WEBDIENSTLEISTER-ROUNDTABLE : «So viel wie nötig, so wenig wie möglich»

Dies war die Antwort eines Teilnehmers am ersten IT Reseller Webagenturen-Roundtable auf die Frage nach der Integrationstiefe in Projekten. Man war einhellig der Meinung, dass es die vier anwesenden Firmen auch in Zukunft noch geben wird, obwohl die Herausforderung «Systemintegration» von keiner Firma wirklich geleistet werden kann. Offenbar setzt man weiterhin vorwiegend auf Internet-basierte Anwendungsentwicklung.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2003/02

     

Teilnehmer v.l.n.r: Marcel Altherr, COO Pixelpark Schweiz; Urs Bucher, Sales Manager, Namics; Heiner Grüter, CEO Unic Internet Solution; Gian-Franco Salvato, Chairman of the Board, Aseantic
IT Reseller: Vor drei bis vier Jahren hätten wohl alle hier Anwesenden unterschrieben, dass man ein internationales Netzwerk braucht und wachsen muss, um überlebensfähig zu bleiben. Heute gibt es die Webagenturen, die solches gesagt haben, nach wie vor, wenn auch nicht mehr so international und so gross wie auch schon.
Marcel Altherr (Pixelpark): Man darf nicht vergessen, dass es sich bei unserer Branche um eine noch junge Industrie handelt. Die Organisationsformen, die Zielgruppen, die Fokussierung waren nicht von Beginn weg klar. Gerade die wilde Zeit der letzten drei Jahre war auch eine Lernphase. Die Unternehmen, die jetzt noch am Markt sind, haben dazugelernt und sind jetzt anders organisiert und strukturiert.
Es ist zu hoffen, dass man dazugelernt hat. Aber ist man nicht ganz einfach auch bescheidener geworden?
Urs Bucher (Namics): Wir stellen beides fest. Wir haben einen Kunden in Vevey, dem es egal ist, dass die Leute, die für ihn verantwortlich sind, in St.Gallen sitzen. Wir merken aber auch, dass das Business lokal ist. Wir wollen beispielsweise in Bern Fuss fassen und stellen dabei dasselbe fest, was alle grossen Hardware- und Software-Hersteller seit 15 Jahren schon hinter sich haben: Man braucht ein Lobbyisten in Bern, um an die Bundesverwaltung heranzukommen. Egal, wie virtuell unser Business ist, hier in der Schweiz ist es lokal. Verkaufen, das stelle ich einmal so in den Raum, kann man heute eher über das Beziehungsnetz. Kalt-Akquisitionen – hm, eine schwierige Sache.
Franco Salvato (Aseantic): Es gibt Branchen, in denen wollen die Kunden mit uns zusammenarbeiten, ob wir nun unseren Hauptsitz in Biel haben oder anderswo. Seit mehr als einem halben Jahr sind wir ja auch in Zürich vertreten und 50% unseres Umsatzes erwirtschaften wir mit Kunden aus dem Grossraum Zürich.
Hingegen sind die Kunden heute nicht mehr bereit, die hohen Tagessätze zu zahlen. Die 4000 Franken pro Tag mit Spesen zahlt heute niemand mehr. Das war bei uns aber auch nie ein grossen Thema – wir haben nie bei den ganz grossen Projekten mitgearbeitet. Und deshalb haben wir nicht merklich kleinere Projektsummen. Sie liegen zwischen 150’000 und 300’000 Franken, manchmal auch eine halbe Million. Und wir haben auch nicht mehr regionale Projekte als früher.

Wie hoch sind denn die Tagessätze heute?

