Der Verband für die digitale Schweiz,
Swico, hat Judith Bellaiche per 1. Mai 2019 als Geschäftsführerin und Nachfolgerin von Jean-Marc Hensch eingesetzt. Hensch war im Oktober letzten Jahres nach sieben Jahren im Amt zurückgetreten. Judith Bellaiche soll den Verband nun in die Zukunft führen. "Swiss IT Reseller" hat sich mit ihr darüber unterhalten.
"Swiss IT Reseller": Sie sind ausgebildete Juristin. Woher kommt Ihre Leidenschaft für Start-ups und den IT-Sektor im Allgemeinen?Judith Bellaiche: Ich bin in meiner Funktion als Politikerin mit der Thematik in Berührung gekommen. Vor einigen Jahren bekamen Start-ups Probleme mit dem Steueramt, weil dieses die Besteuerungspraxis geändert hatte. Dies brachte viele Start-ups in Bedrängnis, zumal die Änderung praktisch über Nacht in Kraft trat. Ich habe daraufhin versucht, diesen Jungunternehmen zu helfen. Dabei habe ich realisiert, dass es in der Schweiz mehr Verständnis braucht für die New Economy, die Start-ups mit ihrem Ökosystem und auch die Digitalisierung. Meiner Meinung nach ist weder in der Öffentlichkeit noch in der Politik wirklich angekommen, in welche Richtung es geht und wie gross die Anstrengungen sind, die noch unternommen werden müssen, damit die Schweiz den Anschluss nicht verpasst. Ich bin dann aufgrund meines Engagements in die Communities rund um die Start-up-Szene eingetaucht. Diese haben mich regelrecht beflügelt. Die Energie der Menschen in den Impact Hubs und den Accelerators ist ansteckend.
Als Kantonsrätin liegt es nahe, den Schritt in die Politik auf Bundesebene ins Auge zu fassen. Wie bringen Sie Ihre politische Karriere und Ihre Rolle als Geschäftsführerin von Swico unter einen Hut?Aus meiner persönlichen Motivation heraus ist ein politisches Amt in Bern sicher ein attraktives Ziel. Und jetzt, aus der Perspektive von
Swico, erst recht. Denn ich bin der Ansicht, dass die ICT-Branche auf Bundesebene noch zu wenig Gehör findet. Ein politisches Amt, übrigens auch ein Sitz im Kantonsrat, entfaltet dabei eine sehr fruchtbare Wechselwirkung. Ich glaube, dass ich dadurch gewisse Themen in der Politik voranbringen kann. Und umgekehrt kann ich das politische Amt auch nutzen, um für Swico ein Echo auszulösen, denn wir haben als Wirtschaftsverband eine sehr wichtige Rolle. Insofern spielen meine Funktionen als Politikerin und als Geschäftsführerin von Swico auf konstruktive Weise zusammen.
Sie sind der Ansicht, der Verband müsse stärker zu einer Community zusammenwachsen. Wie darf man das verstehen?Das Community Management wurde von
Swico bereits vor meiner Zeit lanciert. Ich finde es absolut zentral, wir müssen das Konzept jetzt aber weiter schärfen. Wir müssen erreichen, dass sich unsere Mitglieder besser austauschen können. Wir haben zwar nur institutionelle Mitglieder, aber es ist wichtig, dass deren Mitarbeitende gut vernetzt sind. Dabei geht es um Wissenstransfer, um den Zusammenhalt und darum, eine starke Interessenvertretung zu ermöglichen. Was wir bereits haben sind Arbeitsgruppen beziehungsweise sogenannte Interessengruppen oder Circles, die von Swico organisiert werden. Es handelt sich dabei um Fachgremien, die sich aus Delegierten verschiedener Unternehmen zusammensetzen. Diese tauschen sich untereinander aus und suchen nach Inhalten und Lösungen. Weiter versuchen wir, Interessierte aus den angeschlossenen Unternehmen nicht zuletzt auch über die verschiedenen Social-Media-Kanäle untereinander zu vernetzen. Somit soll eine Plattform geschaffen werden, um spezifische Inhalte zu verbreiten und die Meinungsbildung zu fördern. Wir müssen die neuen Medien verstärkt in unsere Öffentlichkeitsarbeit einbinden und noch mehr ausreizen. In diesem Bereich hat mein Vorgänger Jean-Marc Hensch bereits viel Arbeit geleistet, nun müssen wir uns für die Zukunft rüsten und weitere Felder erschliessen. Das Ziel ist, die Mitglieder noch intensiver miteinander zu verweben, damit eine starke Gemeinschaft entsteht.
