M&A in der IT-Branche: Vereinte Kräfte
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M&A in der IT-Branche: Vereinte Kräfte

Das M&A-Karussell im Schweizer IT-Markt dreht sich ­weiter. Investitionsfreudige Geldgeber, die sich verändernde Wettbewerbsstruktur, die Anforderungen der IT und der Kunden sowie Gründer im nahenden Renten­alter sorgen dafür, dass die Konsolidierung voranschreitet.
13. September 2024

     

Schweizer IT-Unternehmen sind und bleiben beliebte Übernahmekandidaten. Dabei war 2023 mit Blick auf das M&A-Geschehen im hiesigen Gesamtmarkt wahrlich nicht das stärkste Jahr. Das unterstreichen Zahlen von Deloitte. Wie das Wirtschaftsprüfungsunternehmen im vergangenen Februar meldete, gab es 2023 insgesamt 211 Transaktionen (Inbound und outbound) unter Beteiligung von Schweizer KMU. 2022 und 2021 waren es hingegen noch 244 respektive 233 Deals. Deloitte schreibt die abflachende Nachfrage vor allem dem starken Franken und dem damit rückläufigen Kaufinteresse ausländischer Firmen zu.

Durchwachsene Aussichten auch für die IT-Branche? Mitnichten. Neben Unternehmen aus der Industrie stehen IT-Dienstleister und Softwareanbieter mit Abstand am häufigsten im Fokus von Kauf­interessenten. Sie machten satte 21 Prozent aller Transaktionen des Jahres aus. "Für die Schweizer Industrie und die hiesigen IT- und Softwareunternehmen sind diese Zahlen ein Qualitätssiegel", erklärt Stephan Brücher, Partner Financial Advisory bei Deloitte Schweiz. "Das hohe Interesse der ausländischen Investoren an diesen Branchen unterstreicht die Bedeutung der Schweizer KMU-Landschaft und Start-up-Community. Sie bieten IT- und Softwaredienstleistungen an und stellen Produkte her, etwa auch in der Medizintechnik, die weltweit führend und dadurch sehr attraktiv für ausländische Investoren sind."


IT-Anbieter auf Einkaufstour

Eine hohe M&A-Frequenz, die nicht nur an den Zahlen, sondern besonders an konkreten Beispielen ablesbar ist. Im vergangenen Jahr und auch in den ersten Monaten des laufenden Jahres hat sich das Übernahmekarrussell im Schweizer Markt rasant weitergedreht. Ob die Akquisition von ERP-Anbieter Proffix durch die britische Forterro-Gruppe, die Einkaufstour von Convotis (Swiss Cloud, Agentil, Aspectra, Innofind, Sowatec, JMC Software), ein weiterer Zukauf der Fernao-Gruppe (BNC) oder die Econis-Übernahme durch den italienischen Cloud-Provider Wiit: in der Schweizer IT-Branche ist fraglos eine Konsolidierungswelle im Gange. Sie formt vielerorts aus kleinen und mittleren Unternehmen zusehends Anbieter mit mehr Schlagkraft, grossem Footprint und umfassendem Angebotsspektrum. So hatte Convotis-CEO Manuel Ebner bezüglich der Aspectra-Akquisition bekräftigt: "Diese Übernahme verstärkt die Convotis als Schweizer Cloud-Powerhouse und positioniert uns unter die Top 25 der führenden Managed IT-Service-Provider in der Schweiz." Für Aspectra mit seinen rund 60 Mitarbeitenden ist es hingegen die Chance, den eigenen Wirkungskreis, die Produktpalette und die verfügbaren Ressourcen ohne Investitionen auf einen Schlag deutlich zu erhöhen. «Mit diesem Schritt bieten wir unseren Kunden neue IT-Dienstleistungen an mit dem Zugriff auf das Know-how und die Ressourcen von über 1000 IT-Spezialisten», so Aspectra-CEO Kaspar Geiser. Dem Aspectra-Team würden sich zudem Möglichkeiten in multinationalen Projekten ergeben.

"Breites Spektrum an Expertise"

Es ist eine Entwicklung des Marktes, die nicht zuletzt durch die steigende Komplexität der IT sowie die Anforderungen der Kunden getrieben wird. "Wenn ein Unternehmen von der Beratung über die Entwicklung bis hin zum Betrieb alles selbst und aus einer Hand anbieten möchte, wird ein breites Spektrum an Expertisen gefordert", berichtet Christian Waldvogel, Chief Strategy Officer bei Netcetera. "Zusätzlich werden Anforderungen an eine Spezialisierung zum Beispiel in den Bereichen Cloud, AI und Technologieplattformen grösser." Beides führe dazu, dass ein Software-Unternehmen eine gewisse Grösse haben müsse, um die benötigten Skills unter einem Dach zu vereinen. "Um den Aufbau zu beschleunigen, ist der Zukauf von Expertise, in welcher Form auch immer, sehr reizvoll. Darüber hinaus hilft eine gewisse Unternehmensgrösse auch, aktives Portfoliomanagement zu betreiben und damit Risiken im Produktgeschäft besser auszubalancieren."

