So richtig in Gang gekommen ist das Geschäft mit ERP-Software aus der Wolke noch nicht, schaut man alleine auf die Installationszahlen und den daraus abgeleiteten Marktanteil. Geschätzte rund drei Dutzend Firmen nutzen zum Beispiel SAPs ERP-Cloud-Angebot Business by Design (ByD) in der Schweiz – anderthalb Jahre nach dem Marktstart keine allzu berauschende Zahl. Insgesamt sollen dieses Jahr weltweit 3000 Firmen ByD einsetzen, zum Jahreswechsel waren es etwas über 1000. Dennoch können Systemhäuser und Reseller diesen Bereich des Marktes nicht ignorieren.
Nach SAP hat auch
Microsoft beschlossen, gross einzusteigen und wird mit der zum Jahreswechsel kommenden Version der KMU-Lösung Microsoft Dynamics NAV auch eine On-Demand-Lösung anbieten, die von Microsoft selbst betrieben wird. Auch andere Anbieter wie Enventa, IFS, Lawson, Sage und Scopevisio setzen auf die Cloud und bieten ihre Lösungen entsprechend an.
Selbst wenn der Marktanteil von ERP-Lösungen aus der Cloud aktuell bei unter einem Prozent liegt, sollten die Wachstumsraten Implementierer und Wiederverkäufer neugierig machen, liegen diese aktuell doch durchaus bei 50 Prozent und mehr pro Jahr. Doch einfach umzusatteln wird nicht funktionieren, denn die Partner müssen mehrere Aufgaben lösen.
Veränderter Einnahmefluss
Bedingt durch das Bezahlmodell ändert sich die Honorierung der Partner. Statt einmalig einen Anteil am Lizenzumsatz plus einen jährlichen Anteil am Wartungsvertrag, erhalten die Verkäufer nur noch einen monatlichen Anteil an den Mietkosten, um ihren Vertriebsaufwand zu decken. Der Druck, längerfristige Kundenbeziehungen aufzubauen, um einen konstanten Einnahmefluss zu gewährleisten, steigt damit deutlich.
Dadurch ändert sich die Verkaufskultur in den Unternehmen. Ist es heute durchaus nicht unüblich, einen Kunden über Monate zu bearbeiten, bis es zum Vertragsabschluss kommt, jetzt muss sich dieses Modell ändern. Ein Grossteil des Vertriebsprozesses muss aus Kostengründen ins Web verlagert werden: Demos, Tutorials, Hotlines und Konfiguratoren qualifizieren den Kunden idealerweise so weit vor, dass der Einsatz der teuren Ressource Vertrieb reduziert werden kann. Im CRM-Markt kann man das Modell am Beispiel von Salesforce.com gut studieren: Insbesondere KMU-Kunden sind weitestgehend dem virtuellen Vertrieb ausgesetzt, Grosskunden werden von einer speziellen Vertriebsmannschaft bedient.
Umsatzquellen fallen weg
Durch die Standardisierung auf Seiten der Software und die Unmöglichkeit, Systeme bis zur Unkenntlichkeit anzupassen, verlieren Systemhäuser eine wichtige Umsatzquelle: langlaufende Projekte. Es ist davon auszugehen, dass bestimmte Teile eines Projektes deutlich reduziert werden, namentlich Konfigurations- und Anpassungsdienstleistungen. Und Upgrades entfallen systembedingt.
Für Partner stellt sich die Frage, welche Rolle sie zukünftig im Ökosystem der Anbieter spielen wollen: reiner Verkäufer der Lösung, Implementierer, ISV, Master Reseller oder sogar Betreiber. Am erfolgversprechendsten erscheint aktuell die Variante ISV. Durch Ergänzungen der Software – funktional oder vertikal – heben sich Partner von der Masse der Verkäufer ab und können dank des Vertriebs über virtuelle Marktplätze wie den SAP Appstore auch Kunden anderer Partner finden.
Ebenfalls interessant können die Rollen Master Reseller, der sich eigene Reseller aufbaut, die gegebenenfalls auch selbsterstellte Lösungen verkaufen, und Betreiber sein. Es erscheint nicht utopisch, dass SAP ByD ab Mitte des Jahrzehnts nicht mehr ausschliesslich in SAP-Rechenzentren betrieben wird. Dieses Modell testen die Walldorfer bereits mit dem partnerbetriebenen Angebot SAP Business One aus der Cloud.
Der reine Verkaufswettbewerb der Lösung wird sich über den Preis, zu Lasten der Marge, austragen – kein attraktives Geschäftsmodell. Tendentiell werden Implementationsdienstleistungen zurückgehen, da die Software leichter auch von geschulten Anwendern angepasst werden kann.
Die Masse soll es richten
Skaleneffekte heisst das Lieblingswort der Cloud-Befürworter: Sind erst einmal ausreichend
Anwender in der Cloud, fallen die durchschnittlichen Betriebskosten pro Anwender, und es wird, nach zuerst beträchtlichen Investitionen in Vertrieb und Infrastruktur, Geld verdient. Mit dem traditionellen Modell des Software-Verkaufs und der laufenden Einnahmen durch Wartungsverträge konnte die Industrie jahrzehntelang mehr als auskömmlich leben. SAP strebt beispielsweise insgesamt eine Umsatzrendite von 35 Prozent an, doch davon ist ein reinrassiger Cloud-Anbieter wie Salesforce.com mit einem operativen Verlust von über 15 Prozent meilenweit entfernt. Und dies trotz 2,26 Milliarden Dollar Umsatz im letzten Geschäftsjahr. Auch in guten Zeiten kletterte diese Zahl nie über ein Plus von 10 Prozent.
Die Sorgen der Partner sind jedoch andere: Sie müssen mit geringeren Service-Umsätzen klar kommen und sollten ihre Kompetenzen in den Bereichen betriebswirtschaftlicher Prozesse und Change Management ausbauen, um ihren Aktionsspielraum zu erweitern. Dabei muss ein laufendes On-Premise-Geschäft die neuen Aktivitäten finanzieren. Auch für Partner bedeutet das Cloud-Geschäft erst einmal Investition: In die Ausbildung der Mitarbeiter, in die Programmierung von Apps und funktionale Ergänzungen sowie in die Anlaufkosten des Vertriebs. Statt ein oder zwei grosser Deals im Jahr sind kontinuierliche Vertragsabschlüsse gefragt. Entscheidend wird es sein, die richtige Zielgruppe zu finden. Schnell wachsende Unternehmen, die bis dato einen Technologiezoo aus Excel, Finanzbuchhaltung und CRM-Software haben, und nun an ihre Grenzen stossen und keine Zeit und Lust haben, sich mit langwierigen IT-Projekten zu beschäftigen, sind dabei zu beachten.
Cloud soll Wachstum bringen
Die Bedeutung des ERP-Cloud-Markts ist rein vom Umsatz her aktuell eher gering, aber in der Wolke wird sich in den nächsten Jahren das Wachstum entscheiden. Immer mehr kleinere Kunden sind bereit, den IT-Betrieb auch von sehr unternehmenskritischen Anwendungen extern betreiben zu lassen. Nur Anbieter, die hier eine überzeugende Antwort auf Fragen nach Sicherheit, Datenschutz, Preis, Branchenangeboten und Partnerkompetenz finden, werden zukünftig erfolgreich sein. Für die Partner bedeutet dieser zu erwartende Wandel, sich selbst anpassen zu müssen und den Spagat aus traditionellem Geschäft und neuer Welt hinzubekommen.
Frank Naujoks ist Director Research & Market Intelligence bei i2s.