verkaufsmitarbeiter geködert. Wer nicht reüssiert, wird schon nach kurzer Zeit wieder auf die Strasse gestellt und ist damit für eine Karriere im Verkauf meist unwiederbringlich verloren. Diverse HR-Studien zeigen jedoch deutlich auf, dass die konsequente Talentförderung gerade für mittelständische Unternehmen eine der wirksamsten Möglichkeiten wäre, um qualifiziertes Personal aus den eigenen Reihen zu rekrutieren. Auf den Vertrieb bezogen hiesse dies, intern junge Mitarbeiter mit dem Potential für eine Verkaufskarriere gezielt an einen Verkaufsjob heranzuführen. Talentförderung hiesse auch, sich von starren Stellenprofilen zu lösen und junge Quereinsteiger mit ausgeprägter Sales-DNA durch ein internes Schulungsprogramm innert 12 bis 18 Monaten zu vollwertigen Verkäufern auszubilden. Persönlich bin ich überzeugt, dass die konsequente Nachwuchsförderung, nebst Employer Branding (Employer Branding = Massnahmen zur Steigerung der Attraktivität als Arbeitgeber) und der
Fähigkeit, hervorragende Vertriebsmitarbeiter langfristig an das Unternehmen zu binden, in Zukunft mit zu den wichtigsten Key-Kompetenzen einer erfolgreichen Rekrutierungspolitik im Verkauf zählen werden. Gerade mittelständische IT-Unternehmen, welche sich gegenüber Grosskonzernen als attraktive Arbeitgeber behaupten müssen, können sich hier mit einer langfristigen Talentförderung grosse Wettbewerbsvorteile verschaffen.
(ms)