"Swiss IT Reseller": Braucht Microsoft für den Vertrieb von Office 365, Microsoft 365 oder Windows überhaupt noch Distributoren und Reseller?Thomas Winter: Ja, natürlich. Denn der Endkunde braucht Unterstützung dabei, die Lösungen zu implementieren. Letztlich muss sich jeder Kunde mit der Thematik der digitalen Transformation auseinandersetzten, wenn er sich weiterentwickeln möchte. Dabei ist er auf beratende oder implementierende Unterstützung seitens eines Partners angewiesen.
Das mag auf Reseller zutreffen, weniger aber auf den Distributor. Wo bleibt der Disti in der ganzen Vertriebskette?Der Distributor spielt natürlich eine wesentliche Rolle in der Organisation, der Rekrutierung und der Ausbildung der Partner. Gerade bei den kleineren Partnern hat der Disti eine enorm wichtige Rolle in deren Betreuung und Unterstützung. Dazu skalieren wir als Microsoft Schweiz viel zu wenig.
Nichtsdestotrotz: Können Sie nachvollziehen, wenn sich Distributoren ausgelassen fühlen und klagen, Microsoft wolle das Geschäft an ihnen vorbei abwickeln oder nur noch Aufgaben wie etwa die angesprochene Schulung abschieben und Zugang zu den Partnern haben?
In den Gesprächen, die ich seit meinem Start bei Microsoft Anfang 2019 mit Distributoren geführt habe, ist dieser Vorwurf nie auf den Tisch gekommen. Aber es ist schon so, dass in dem ganzen Vertriebsgeschäft viel im Umbruch und der Weg nicht immer ganz klar ist. Das bedingt, dass sich Distributoren wie Reseller neu positionieren und sich auf neue Anforderungen ihres Geschäftsmodells einstellen müssen. Ich frage heute jeden Partner, mit dem ich spreche, auch danach, wie er heute sein Geld verdient und wie er in Zukunft sein Geld zu verdienen glaubt. Die Antworten, die ich dabei zu Ohren bekommen, sind kreativ, vielfältig und spannend, zeigen aber auch, wie stark der Markt in Bewegung ist.
Spüren Sie bei diesen Gesprächen auch, dass vielen Partnern noch nicht klar ist, wohin der Weg gehen könnte?Diese Herausforderung stellt sich nicht nur unseren Partnern, sondern jedem Unternehmen. Doch den Weg allgemeingültig aufzuzeigen, ist unmöglich, denn jeder Partner hat sein eigenes Businessmodell, seine eigene Ausgangslage. Die Frage aber, was man als Unternehmen möchte und wohin man will, muss sich dabei jeder Partner stellen.
Sicher ist, als Partner muss ich Mehrwert rund um eine Lösung generieren. Was kann Mehrwert rund um Office 365 oder Microsoft 365 sein?Das hängt stark von der Grösse und der Maturität des Endkunden ab, bei dem der Partner tätig ist. Es ist klar, dass ein digitales Start-up eine andere Art von Unterstützung braucht als die unzähligen traditionellen Unternehmen in der Schweiz, die sich noch nicht einmal klar darüber sind, welche Möglichkeiten in der digitalen Transformation stecken. Hier stellen sich Fragen der Datenhaltung oder danach, wie man den Kalender optimal nutzt, gemeinsam an Dokumenten arbeitet oder welche Möglichkeiten in Microsoft Teams stecken. Viele traditionelle Unternehmen tun sich bereits mit der Frage schwer, warum sie sich mit diesen Themen auseinandersetzen und diese Veränderung anstossen sollen. Ein Partner, der entweder geografisch stark verwurzelt ist oder tiefe Branchenkenntnis hat, kann hier enorm viel Mehrwert generieren – und zwar absolut komplementär zu dem, was wir machen. Und bei grossen Endkunden bieten wir zwar die Plattformen an, diese aber bei Tausenden von Mitarbeitern auszurollen, sie zu integrieren, Daten zu verknüpfen und zu visualisieren, Prozesse aufzusetzen und so weiter, das ist der Mehrwert, den die Partner bringen müssen und den man auf keinen Fall unterschätzen sollte. Bei Technologielösungen wird oft dem Business-Transformation- beziehungsweise dem Change-Management-Aspekt zu wenig Beachtung geschenkt. Partner, die hier Kompetenzen entwickelt haben, können ihre Endkunden weiterbringen.
Sie sind seit Januar bei Microsoft. In welchem Zustand haben sie das Partner- und KMU-Geschäft bei Microsoft vorgefunden?In einem sehr guten Zustand. Mein Vorgänger hat seinen Job hervorragend gemacht und unterstützt mich nun dabei, in meiner neuen Ausgabe anzukommen. Ich habe ausserdem ein Team angetroffen, das Begeisterung für das Unternehmen ausstrahlt, das etwas bewegen möchte und Möglichkeiten sieht, zu wachsen. Nach nunmehr einigen Wochen bei Microsoft darf ich sagen, dass ich unglaublich viel Freude an meinem neuen Job habe.
Muss man zuerst einmal ankommen, wenn man nach 18 Jahren bei Cisco zu Microsoft wechselt?Natürlich dauert es eine Weile, bis man die Sprache eines neuen Unternehmens spricht und weiss, was wichtig und was weniger wichtig ist. Die Channel-Mechanismen funktionieren aber sehr ähnlich, und auch die Organisation des Unternehmens ist ähnlich, wobei ich rasch feststellen durfte, dass ich ziemlich viel kreativen Spielraum dabei habe, was ich tun kann und was nicht. Grundsätzlich denke ich, es ist einfacher, von einem grossen, globalen Unternehmen zu einem anderen zu wechseln, als von einem kleineren zu einem sehr grossen Unternehmen. Viele Dinge sind ähnlich, die Komplexität eines 100’000-Personenunternehmens ist vergleichbar.
