Vertriebsflash: Parasiten im Verkauf


Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2012/06

     

Neulich habe ich mich mit einem Kollegen zum Lunch getroffen. Dieser arbeitet seit Jahren als gut bezahlter aber total frustrierter HR-Manager in einem mittelgrossen IT-Unternehmen. Er gehört zu jenem Typus Mensch, der sich über alles beklagt. Selbst die Geschicke in die Hand zu nehmen und etwas an seinem Leben zu ändern, dafür fehlt ihm jedoch der Mut. Und so trifft er sich deshalb mit Menschen wie mir, die ihm das Gefühl geben, dass er der Grösste sei. Auf leise Kritik reagiert er mit Irritation und ist danach oft tief beleidigt, nur um sich Wochen später erneut zu melden und anzufragen, ob man sich nicht wieder mal treffen wolle. Da ich schlecht Nein sagen kann, schafft es dieser sogenannte Freund immer wieder, mich rumzukriegen. Danach ärgere ich mich dann grün und blau, dass ich so dumm war, mich erneut auf ihn einzulassen. Denn am liebsten würde ich ihm sagen, dass er sich doch ein anderes Opfer aussuchen solle, bei dem er all seinen negativen Müll abladen könne.

Meister der Tarnung

So wie mir, ergeht es sicherlich auch dem einen oder anderen Leser: Da melden sich sogenannte beste Kollegen immer nur dann, wenn sie etwas von einem wollen. Dann bekommt man ein scheinheiliges SMS mit folgendem Inhalt: «Hoi du. Habe dich schon lange nicht mehr gesehen. Hast du mal wieder Lust auf einen Kaffee?» Wenn man sich dann nicht sofort meldet, dann wird emotionaler Druck aufgebaut, was dann in etwa so klingt: «Hast du mein SMS nicht bekommen? Oder willst du dich mit mir vielleicht nicht mehr treffen? Bin ich nicht mehr dein Freund?» Diese Art von Menschen haben eines gemeinsam: Sie verstehen es meisterhaft, zu nehmen, ohne dem anderen dafür etwas zurückzugeben. Genommen werden dabei nicht unbedingt nur materielle Dinge. Auch das Abzapfen von positiver Energie, mit der sich der Schmarotzer auflädt, so dass der andere sich dann leer und ausgepumpt fühlt, kann eine Form des Ausnützens darstellen. Für solche Menschen trifft darum zu, was in der Tierwelt als «parasitäres Verhalten» bezeichnet wird. Der Begriff Parasit leitet sich dabei vom griechischen Wort Parasitos ab und bedeutet wörtlich «Beiesser». Damit bezeichnete man im alten Griechenland einen durchaus ehrenwerten Berufsstand von Opferbeamten, welche an rituellen Gastmählern für Gottheiten teilnahmen.
Erst nachdem sich auch reiche Leute bei ihren Festessen solche Parasiten leisteten, welche dort nicht nur mit­assen, sondern den Gastgeber durch Schmeicheleien und durch ihre Darbietungen zu erfreuen hatten, bekam das Wort Parasit eine negative Bedeutung. In der Biologie versteht man unter Parasiten Organismen, die anderen Organismen irgendetwas wegnehmen oder rauben, ohne diese zu töten. Was haben diesen Ausführungen nun aber mit dem Verkauf zu tun? Eine ganze Menge, wie mir scheint: So erzählen mir Entscheidungsträger immer wieder, dass sich Verkäufer nur dann bei ihnen melden, wenn sie von einem möglichen Geschäft Wind bekommen haben und sie die Möglichkeit sehen, Umsatz zu machen. Ein Geschäftsführer eines mittelständischen Indu-striebetriebes meinte einmal: «Absolut nervtötend ist, wenn mich ein Verkäufer kontaktiert und dann am Telefon herum laviert, da er mich unter irgendeinem Vorwand treffen möchte. Dabei weiss ich doch ganz genau, warum er mich anruft, obwohl er sich seit dem letzten Abschluss vor zwei Jahren nie mehr hat bei mir blicken lassen.»

Geben und nehmen

Es ist mir sehr wohl bewusst, dass Vertriebsmitarbeiter ihre Zeit möglichst gewinnbringend einsetzen müssen und sich vor allem auf jene Kunden zu fokussieren haben, mit denen sie ihre Quote erreichen können. Nichtsdestotrotz empfiehlt es sich, sich auch regelmässig bei jenen Entscheidern zu melden, bei denen man genau weiss, dass man mit ihnen absehbarer Zeit kein Geschäft abschliessen kann. In einen solchen Kunden investiert man vielleicht Zeit, ohne dass man von ihm einen unmittelbaren Gegenwert in Franken und Rappen erhält. Doch wer die Bereitschaft hat, etwas zu geben, der wird in der Regel irgendwann dafür auch wieder etwas zurückbekommen. Im Verkauf geht es vordergründig immer um das Produkt oder die Lösung. Doch ob man den Abschluss letztlich wirklich machen kann oder nicht, hängt auch davon ab, wie stark die Bindung zu den Entscheidungsträgern ist. Und diese baut man nicht erst dann auf, wenn das Projekt auf dem Verkaufs­radar erscheint. Wer glaubt, der Kunde sei blöd und würde nicht merken, dass der Verkäufer nur dann bei ihm präsent ist, wenn dieser ein Geschäft wittert, der unterschätzt die Intelligenz des Kunden. Überdurchschnittlich erfolgreiche Verkäufer wissen um diesen Umstand. Und es ist für sie darum völlig klar, dass sie auch dann vor Ort sind, wenn es gerade einmal nichts zu holen gibt. «Parasiten sind in hohem Mass spezialisierte Lebewesen. Ihr Habitat ist in der Regel auf einige wenige Wirtsarten beschränkt.» So steht es in Wikipedia geschrieben. Ob in der Biologie oder im übertragenen Sinne beim menschlichen Verhalten: Parasiten sind oft Meister der Tarnung. Darum dauert es in der Regel eine gewisse Zeit, bis man sie erkannt und als Parasiten durchschaut hat. Wer im Verkauf einmal als parasitärer Verkäufer bei seinen Kunden gebrandmarkt ist, der dürfte es schwer haben, hier künftig noch weitere Geschäfte zu machen. Denn mit solchen Menschen umgibt sich niemand gerne freiwillig. Dies gilt im Übrigen auch für mich: Die Kontaktdaten meines eingangs erwähnten Kollegen habe ich mittlerweile aus Datenbank und iPhone gelöscht. Dies ist, wie ich finde, zumindest schon einmal ein guter Anfang. (ms)


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