Waldvogel beziehungsweise Netcetera spricht aus eigener Erfahrung. Immerhin hält der deutsche Konzern Giesecke+Devrient (G+D) seit vier Jahren Anteile am Zürcher Softwarehaus und hat diese mittlerweile auf 95 Prozent erhöht. Gleichzeitig hat Netcetera Mitte vergangenen Jahres selbst investiert und die eigene Beteiligung an der Braingroup von bereits bestehenden 33 um 45 Prozent auf total 78 Prozent erhöht. "Als Teil der G+D-Gruppe wird Netcetera von einem starken strategischen Partner und Netzwerk unterstützt", erklärt Waldvogel. "Wir haben so Zugang zum globalen Markt vor allem in den Bereichen Payment und Banking und können unsere globale Expansion gemeinsam vorantreiben und nachhaltig weiterwachsen." Mit der Braingroup-Übernahme habe man nun wiederum die eigene Position im Schweizer Markt gestärkt – und Braingroup gleichzeitig Zugang zu neuen Märkten im Ausland verschafft.


Synergien und Portfolioerweiterung

Es sind vielschichtige treibende Kräfte der Konsolidierung des Marktes: Die steigende IT-Komplexität, die damit wachsenden Anforderungen der Kunden – und die Herausforderungen, Know-how aufzubauen, Fachkräfte zu finden oder schlicht weitere Investitionen in Wachstum stemmen zu können. Unter einem Dach vereint profitieren IT-Anbieter hingegen von Synerigen, von geteilter Expertise, übergreifenden Strukturen und gegebenenfalls einem ganzheitlichen Portfolio, das die vielen oder zumindest viele Teilbereiche der IT abdeckt. "Ich sehe es als Vorteil, ein Portfolio über ein breites IT-Spektrum hinweg anbieten zu können", sagt Christophe Macherel, CEO von Aveniq. Aveniq ist aus dem Zusammenschluss von GIA Informatik und der Avectris-Gruppe im Jahr 2020 hervorgegangen. Ziel der vereinten Kräfte: Die langjährige Erfahrung und das Know-how der Mitarbeitenden sowie bereits im Vorfeld erkannte Synergien des Portfolios zu bündeln, "um für mittelständische Unternehmen eine attraktive Service-Partnerin zu sein", so Macherel. Denn "Themen wie die digitale Transformation, der sichere Umgang mit Daten und Künstlicher Intelligenz, der Mangel an IT-Fachkräften und IT-Know-how wie auch Innovationskraft führen dazu, dass Unternehmen externe IT-Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Kunden möchten vermehrt mit IT-Anbietern zusammenarbeiten, welche diese und weitere Bedürfnisse vollständig abdecken können."

Siegeszug der IT-Generalisten?

Es mutet wie ein Siegeszug der IT-Generalisten an. Aber alle Aspekte der vielschichtigen, immer komplexeren IT-Welt können selbst grosse Dienstleister nur in den seltensten Fällen im Alleingang abdecken. So hatte auch Christophe Macherel mit der Vorstellung der aktuellen Unternehmensstrategie im vergangenen April darauf hingewiesen, dass IT-Security für Aveniq zwar eine zentrale Rolle im Portfolio spiele, aber man nicht in Konkurrenz zu fokussierten Security-Integratoren treten wolle. Eine entsprechende Ausdifferenzierung des Marktes sieht man vor allem in komplexen Bereichen wie KI, Cloud, Big Data sowie BI und eben in der Cybersecurity. Spezialisten sind und bleiben gefragt.

Anders ist das oftmals in den IT-Kernfeldern. Hier zeigen die M&A-Aktivitäten der vergangenen Monate und Jahre, dass viele IT-Anbieter aus dem KMU-Bereich auf die Bündelung von Know-how und die Stärkung ihrer Ressourcen setzen, nicht zuletzt, um sich gegen grössere Anbieter wie Software One, Bechtle, Cancom und die Business-Sparten der Netzbetreiber behaupten zu können. "Die anhaltende Konsolidierung im Schweizer IT-Dienstleistungsmarkt spiegelt die dynamische Entwicklung unserer Branche wider", sagt Macherel gegenüber "Swiss IT Reseller". "Dieser Trend resultiert in einer veränderten Marktsituation mit weniger, dafür grösseren und stärkeren, zunehmend auch internationalen Marktbegleitern." Dieses neue Marktgefüge erhöhe den Wettbewerbsdruck, so der Aveniq-CEO, biete jedoch gleichzeitig Möglichkeiten für Wachstum und Innovation.


