«Swiss IT Reseller»: Zuletzt wurden wieder zahlreiche Akquisitionen im Schweizer IT-Markt getätigt, vor allem im KMU-Bereich. Nehmen die M&A-Aktivitäten derzeit tatsächlich deutlich zu oder handelt es sich nur um eine Momentaufnahme?
Urs Prantl: Die Aktivitäten nehmen tatsächlich zu. Wir sprechen in der Schweiz zwar seit mittlerweile 20 Jahren von der grossen Konsolidierung des Marktes. Bisher war das aber vor allem Geschwätz. Seit zwei bis drei Jahren haben die Aktivitäten aber deutlich an Fahrt aufgenommen.
Auf was ist das zurückzuführen?Es geht vor allem um Nachfolgeregelungen. Wenn wir zurückblicken, wurden viele Schweizer IT-Unternehmen in den 80er- und 90er-Jahren gegründet. Oft sind die Inhaber jetzt in ihren 60ern, wollen sich langsam aus dem aktiven Geschäft zurückziehen und ihr Unternehmen in andere Hände legen.
Bietet sich statt einem Verkauf nicht auch eine Nachfolge in der eigenen Familie an?Regelungen in der Familie gibt es zwar, aber das ist in der IT-Branche nicht so etabliert wie in anderen Branchen. Ein Management Buyout ist bei IT-Unternehmen hingegen durchaus ein Thema. Aber diese Option scheitert in der Praxis oft am Wert des Unternehmens. Mehrere Hundert oder gar Tausend Kunden, da sprechen wir schnell von einem Wert von mehreren Millionen Franken aufwärts. Und das geht dann weiter nach oben. Gleichzeitig zahlen Private-Equity-Unternehmen meist deutlich mehr.
Urs Prantl
Quelle: KMU Mentor
Urs Prantl ist Gründer und Inhaber von
KMU Mentor. Zuvor war er über zwanzig Jahre lang selbst IT-Unternehmer und nutzt diese Erfahrung jetzt, um kleine und mittlere IT-Firmen strategisch zu beraten, unter anderem bei Themen wie Firmenkäufen und -verkäufen, Nachfolgeregelungen, Firmenbeteiligungen und Management Buyouts sowie bei gesellschaftsrechtlichen und vertraglichen Fragestellungen.
Wie steht es hingegen um die Möglichkeit, sich als Gründer zwar aus dem Tagesgeschäft zurückzuziehen, aber weiterhin als Inhaber aktiv zu bleiben?Diese Möglichkeit gibt es ebenfalls. Die Inhaber übergeben das operative Geschäft, bleiben aber im Unternehmen. Das scheitert allerdings auch häufig. Denn viele KMU-Unternehmer unterscheiden nicht zwischen Eigentümerschaft und Geschäftsführung.
Also bleibt letztlich in vielen Fällen nur der Verkauf. Welche Optionen gibt es dabei?Hier gilt es zwischen Strategen, Aggregatoren und Private-Equity-Unternehmen zu unterscheiden. Strategen wollen ein Unternehmen mit dem Ziel kaufen, dieses in das eigene Geschäft zu integrieren, um es zu erweitern, beispielsweise um die Kunden, das Team oder das Know-how. Ein Aggregator kauft Unternehmen inklusive Geschäftsführung hingegen, um sie selbstständig weiteroperieren zu lassen und sie nach einigen Jahren gewinnbringend weiterzuverkaufen. Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist Forterro, das Proconcept, Myfactory und Proffix gekauft hat. Hier stehen vor allem die Rendite sowie die Wertsteigerung im Fokus. Einerseits kann das über Kosteneinsparungen erzielt werden, beispielsweise im Marketing und in der Softwareentwicklung. Andererseits erfolgen oft Preiserhöhungen, denn gerade im Softwarebereich wissen die Investoren, dass der Lock-in-Effekt sehr hoch ist. Für den Kunden ist diese Entwicklung weniger begrüssenswert. Es gibt aber auch positive Beispiele von Investoren, die massiv in die Weiterentwicklung der Unternehmen und ihre Software investiert haben. Private-Equity-Unternehmen arbeiten ähnlich wie Aggregatoren, fokussieren sich aber noch stärker auf die finanziellen Kennzahlen. Hier steht die Steigerung des Unternehmenswertes an erster Stelle. Sie lassen die Unternehmen weiter operieren und oftmals allein stehen. Der Unternehmer begleitet zwar den Übergang, steigt aber meist innerhalb von zwei Jahren selbst aus. Das ist ihnen aber schon beim Verkauf bewusst.