Salvato: Ich würde sagen zwischen 1500 und 2000 Franken, vielleicht 2500 Franken.
Aber wie sollen in Zukunft internationale Grossprojekte abgewickelt werden – alle am Tisch haben den lokalen Bezug und dessen Wichtigkeit unterstrichen. Trotzdem werden irgendwann auch wieder grössere Kisten in Auftrag gegeben. Gibt es hier viel mehr losere Allianzen, die sich auf ein Projekt konzentrieren und dann wieder verflüchtigen?
Bucher: Es ist nicht gesagt, dass eine Marketingkampagne, sagen wir von Coca-Cola, so wie sie in der Schweiz läuft, auch in Dänemark, Südamerika und Japan gleich funktioniert und man sie 1:1 transportieren kann. Es fragt sich, ob die Zeiten der grossen eierlegenden Wollmilchsäue wieder einmal kommen werden – da habe ich meine Zweifel.
Heiner Grüter (Unic): Keiner von uns hat ein Problem, bezüglich personeller Stärke oder Kompetenz ein internationales Projekt zu realisieren. Nur gibt es aus Sicht des Kunden kaum internationale Projekte im Moment. Und wenn sie an Grossprojekte für die Summe von 5 Millionen denken, dann kommt den Kunden vielleicht IBM in den Sinn.
Die haben den Vorteil, dass sie in dieser Grössenordnung mehr Erfahrung haben. Ich bin gespannt, wie sich die Marktsegmentierung entwickeln wird. Die Crealogen (Crealogix, Anm. d. Red.) haben diesen Schritt gemacht – sie positionieren sich ja als IT-Dienstleister.
Was unterscheidet denn einen Webdienstleister von IBM oder von einem Systemintegrator?
Salvato: Für mich besteht zwischen Crealogix und IBM in dieser Hinsicht eine riesige Differenz. Was Crealogix macht, unterscheidet sich für mich nicht von dem, was wir machen. Wenn sich jemand für IBM entscheidet, will er eine gewisse Sicherheit, was die Ressourcen betrifft, egal wie komplex das Projekt ist. Hier müssen wir ehrlich sein, dass dies eine andere Liga ist. Bei gewissen Projekten haben aber sicherlich wir die besseren Ausgangslagen.
Altherr: Aber es gibt etwas, das wir Webdienstleister alle gemeinsam haben. Wir legen den Fokus auf Internet-basierte Anwendungsentwicklung. Wir haben diesen speziellen Mix aus Informatik-Know-how, Integrationswissen, aber auch Visual- und Information-Design.
Es sind schliesslich unsere Teams in ihren speziellen Zusammensetzungen, die uns von IBM und anderen grossen Anbietern unterscheiden, bei denen diese Teams in viel grösseren Einheiten oder gar nicht zur Verfügung stehen. Wenn wir aber beispielsweise eine tiefe Integration in die Middleware benötigen, schliessen wir Partnerschaften mit spezialisierten Back-End-Integratoren.
Salvato: Und auch die Erfahrung als Team, die diese Leute mit sich bringen. IBM könnte vielleicht auch ein solches Team zusammensetzen, es wäre aber ein Team, das noch nie zusammengearbeitet hat.
Bucher: Die ganz Grossen, sei es HP Consulting oder IBM, haben einen Imagevorteil. Das ist das SAP- oder IBM-Syndrom. Ich behaupte aber, dass sie nicht denselben guten Mix wie wir anbieten können. Wir erhalten zu viele Anfragen von ihnen, ob wir als Subcontractor zum Beispiel ein CMS-Projekt mit ihnen durchführen wollen. Und dabei dürfen wir dann dem Kunden gegenüber auf keinen Fall sagen, wer wir wirklich sind.
Hier besteht sicherlich eine Lücke zwischen der Wahrnehmung des Kunden mit seinem Bedürfnis nach Sicherheit und dem was wir bieten. Wir bauen an diese Informatiksysteme heran mit Design und Internettechnologie, machen eine gewisse Integration. Darin haben wir unsere Expertise. Das Geschäft hat sich zudem in den letzten anderthalb bis zwei Jahren von der Front-End Gestaltung verlagert in Richtung Integration in bestehende und technisch komplexere Systeme, Intranet-, Extranet- und Internet-Applikationen. Es wächst nach hinten in Richtung Back-End.
Grüter: Eines der Kriterien wird zudem sein, wie sich dieser Markt segmentieren wird. Irgendwann kam jeder von uns an den Punkt, an dem er sich die Frage stellte, was wir eigentlich besser können als die anderen. Unsere Kernkompetenz besteht darin, ein ganz spezielles Projekt-Setup zu bewältigen. Wir haben realisiert, dass wir für unsere Kunden innerhalb einer kurzen Zeit ein Werkzeug bauen, das dem Unternehmen sofort einen ganz bestimmten Nutzen bringt.
Bucher: Ja, der Return on Investment muss sich in dieser bestimmten Zeit rechnen.
Grüter: Mittlerweile geht es klar in die Richtung, dass jeweils der Kunde den Sockel gerne in drei bis vier Jahren auch noch verwenden will. Es sind drei Aspekte: Wir sind uns gewohnt, dass eine Anwendung nicht für die Ewigkeit gebaut wird, dass wir keine linearen Lösungen konzipieren und dass es Projekte gibt, die schnell oder hektisch abgewickelt werden müssen. Hier ergibt sich vielleicht auch eher ein Differenzierungsfaktor für die Zukunft.
Altherr: Ich bin überzeugt, dass die Webdienstleister mit der Zeit als eigene Industrie wahrgenommen werden. Software herzustellen, das hat man mittlerweile auch herausgefunden, hat nicht nur mit Wissenschaft und Engineering zu tun, sondern vielmehr auch – pardon – mit Kunst. Und dem kommen wir mit diesen anders gelagerten Leuten aus den Bereichen Visual- und Information-Design sehr nahe.
Und das kreiert dann dieses gewisse Etwas, das wir mit dem zugegebenermassen hässlichen Begriff Webdienstleister bezeichnen. Ich habe aber auch keinen besseren Vorschlag. Dass es sich jedoch dabei um eine eigene Kategorie handelt, wird von aussen noch nicht so wahrgenommen.