Eine Struktur, wie sie beispielsweise in den USA vorzufinden ist, bestimmt von wenigen grossen IT-Providern, ist aktuell trotz aller Konsolidierung aber nicht absehbar, wie Unternehmensberater Urs Prantl bekräftigte. "Die Schweiz hat nicht das Gen in sich, alles sehr stark zentralisieren zu wollen. Wir sind keine grossen Fans von Standardisierung und Franchise", so Prantl im Interview vor einigen Monaten. "Ich gehe daher nicht davon aus, dass sich der Schweizer Markt ähnlich wie der US-Markt entwickeln wird." Dafür spricht auch schlicht die heterogene, stark mittelständisch geprägte Unternehmenslandschaft. Dennoch finde aber eine Konsolidierung statt und "in ein paar Jahren werden wir nicht mehr so viele Player sehen", prognostizierte Prantl.

Nachfolger gesucht

Getrieben wird diese Entwicklung zudem vom Thema Alter und Nachfolge. Allein im Bereich der IT-Dienstleister müssen derzeit mehr als 4000 Unternehmen oder über zwölf Prozent der gesamten Schweizer Branche ihre Nachfolge regeln, wie aus aktuellen Zahlen von Dun & Bradstreet hervorgeht. Dabei gibt es zwei Optionen: Einerseits die Weitergabe des Betriebs an Familienmitglieder und bestehende Mitarbeitende in Form eines Family- beziehungsweise Management-Buy-outs, andererseits ein Verkauf. Der anstehende Generationenwechsel in vielen Betrieben wird daher weiter in die Konsolidierung einzahlen, vor allem, da Investoren und andere Interessenten bei IT-Unternehmen aktuell gerne zugreifen. "Das Interesse im Markt ist auf jeden Fall da. Nicht nur innerhalb der Schweiz, sondern aus dem gesamten DACH-Raum", erklärt Julia Gathen, Mandatsleiterin M&A beim Treuhänder und Beratungsunternehmen OBT (das gesamte Interview finden Sie hier). "Die letzten vier Jahre waren zwar sehr turbulent, aber die IT-Branche hat diese gut überstanden und boomt in vielen Bereichen sogar. Das kann man also gut dafür nutzen, um sich unverbindlich zu informieren."


Willige Verkäufer auf der einen Seite, ressourcenstarke Interessenten wie Netcetera auf der anderen Seite. So plant das Schweizer Softwarehaus mit der Unterstützung der starken Muttergesellschaft bereits die nächsten M&A-Schritte. "Das anorganische Wachstum spielt bei uns eine sehr zentrale Rolle. Wir wollen in den Bereichen Payment und Banking in angrenzenden Produktsparten und zusätzlichen Märkten stark wachsen und neue Kundensegment erschliessen", unterstreicht Christian Waldvogel. "Dies wollen wir unter anderem über einen strategischen M&A-Ansatz erreichen." So plane Netcetera in den nächsten zwei bis drei Jahren substanzielle Zukäufe, einerseits in den erwähnten Bereichen Payment und Banking, andererseits schaue man aber auch ganz aktiv nach Unternehmen, die "zum Beispiel aufgrund eines Generationenwechsels nach neuen Opportunitäten suchen, und sich an uns wenden", so der Chief Strategy Officer.
Christophe Macherel von Aveniq äussert sich weniger offensiv, wenn auch offen: "Weiteres anorganisches Wachstum ist für uns dann sinnvoll, wenn es uns Zugang zu neuen Märkten ermöglicht oder wenn wir durch den Erwerb von Wissen, Fachkräften oder Technologien Synergien erzielen können. Solche Perlen gibt es nach wie vor am Schweizer Markt." Doch ein entsprechender Schritt erfordere eine sorgfältige Planung und Umsetzung – "und der Zeitpunkt dafür muss richtig sein".

Rüsten für künftige Herausforderungen

Auf kurz oder lang dürfte in den entwicklungsfreudigen Schweizer IT-Markt also keine Ruhe einkehren. Ob Generationenwechsel, investitionsfreudige Kapitalgeber oder sich zusehends verstärkende Unternehmensgruppen: die Zeichen stehen aufgrund der Rahmenbedingungen auf weitere Konsolidierung. Aktuellstes Beispiel: IT-Dienstleister Kälin Informatik aus Einsiedeln, der kürzlich von Föllmi IT mit Hauptsitz in Wangs übernommen wurde. Eine Entscheidung, die vor allem aus der Grösse von Kälin und den Zukunftsaussichten im Alleingang resultierte. "Das Tätigkeitsfeld weitet sich aus und erfordert eine breitere fachliche Qualifikation. Nur als grösserer Anbieter kann man die Anforderungen der Zukunft noch aus einer Hand anbieten", berichtet Kälin-Inhaber Meinrad Kälin. Mit Föllmi ICT – 40 Mitarbeitende an sieben Standorten – habe man nun den passenden Partner gefunden, auch für die kommenden Jahre, wenn sich Meinrad Kälin selbst stärker aus dem operativen Geschäft zurückzieht. Entscheidend waren dabei Synergiepotenzial und identische Zielgruppen bei unterschiedlicher geografischer Verwurzelung. "Dieser strategische Schritt stellt sicher, dass wir optimal auf zukünftige Herausforderungen vorbereitet sind, selbst wenn ich in einigen Jahren mein Pensum reduzieren werde", betont Inhaber Kälin. (sta)


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