Börsengänge an den Frankfurter Neuen Markt haben viel Geld in die Kassen von deutschen VARs und Lösungsspezialisten gespült. Die Folge war eine kleine Welle von Übernahmen von Schweizer IT-Firmen durch «grosse» deutsche Firmen, die so international expandierten.
Der Börsenhype ist nun vorbei und mancher der börsennotierten deutschen IT-Spezialisten ist ins Wanken geraten. Unser Deutschland-Korrespondent, Thomas Mironiuk, fasst einige Erfahrungen zusammen.
Helvetische Inselmentalität
Einer der Nachteile von Börsengängen ist, dass die Anleger die baldige Investition der durch die Kapitalisierung gewonnen Gelder erwarten. Auch wenn in den vorbörslichen Ankündigungen wohlformulierte Ziele stehen, so hat das Geld bei einer Reihe von Start-Ups und Dot-Coms den Geschäftsführern doch den Kopf verdreht. Gewohnt mit Tausendern zu rechnen, schienen die «frischen» Millionen unerschöpflich zu sein. Man akquirierte frisch drauflos.
Im Zuge dieser Akquisitionen haben einige deutsche Unternehmen mit dem neuen Kapital auch Schweizer Firmen erworben. Die Frage nach einem Kauf an Stelle der Gründung einer Tochtergesellschaft in der Schweiz liefert allerdings eine überraschende Antwort: Es bedarf eines Schweizers, um in diesem Land Geschäfte zu machen.
Im europäischen Vergleich gehören die Eidgenossen zum Spitzentrio, was wirtschaftliche Inselmentalität angeht, auch wenn das für ein Alpenland paradox klingt. Zusammen mit England und Frankreich, wobei der Spitzenplatz je nach befragtem Unternehmen wechselt, gehören die Schweizer zur Gruppe der von Aussen am schwersten zu penetrierenden Märkte.
Wer also kein Produkt, egal ob Hard- oder Software, über einen Distributor vertreiben kann, sondern eine Dienstleistung anbietet, ist mehr oder weniger gezwungen, sich einen lokalen Partner zu suchen. So musste man bei Brainforce den eigenen Start-Up durch den Zukauf der MMI Consulting AG ergänzen, was so ursprünglich nicht geplant war.
Beispiel Bechtle
Die Schweiz hat jedoch nicht nur nach Aussen hin Hürden aufgebaut, die von potentiellen Investoren zu nehmen sind. Ein nicht zu unterschätzender Hemmschuh bilden auch die inneren Sprachgrenzen. So hat man bei der Bechtle AG die Comsoft Data direct SA erworben, um auch im französischsprachigen Raum vertreten zu sein.
Erst zusammen mit der eigenen Tochter Bechtle direkt bietet die Bechtle-Comsoft Direct jetzt die Möglichkeit, Kunden in der ganzen Schweiz zu betreuen. Das Sprachproblem ist nicht allein auf dieses Unternehmen beschränkt. Auch bei anderen Dienstleistern der IT-Branche sieht man das Bestreben einer flächendeckenden Präsenz.
Autonomie ist wichtig
Wenn heimische Unternehmer auch nicht gefeit sind vor der Verlockung eines Firmen Buy-outs, es spielte bei den realisierten Vereinbarungen nur eine untergeordnete Rolle. In der Regel wurden Fähigkeiten, Personen und Kontakte eingekauft, was bei einem Ausstieg der alten Unternehmensleitung unmöglich zu erreichen gewesen wäre.
So gibt es eine weite Palette von Regelungen zu den Zusammenschlüssen, von einem normalen Erwerb bis hin zu Jointventures beinahe gleichberechtigter Partner. Hilfreich bei der Integration der neuen Teams ist die zellulare Struktur der deutschen Stammhäuser. Um dem Anspruch der regionalen Betreuung gerecht zu werden, sind auch die bundesdeutschen Niederlassungen relativ selbständig und nutzen vor allem den organisatorischen und fiskalen Überbau der AGs.
Die neuen Niederlassungen sind somit lediglich ein weiteres Mitglied in der Gruppe halbautonomer Filialen. Es kommt so weder zu Kompetenzüberschreitungen noch zu Stellenabbau wegen Synergien. Die vormaligen Geschäftsführer sind in der Regel in die Leitungsstruktur der Konzernmutter aufgestiegen, was für ein gewisses Mass an Schweizer Einfluss sorgt.
So wechselt Dieter Fröhlich, Geschäftsführer der ursprünglichen Multivision AG demnächst in den Verwaltungsrat der TDS AG und Mario Lörtscher, vormals Geschäftsführer der Comsoft Data Direct SA ist inzwischen Verwaltungsratspräsident der Bechtle AG.
Gefahr Identitätsverlust
Dennoch darf man die Kehrseite eines Verkaufs nicht übersehen. Mit der Übernahme ist ein Wechsel der Corporate Identity verbunden. Auch wenn sich personell nichts ändert, das Typische, der familiäre Touch, den die Kunden mit dem ursprünglichen Unternehmen verbinden, geht verloren. Von mehreren Seiten wurde bestätigt, dass man innerhalb der Schweizer Filialen eher das Gefühl eines Neuanfangs, denn eines gleitenden Wechsels verspürte.