Sie plädieren auch dafür, den Verband agiler zu gestalten. Können Sie das ausführen?Verbände im Allgemeinen haben relativ starr festgelegte Prozesse. Sie agieren dadurch vielfach zu reaktiv, also erst, wenn Probleme auf den Tisch kommen. Wir aber möchten Themen vermehrt proaktiv angehen, bevor sie von aussen an uns herangetragen werden. Nur so gelingt es uns, eine Meinungsbildung auszulösen, die in die gewünschte Richtung zielt. Agilität ist ausserdem wichtig, wenn es beispielsweise darum geht, neue Dienstleistungen für die Mitglieder zu entwickeln und zu testen, ob sie auch wirklich Anklang finden. Das heisst dann auch, den Mut zu haben, diese rasch wieder einzustellen, wenn sie nicht funktionieren, von den Fehlern zu lernen und die Erkenntnisse in neue Projekte einfliessen zu lassen.
Nochmals zurück zu den eingangs erwähnten Start-ups. Sie möchten diese stärker fördern. Wie gehen Sie dabei vor?
Swico hat bereits ein Start-up-Programm. Wir arbeiten dafür mit dem Institut für Jungunternehmen (IFJ) zusammen. Im Rahmen des Programms bieten wir für einen symbolischen Beitrittsbeitrag spezielle Dienstleistungen an. So können die Start-ups alle unsere Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Vor allem im Bereich des Vertragswesens brauchen Jungfirmen besondere Unterstützung, weshalb diese Services besonders beliebt sind. Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass wir sie enger an uns binden, beispielsweise indem wir Circles organisieren, wie wir das bereits für unsere Mitglieder tun. So könnten sie ihre spezifischen Anliegen formulieren und wir ihnen helfen, diese in der Politik und der Öffentlichkeit anzubringen. Spannend wäre es auch, Start-ups vermehrt als Impulsgeber für unsere Verbandsstrukturen zu nutzen, wir könnten nämlich viel von ihnen lernen. Denn es ist systemisch bedingt, dass Start-ups mit ihren Geschäftsmodellen die Grenzen des Systems ganz bewusst ausloten und auszureizen versuchen, auch auf regulatorischer Ebene. So könnten wir viel früher erkennen, wo diese Grenzen liegen, und entsprechend agieren. Das würde den Verband und die gesamte Branche voranbringen.
Welche sind Ihre Ziele für das kommende Jahr, nebst der Weiterentwicklung des Verbandes?
Es gibt ein sehr wichtiges Thema, das mich bereits sehr in Anspruch nimmt und mich auch für den Rest des Jahres beschäftigen wird, nämlich das Recycling, das wirklich vital ist. Als grünliberale Politikerin ist der Umgang mit dem Recycling auch ein persönliches Anliegen und eine sinnstiftende Frage. Denn es kommen immer mehr Geräte auf den Markt, und sie werden auch schneller obsolet. In der Politik wird über ein Obligatorium beim Recycling nachgedacht, während es aktuell auf Freiwilligkeit basiert. Alle unsere Mitglieder fördern das freiwillige System, das hervorragend funktioniert. Wir haben sehr hohe Rücklaufquoten, Traumquoten im internationalen Vergleich, und ich behaupte, dass dies an der Freiwilligkeit liegt. Denn die Menschen in der Schweiz haben ein Bewusstsein dafür, weshalb auch die vorgezogene Recycling-Gebühr gerne bezahlt wird. Wir sehen deshalb in dem von der Politik angedachten Obligatorium keinerlei Vorteile. Hier wird es darum gehen, mit den verschiedenen Partnern zusammenzuarbeiten, um in dieser Frage eine ökologisch und wirtschaftlich sinnvolle Lösung herbeizuführen.
Wo sehen Sie weiteres Potential in der Beziehung von Swico zur ICT-Branche?Ich ermuntere alle Unternehmen aus der ICT-Branche, mit ihren konkreten Anliegen und Ansprüchen an den Verband heranzutreten. Gemeinsam kann man so Problemfelder herauskristallisieren und mögliche Lösungen dafür entwickeln. Der Dialog ist sehr wichtig. Nicht zuletzt ist es für uns auch spannend, wenn wir herausgefordert werden.
Judith Bellaiche
Judith Bellaiche hält ein Lizentiat der juristischen Fakultät der Universität Basel und hat 2017 ein Executive MBA in General Management der Universität St. Gallen erworben. Die 48-Jährige politisierte während zwei Amtsdauern für die Grünliberale Partei als Gemeinderätin in der Exekutive ihrer Wohngemeinde Kilchberg und vertritt die GLP seit 2011 im Zürcher Kantonsrat. Judith Bellaiche ist verheiratet und Mutter von zwei Söhnen.
(luc)