Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. Auch wenn privat wohl niemand mehr den Nutzen insbesondere von generativer KI infrage stellt, befinden sich im B2B-Bereich die nutzenstiftenden KI-Anwendungen noch in der Entwicklung. Trotz der Euphorie besteht also auf den ersten Blick im Channel kein unmittelbarer Handlungsbedarf, KI und ihre Möglichkeiten heute schon zu nutzen.
Dies umso mehr, als die Auftragsbücher im Channel – die jüngste Lünendonk-Liste hat es europaweit gerade wieder gezeigt – gut gefüllt sind und die Zeichen offenbar weiterhin auf überdurchschnittliches Wachstum stehen. Grund ist weniger KI als die zahlreichen Digitalisierungs- und Transformationsprojekte, auf die Unternehmungen trotz oder gerade wegen der wirtschaftlichen und sonstigen Unsicherheiten nicht verzichten können, wenn sie ihre Zukunftsfähigkeit erhalten wollen.
Trügerische Auftragslage
Angesichts der Marktlage sind die Zukunftsaussichten des Schweizer Channels für die kommenden fünf oder mehr Jahre positiv. Trotzdem wäre es unklug, sich ausschliesslich auf die anstehenden Projekte zu konzentrieren und die Entwicklung im KI-Bereich erst einmal von der Seitenlinie aus zu beobachten.
Auch wenn KI-Anwendungen, die auf die Kernwertschöpfung der Kunden abzielen, noch Mangelware sind, bietet generative Künstliche Intelligenz heute schon zahlreiche Anwendungsfelder im Rahmen der laufenden Digitalisierungs- und Transformationsprojekte. Denn die Zeit drängt aus Kundensicht – sowohl wegen der Konkurrenz als auch wegen des Generationswechsels, den zahlreiche und namhafte Softwarehersteller wie zum Beispiel SAP in ihren Produkten vollziehen und ihren Kunden verordnen.
Im Wettlauf gegen die Zeit hat derjenige Channel-Partner die Nase vorn, der seinen Kunden hilft, Projektlaufzeiten zu verkürzen, und zwar massiv, um die Hälfte und mehr. In der Automatisierung liegt vielleicht das grösste Potenzial von KI. Kein Wunder, dass die Softwarehersteller zurzeit mit Hochdruck daran arbeiten, dieses Potenzial in ihren Produkten zu heben. Der Channel sollte es ihnen bei der Projekt-
umsetzung gleichtun.
Morgen ist heute
Möglichkeiten dafür bestehen viele. In der Projektvorbereitung etwa fallen zahlreiche Erhebungen und Analysen an, um für eine reibungslose und passgenaue Umsetzung zu sorgen. Viele dieser vorbereitenden Tätigkeiten lassen sich heute schon mittels KI automatisieren bis hin zur Erarbeitung und Vorlage von Lösungsvorschlägen. Gerade weil Reseller, Systemintegratoren und Beratungsunternehmen die hierfür notwendigen Kompetenzen oftmals erst noch erwerben und aufbauen müssen, sollten sie damit eher früher als später beginnen. Sollten sie zu lange damit warten, werden Konkurrenten dieses Zögern zu ihren Gunsten nutzen.
Hinzu kommt: Softwareprodukte entwickeln sich immer mehr in Richtung von Plattformangeboten. Das beginnt schon bei der Infrastruktur und zieht sich hinauf bis auf die Ebene der Anwendungen, die als wiederverwendbare und für unterschiedlichste Anwendungsszenarien kombinierbare Funktionalitäten und Dienste zur Verfügung stehen – oftmals und immer häufiger in und aus der Cloud.
Kürzere Projektlaufzeiten und Softwareplattformen stellen für Channel-Partner eine Herausforderung dar. Wollen sie nachhaltig wachsen, benötigen sie nicht nur neue Kompetenzen, sondern müssen auch mehr Kunden gewinnen. Und hier schliesst sich der Kreis zu KI. Denn um mehr Kunden bedienen zu können, werden sie nicht auf zusätzliche Fachkräfte setzen können, sondern ihr bestehendes Personal mittels Künstlicher Intelligenz produktiver machen müssen. KI ist mehr als eine neue Technologie. Sie verändert grundlegend und eher heute als morgen Geschäftsmodelle und Arbeitsweise des Schweizer Channels.
Thomas Failer ist Gründer und Group-CEO des weltweit tätigen Schweizer Softwareanbieters
Data Migration International. Seit dem Generationswechsel von SAP R/2 auf SAP R/3 arbeitet der Diplom-Informatiker (FH) daran, Transformationsprojekte intelligent zu vereinfachen, zu beschleunigen und in eine echte Chance für das digitale Unternehmen zu verwandeln.