In der Regel ging es ja nicht um eine Erweiterung des bestehenden Angebots, sondern um einen Wechsel der Kernprodukte. Nicht immer, auch wenn das nur indirekt zugegeben wird, klappte dies ohne grössere Reibungsverluste.
Mit eine Ursache war die Tatsache, dass die Firmen mitten in der Umstrukturierung von der Rezession in der IT-Industrie überrascht wurden. Hier entstand bei Kunden, aber auch bei Mitarbeitern vermehrter Erklärungsbedarf. Während man nach Aussen Zuversicht demonstrieren musste, um das Vertrauen der Kunden in Produkt und Unternehmen nicht zu gefährden, traten intern natürlich Fragen zum Thema Arbeitsplatzsicherheit oder Wert der Aktienoptionen auf.
Hier wurde nicht nur bei grenzüberschreitend arbeitenden Unternehmen Schwerstarbeit geleistet, um qualifizierte Mitarbeiter nicht an Firmen der Old-Economy zu verlieren.
«Keiner schaut, was in Deutschland passiert»
Noch sind längst nicht alle Teilnehmer über den Berg. Das prominenteste Beispiel dafür ist derzeit die Heyde AG. Nach mehreren Meldungen zu Einbrüchen bei Umsatz und Gewinn, hat man Mitte des Monats eine bereinigte Bilanz vorgelegt. Dennoch war dort niemand für ein Interview zu sprechen, was vermuten lässt, das die Turbulenzen sich noch nicht ganz gelegt haben.
Weniger drastisch, doch auch mit schlechterem Ergebnis als erwartet, sieht die Lage bei der Cenit-Gruppe aus. Davon ist natürlich auch die Schweizer Niederlassung betroffen. Obwohl es sich dabei um eine Neugründung, einen klassischen Start-up handelt, ist sie hier aufgeführt, da ein komplettes Team rund um Geschäftsführer Peter Abt von einem anderen Unternehmen abgeworben wurde.
«Wir sind zum Glück nicht sehr betroffen durch die Ereignisse in der Muttergesellschaft was das operative Geschäft angeht», sagte dieser bei einer Einschätzung der Situation. «Es ist von Vorteil, dass die Wahrnehmung hierzulande sehr Schweiz-zentriert ist, es schaut keiner was in Deutschland passiert.» Trotz all der Widrigkeiten rechnet Peter Abt mit einer «schwarzen Null am Jahresende» wenn die Entwicklung des ersten Quartals sich fortsetzt, worauf man im zweiten Jahr des Bestehens sehr stolz wäre.
Heyde ein Einzelfall?
Bei den Problemen der Heyde AG handelt es sich demnach eher um ein Einzelschicksal, denn um ein generelles Problem. So zeigte sich Peter Eisenbacher, Vorstandsvorsitzender der TDS Informationstechnologie AG durchaus zufrieden mit der gemeinsamen Entwicklung.
TDS hatte im März 2000 die St. Galler Multivision übernommen, mit der zuvor schon ein Joint-venture bestand. Man sei bei der TDS Multivision als SAP-Consulter viel stärker von den Schwankungen des Umsatzes bei
SAP abhängig, als von den Auswirkungen der Frankfurter Börse, obwohl das kein zu vernachlässigender Faktor sei. «Für mich ist die Schweiz ein Synonym für Verlässlichkeit», sagte er während eines Gesprächs. «Die Schweizer sind zwar eigensinnig, dafür könnte man aber darauf vertrauen, dass sie sich hinterher noch an das erinnern, was man zuvor beschlossen hat.» fügte er mit einem Schmunzeln hinzu.
Ausdruck dieses Vertrauens bei TDS ist die Tatsache, dass man mit Dieter Fröhlich einen Eidgenossen in den Verwaltungsrat des Mutterhauses holt.
Stolperstein Ausländerrecht
Doch während der Personalwechsel in den Vorstand in der Regel ohne Probleme abläuft, beklagt man auf deutscher Seite die Hürden, die sich auftun, sobald man Personal an die Niederlassungen in der Schweiz auch nur ausleihen will. Der Personalflow für Projektgeschäfte wird durch die strikten Regelungen für Arbeitserlaubnisse sehr erschwert. Kritisch, so der allgemeine Konsens, wird es immer dann, wenn die Gruppe ein, zwei Spezialisten für alle Töchter vorhält. Hier wünscht man sich auf der deutschen Seite mehr Flexibilität.
Es zeigt sich, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Schweizer Firmen generell sehr gut funktioniert. Vielleicht liegt es an der Branche, die dezentrale, eigenständige Einheiten fördert, denn von Bevormundung, Gängelei oder einem Gefühl des Ausverkaufs ist nichts zu spüren.
Statt dessen werden die Übernahmen und Fusionen als ganz normale Vorgänge der Globalisierung wahrgenommen.
Schliesslich gibt es auch Unternehmen wie Mount10, die den anderen Weg gingen, um über eine deutsche Tochter an die Frankfurter Börse zu gehen. Wenn die Schweizer Unternehmen von den Turbulenzen auch nicht gänzlich verschont geblieben sind, haben sie doch auch nicht mehr als die Ausläufer zu spüren bekommen. Trotz «Inselmentalität», der Sturm auf See hat die Berge nicht wirklich überquert.
(Thomas Mironiuk)