Hochgejubelt und vergessen

Artificial Life Europa und Starseed Enterprise wollten mit gewagten Produktneuheiten den Markt weltweit aufrollen, jetzt haben sie nicht einmal mehr das Geld für die Standmiete an der Orbit.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2001/15

     

Im letzten Jahr überschlugen sich die Medien fast mit Lobhudeleien für sogenannte neue innovative, zukunftsweisende Produkte. Was aus einer Idee werden kann, die künstlich hochgejubelt wird, zeigen die Beispiele des amerikanischen Unternehmens Artificial Life und des Zürcher Startups Starseed Enterprises. Beide waren die Helden des letzten Sommers. Jetzt stirbt der eine heimlich, still und leise vor sich hin und der andere kämpft hart ums Überleben. Sind Butler und Agenten die Antwort auf eine Frage, die keiner gestellt hat?

Schlechte Zeiten für Butler

«James», der digitale Butler des 1996 gegründeten Unternehmens Starseed Enterprise ist eine USB-Erweiterung für den PC, mit der über Telefon oder Internet Haustechnik und Haushaltsgeräte Sensor- oder Kameragesteuert kontrolliert werden können. Wird es also in der Wohnung zu kalt, muss nicht etwa der Hausherr ein Feuer machen, sondern schaltet James automatisch die Heizung ein. Selbiges passiert bei Einbruch der Dunkelheit mit dem Licht.
James sollte auch den Wachhund ersetzen und bei verdächtigen Bewegungen den Wohnungsinhaber via SMS oder E-Mail alarmieren und auf Wunsch gleich noch die Täterfotos mitliefern. Nachdem der digitale Butler erstmals an der Cebit gezeigt wurde, gelangte Starseed letzten Sommer ganz gross an die Öffentlichkeit. Eine Werbekampagne wie für eine amerikanische Präsidentenwahl sollte den Blechbutler über die Grenzen der Schweiz bekannt machen. Landesweit liefen TV-Spots, Printwerbung und in den Grossstädten hingen an fast jeder zweiten Bus- oder Tramhaltestelle Plakate mit der Frage «James – whats going on?» Das musste sich Starseed kurz nach dem Launch seines Butlers auch fragen.
Der Name Starseed war zwar bekannt wie ein bunter Hund, doch verstanden viele die Werbung nicht und wussten gar nicht, wozu dieser James eigentlich gut sein sollte. Zum anderen fahren eben nicht alle modernen Menschen auf derartige hochtechnischen Spielereien ab. Das Resultat, James verkaufte sich nicht annähernd wie erhofft. Laut Starseed gingen nur knapp 1000 Stück in den ersten Wochen über den Ladentisch. Starseed-COO Andreas Heller gab gegenüber dem IT Reseller etwaige Fehler bei der Auswahl der Werbekampagne und seine Enttäuschung über den zähen Start seines Schmuckstückes offen zu.

Retail hat genug

Zwar war auch der Retail enttäuscht, blieb Starseed anfänglich aber noch treu. Als erster ist Portable Shop abgesprungen und hat den digitalen Butler bereits Anfang des Jahres wieder aus dem Programm genommen. Es sei kein technisches Problem gewesen, wieso man den James wieder rausgeschmissen habe, so Portable Shop-Geschäftsführer Peter Scheiwiller. Vielmehr sei die Nachfrage so tief gewesen, dass es keinen Sinn mehr gehabt hätte, weiterzumachen.
Portable Shop habe einen Versuch mit einem noch nie da gewesenen Produkt gestartet, der eben gescheitert sei, weil der Markt noch nicht reif dafür sei. Mediamarkt glaubte an den Blechbutler, weil man ihn für eine gute Idee hielt und gab ihm bis etwa Mitte des Jahres eine Chance. Nun lautet die kurze, trockende Antwort von Mediamarkt-CEO Guido Renggli: «Aufgrund der schlechten Verkäufe haben wir den Butler James aus dem Sortiment gestrichen und die Restbestände zurückgeschoben.»

Licht in Sicht?