Gibt es aus Ihrer Sicht einen Königsweg?Was ich immer sage: Viele sind sich nicht bewusst, dass wir uns aktuell in einem Verkäufermarkt bewegen. Sie denken immer noch, dass es das Schwierigste ist, einen Käufer zu finden. Das stimmt aber nicht. Denn es gibt aktuell viele Investoren und es gibt viel Kapital im Markt. Unternehmen können also viele Rahmenbedingungen selbst bestimmen. Nicht unbedingt den Preis, dafür gibt es meist klare Vorgaben. Aber alle anderen Bedingungen. Sie sollten sich also die Zeit nehmen und von Anfang an gut überlegen, wie der Deal und wie die Zeit danach aussehen soll. Während Strategen beispielsweise eher langfristig planen, haben Investoren nur einen Grund, warum sie das tun, was sie tun: Für sie ist das Unternehmen ein Investment, das auf Wertsteigerung abzielt – allerdings mit den entsprechenden Konsequenzen für Produkte, Mitarbeiter und Kunden.
Das klingt aber danach, als wäre aktuell ein guter Zeitpunkt, das eigene Unternehmen zu verkaufen?Absolut, es ist eine sehr gute Zeit. Das hat mehrere Gründe. Einerseits, dass viele Unternehmer wie zuvor angesprochen in die Jahre kommen. Zudem ist im Markt aktuell viel Kapital, das nach guten Investitionsmöglichkeiten sucht. Die IT-Branche gilt darüber hinaus als ausserordentlich krisensicher, wie die vergangenen Jahre gezeigt haben. Hier kann man als Investor nicht viel falsch machen. Ausserdem bestimmt die IT mit Trendthemen wie beispielsweiser Künstlicher Intelligenz auch andere Wirtschaftsbereiche indirekt mit. Und nicht zuletzt blicken wir gerade im Software-Umfeld auf teils sehr hohe Margen von 15 bis sogar 25 Prozent. Diese Mischung macht IT-Unternehmen aktuell besonders attraktiv.
Gilt das vor allem für IT-Dienstleister mit einem hohen Software- und Services-Anteil oder auch für eher noch klassisch ausgerichtete Anbieter mit einem starken Hardware-Business?Das gilt auch für Unternehmen, die noch sehr herkömmlich unterwegs sind. Auch sie sind für Investoren interessant, weil sie meist günstiger sind, gleichzeitig aber ein hohes Entwicklungspotenzial mitbringen. Was allerdings nicht allzu attraktiv ist: IT-Dienstleister mit zehn bis 20 Leuten, alle im Alter 50 plus, viele kleinteilige Kunden über alle Branchen hinweg und die vorherrschende Einstellung ist: Cloud, das ist alles Mist.
Wird sich durch diese Investitionsaktivitäten und die Konsolidierung der Schweizer IT-Dienstleister-Markt langfristig verändern? Werden wir in einigen Jahren eine Handvoll grosser Anbieter sehen wie beispielsweise in den USA – im Gegensatz zu einem heterogenen KMU-Markt?Die Schweiz hat nicht das Gen in sich, alles sehr stark zentralisieren zu wollen. Wir sind keine grossen Fans von Standardisierung und Franchise. Ich gehe daher nicht davon aus, dass sich der Schweizer Markt ähnlich wie der US-Markt entwickeln wird. Dennoch findet eine Konsolidierung statt und in ein paar Jahren werden wir nicht mehr so viele Player sehen.