Wenn Sie mit Partnern sprechen, wo spüren sie die grösste Ungewissheit?Sicherlich bei der Frage, was die Entwicklung Richtung Cloud für jeden einzelnen Partner beziehungsweise für das Businessmodell bedeutet. Die Partner wissen oft nicht, ob sie die Entwicklung gut oder schlecht finden sollen, ob sie neue Möglichkeiten bringt oder eher eine Bedrohung darstellt. Ein spannendes Gespräch hatte ich jüngst mit Baggenstos, dem ersten Azure MSP der Schweiz. Wir haben darüber diskutiert, was die Motivation war, dieses Investment in Azure zu tätigen, und in dieser Diskussion haben wir festgestellt, dass sich Baggenstos auf dem Weg zur Zertifizierung viele Fragen darüber gestellt hat, wo Geld verdient wird und wo nicht, was in Zukunft attraktiv sein wird und was weniger. In diesem Prozess hat Baggenstos auch viele neue Opportunities entdeckt, und hat so quasi den Weg für die Zukunft gefunden.
2017 hat Microsoft die One-Commercial-Partner-Organisation (OCP) ins Leben gerufen, und nicht alle Partner sind begeistert. Die Zusammenarbeit fokussiere fast nur noch auf das Thema Sales, während die Unterstützung in anderen Bereichen fehle oder nur noch schwer zugänglich sei. Ist Ihnen diese Kritik auch schon zu Ohren gekommen, und können Sie sie nachvollziehen?Ich habe diese Kritik auch schon gehört, ja. Unser Partnerbindung ist ja in den Partnermodellen geregelt, und die kleineren Partner werden in erster Linie von der Distribution betreut. Wir haben Eingangs über die Rolle der Distis gesprochen, und wir sehen die Distis als Bezugspunkt für kleinere Partner, wo diese sich Expertise abholen können. Anders ist das angesichts unserer 4600 Partner gar nicht möglich. Teil des OCP-Konzepts ist es aber auch, mehr digitale Plattformen anzubieten, über die sich Partner ihr Wissen selbst abholen und Expertise aufbauen können. Sich Know-how selbst anzueignen, setzt allerdings ein Umdenken und somit einen Veränderungsprozess voraus, was immer schwierig ist. Das führt unweigerlich zu vereinzelten Friktionen. Insofern verstehe ich auch gewissen Unmut seitens der Partner. Handkehrum ist es auch so, dass wir in Bereichen, in denen Partner Investitionen tätigen, verstärkt versuchen, Partner mit Kunden zusammenzuführen und sie dabei unterstützen, Business zu machen. Und man darf nicht vergessen, die OCP-Organisation wurde vor rund zwei Jahren ins Leben gerufen, seit dann hat es verschiedentlich Anpassungen gegeben – auch diesbezüglich, mit welchem Partner man in welcher Tiefe zusammenarbeitet.
Geht die Entwicklung dahin, dass sich die Partner künftig weniger in der Breite und dafür mehr in der Tiefe aufstellen?Angesichts der Produktbreite und der neuen Services, die laufend kommen, muss sich der Partner strategisch überlegen, wo er sich differenzieren möchte und welchen Mehrwert er beim Kunden anbieten kann, um dann in dem Bereich in die Tiefe zu gehen. Allerdings gilt das auch nicht für alle Partner, sondern ist abhängig von der Kundengrösse. Wenn ich als Partner eher auf kleine Firmen fokussiere, dann kann meine Kompetenz durchaus in der Breite liegen, dafür geografischer Natur sein und in der Beziehung zu den Kunden fussen. Auch eine Technologiespezialisierung kann über verschiedenen Branchen gehen, genauso wie Branchenverständnis über verschiedene Lösungen. Ich denke, allgemeingültige Aussagen über den Weg der Partner zu machen, ist nicht möglich – ausser vielleicht: Alles für alle zu machen, dürfte zunehmend schwieriger werden, auch für ganz grosse Partner.
Können Sie etwas zu Schwerpunkten erzählen, die Sie im Schweizer Channel setzen wollen?Über einen Schwerpunkt haben wir eben gesprochen: Wie gelingt es, die Profile der Partner zu schärfen? Und dann möchten wir das Engagement unserer Partner-Sales-Teams bei den Kunden dahingehend optimieren, dass dieses Engagement verstärkt als skalierender Prozess funktioniert. Gleichzeitig wollen wir auch die Friktion dort, wo sie besteht, aus dem System entfernen – im Rahmen der weiteren Optimierung der OCP-Organisation, über die wir schon gesprochen haben.
Letzte Frage: Die Schweiz und insbesondere der Schweizer Channel wartet gespannt auf die Schweizer Datazentren von Microsoft. Bis wann werden die Partner Office 365 aus den Schweizer Rechenzentren anbieten können? Dazu, wann die Schweizer Datacenter in Betrieb gehen werden, kann ich nichts sagen. Was ich aber sagen kann ist: Erste Office-365-Services mit lokaler Datenhaltung in der Schweiz werden innerhalb von sechs Monaten nach dem Launch der Microsoft Cloud Region Switzerland verfügbar sein.
(mw)