Allen Unkenrufen zum Trotze, scheint sich Starseed aber nun langsam aufzurappeln.
Andreas Heller klingt am Telefon gedämpft optimistisch aber zuversichtlich. Nachdem im Juni das Geld langsam äusserst knapp wurde, kam buchstäblich in letzter Minute ein rettender Grossauftrag. Es laufe nun nicht schlecht, man liege momentan fast im Budget. Mittlerweile seien deutlich über 7500 Butler verkauft.
Die Käufer sind zwei Grossfirmen aus Deutschland und Österreich, die namentlich noch nicht erwähnt werden wollen. Über den Berg sei man noch nicht, gibt Heller zu, man hangle sich von Auftrag zu Auftrag und habe maximal ein finanzielles Polster für ein bis zwei Monate. Weitere Gespräche seien aber im Gange und man sei bei Starseed doch recht zuversichtlich, dass es nun aufwärts ginge.
Den Markt vom Retail her aufzurollen sei ein grober Fehler gewesen und ging bekanntlich völlig in die Hose, gibt Heller selbstkritisch zu. Der Einzelhandel laufe auch jetzt noch sehr schlecht, doch sei durch die Retail-Pleite zumindest die Industrie auf Starseed aufmerksam geworden. Nun konzentriere man sich auf selbige und auf die Wiederverkäufer. Der Markt werde jetzt andersherum aufgebaut und man versucht, James dem Fachhandel (Elektronikhändler, Telcoausrüster, Sicherheitsbranche) schmackhaft zu machen.

Investor schweigt sich aus

Unbestätigten Insider-Gerüchten zufolge laufe die Beziehung zwischen dem Starseed-Investor Netinvest und Starseed im Moment nicht sehr harmonisch. Es wird gemunkelt, dass Starseed versuche, Netinvest mit einem Aktien-Neuverteilungstrick rauszuwerfen. Bei Netinvest schweigt man sich dazu kategorisch aus.

Agenten haben ausgespielt

Ein weniger erfreuliches Beispiel aus dem Ausland ist die amerikanische Firma Artificial Life. Unter anderem hat sich das Unternehmen auf Software-Agenten oder sogenannte Bots spezialisiert. Sie hiessen Roy, Alma oder Luci und sollten dem Internet-User die mühsame Suche nach Web-Inhalten abnehmen. Letztes Jahr noch pompös angepriesen, will jetzt, zumindest in Europa, keiner mehr etwas davon wissen. Dabei kommen sie so individuell und «menschlich» daher, dass man sie fast ins Herz schliessen möchte.
Roy ist ein «very nice and cheerful american guy», romantisch und ein bisschen naiv. Alma ist «the german bot» und weiss über Goethe und Bratwurst Bescheid. Luci McBot ist Scottish, leicht arrogant, aber humorvoll. Doch die Artificial Life-Kunden sind weder naiv noch besonders humorvoll und eigentlich waren ihnen die Bots allesamt (Brat)-Wurscht. Das Motto von Artificial-Life «Jedem seinen Cyberbutler», ging nicht auf und die Kunden zogen es vor, weiterhin agentenlos durchs Internet zu surfen. Nichtfunktionierende Produkte taten das ihre, die Gelddürre brach über Artificial Life herein – ein Unheil, von dem das Unternehmen nicht mehr so recht genesen sollte.
Im Juni verkündete denn auch das Headquarter in Boston, die Forschungs- und Entwicklungsabteilung in Russland mit sofortiger Wirkung zu schliessen und für die Niederlassungen in Deutschland und der Schweiz Gläubigerschutz zu beantragen. Die weltweiten Ausgaben wurden bis um 80 Prozent zurückgeschraubt, ein Grossteil der Belegschaft weltweit und in den USA entlassen.
Robert Pantano, CFO des Unternehmens, quittierte seinen Dienst, das Headquarter wurde von Boston nach New York verlegt. «Wir befinden uns in einem Prozess der Restrukturierung und Konsolidierung und sind dabei, die Firma neu zu erfinden und der momentanen Lage auf dem internationalen Finanz- und Internetmarkt anzupassen.», so Eberhard Schoenenburg, CEO von Artificial Life. Artificial Life Schweiz ist seit Juni restlos von der Bildfläche verschwunden. Seit Oktober habe man mit grossen, finanziellen Problemen zu ringen gehabt, so der ehemalige Geschäftsführer von Artificial Life Schweiz, Manuel Ebner. Im Juni wurde seitens des Mutterhauses in den USA der Geldhahn endgültig zugedreht und die Niederlassungmusste im Juli Konkurs beantragen.

Who is driving whom?


Irgendwer ist für irgendwen noch nicht reif. Ob der Butler für den Menschen oder umgekehrt, muss noch bewiesen werden. Vielleicht versuche man es mit Hilfe eines Agenten? (sk)


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