Wie ist also Ihre Prognose für das aktuelle M&A-Geschehen?
Ich hoffe, dass nicht bald alle meine Kunden vom Markt weggekauft sind (lacht). Nein, der Trend wird weitergehen, ohne Frage. Offen bleibt noch, wie sich der aktuelle Zinsanstieg künftig auf den Kapitalmarkt auswirken wird. Aber davon abgesehen geht das Thema jedem IT-Unternehmer in irgendeiner Form im Kopf rum.
Wie steht es denn auf der anderen Seite um das Thema Zukauf? Sie sagen, die Konditionen sind attraktiv. Nutzen das auch IT-Dienstleister selbst?
Ja, einige Unternehmen sind damit erfolgreich. Ein Beispiel ist Boss Info aus Farnern. Aber in diesem Bereich stehen sie natürlich in Konkurrenz zu den Private-Equity-Firmen. Das gestaltet es schwierig. Aber manche Schweizer Unternehmen wollen nicht an Heuschrecken verkaufen und akzeptieren dafür einen manchmal um ein Drittel niedrigeren Kaufpreis. Ich rate auf jeden Fall: Wer wachsen will, sollte auch eine Strategie für anorganisches Wachstum ins Auge fassen. Kleine IT-Dienstleister sind besonders spannend für diese Übernahmen. Firmen mit zehn Leuten bekommt man vielleicht schon für eine Million Franken oder weniger. Investoren kaufen hingegen am liebsten möglichst grosse, möglichst rentable Unternehmen ab 50 oder mehr Mitarbeitern. Der Prozess ist für sie dabei identisch, doch das wirtschaftliche Potenzial natürlich wesentlich grösser.
Was ist wiederum Ihr Ratschlag für Unternehmer, die aktuell über einen Verkauf nachdenken?
Wie zuvor angesprochen: Ich habe festgestellt, dass viele den erstbesten Käufer nehmen, der daherkommt. Das ist eine schlechte Idee! Ich empfehle immer: Unternehmer sollten ein Investorenuniversum mit fünf bis zehn Interessenten aufbauen. Das schafft eine Wettbewerbssituation und kann die Konditionen deutlich verbessern, nicht nur den Preis, sondern auch alle anderen Rahmenbedingungen. Sonst läuft man Gefahr, übervorteilt zu werden. Das sind immerhin alles ausgebuffte Finanzleute. Stattdessen haben die Unternehmer aber Angst, dass sie keinen Käufer finden. Aber das ist Quatsch. Erstens sitzen sie am längeren Hebel, zweitens werden sie gefunden.
(sta)
Schweizer IT-KMU besonders attraktiv
Das Beratungsunternehmen Deloitte untersucht in einer regelmässigen Studie jedes Halbjahr die M&A-Aktivitäten im Schweizer KMU-Bereich. Dabei hat sich für die ersten sechs Monate 2023 gezeigt: IT-Dienstleistungsunternehmen sind besonders begehrt. Sie erreichten mit einem Anteil von 26 Prozent an den sogenannten Inbound-Transaktionen innerhalb der Schweiz den ersten Platz unter den verschiedenen Branchen, noch vor dem im letzten Jahr führenden Industriesektor. Und auch bei den Übernahmen aus dem Ausland waren es Schweizer IT-KMU, die im Vergleich die grösste Nachfrage aller Branchen hervorriefen. «Das grosse Interesse an Schweizer IT-Dienstleistern dürfte vor allem durch die Attraktivität des Standorts sowie die vielen neu entstandenen Cloud- und Cyberfirmen begründet sein», erklärt Stephan Brücher, Partner Financial Advisory bei Deloitte Schweiz. «Aufstrebende IT-Unternehmen, die gezielt das Wachstum der IT-Branche vorantreiben und Lösungen für Unternehmen aller Art bieten, sind eine wichtige Ressource in unserem Land.»