Wird das in Zukunft auch so bleiben?

Salvato: Ja, ich denke, dass diese Kombination aus Leuten, die eine Ahnung von Visual-Identity und Benutzeroberflächen haben, sowie den IT-Leuten und den Unternehmensberatern fähig ist, ein Problem gemeinsam zu lösen und dass dabei alle Aspekte vernünftig gewichtet werden. Das ist unsere Stärke. Die wenigsten von uns könnten gegen die pure IT-Topfirma bei den Skills mithalten – vielleicht vereinzelt. Es ist der Mix dieser drei Disziplinen, der unsere Besonderheit ist.
Bucher: Ja, das sind eigentlich unsere drei Kernkompetenzen. Wie stark jede einzelne gewichtet ist, bleibe einmal dahingestellt.
Altherr: Es gibt zudem ein weiteres Unterscheidungsmerkmal gegenüber Firmen wie zum Beispiel IBM. Was wir machen, kann auch nur in einer gewissen Grösse stattfinden. Und mich würde interessieren, was die anderen als ideale Grösse bezeichnen. Es hängt auch vom Team ab,
von der Unternehmenskultur, der Projektorientierung. Jedes Projekt formt das Unternehmen auch.
Es kommt doch auch darauf an, was die Kunden für Bedürfnisse haben und ob man diese selbst abdecken oder Partner einsetzen will. Wie kann man die kritische Grösse definieren?
Salvato: Ich denke, dass die Grösse der Projektteams relevant ist. Man kann festlegen wie gross ein solches Team sein muss, um ein Projekt abwickeln zu können. Und entweder habe ich dann drei, vier oder fünf solcher Projekte am Laufen. Ich denke nicht, dass jemand von uns ein einzelnes Projekt hat, an dem 50 Mitarbeiter beschäftigt sind.
Aseantic hat ja die Liebhart-Leute übernommen und die machen nun beinahe einen Drittel der Mitarbeiter aus. Wie gestaltet sich der Know-how-Transfer?
Salvato: Die sind typischerweise im Middleware-Bereich tätig, den wir sonst nicht abdecken würden. Sie sorgen beispielsweise für die Schnittstellen, damit wir mit einem Aseantic-Projekt daran anschliessen können. Wir sind zudem sehr stark Microsoft-lastig, während die Aseantic Liebhart ein gutes Unix-Know-how hat. Dadurch ergeben sich auch Ergänzungen. Und die Fertigungstiefe hat sich für uns verändert – die Projekte gehen tiefer.
Altherr: Es ist für uns alle eine offene Frage, wie tief man integrieren will, Also ob man die Middleware einbeziehen soll, weil es nötig ist, oder ob man es bleiben lässt.
Salvato: Das ist der Grund weshalb Aseantic Liebhart eine eigene Firma geblieben ist. Wir konnten nicht per definitionem sagen, dass das Know-how in der Firma vorhanden sein muss. Ich weiss nicht, wie das die anderen sehen.

Bucher: So viel wie nötig, aber so wenig wie möglich.

Aber gibt es hier nicht auch eine gewisse Markttendenz? Integration ist zurzeit ja ein sehr wichtiges Thema. Werden nicht genau diese Fähigkeiten vermehrt gefordert?
Salvato: Bei uns ist die Strategie simpel: Bei SAP haben wir beispielsweise ein sehr grosses Know-how. Unter Berücksichtigung der Marktanteile sind wir hier sehr gut positioniert. Oder auch bei Microsoft-Technologien. Aber exotische Sachen interessieren uns nicht, da ziehen wir Spezialisten hinzu.
Bucher: Ja, wir kommen weg vom Design pinseln, böse gesagt, und gehen eher Richtung Integration. Gute Technies zu suchen wird bei uns allen sicher ein beliebtes Hobby sein. Genau dies ist ein Anzeichen dafür, dass die Tendenz in Richtung Back-End-Integration geht. Und was Franco Salvato gesagt hat, stimmt auch. Es gibt Mainstream-Bereiche, die man beherrschen muss. Was die Frage der kritischen Grösse betrifft, gehe ich einig, dass es letztlich auf die Teamgrösse ankommt.
Die Teams sollen dabei organisch wachsen mit den Ansprüchen der Kunden oder dem Auftragsvolumen. Die Grösse der Firma hängt schliesslich von der Menge der Teams ab. Es braucht aber eine gewisse Minimalgrösse, um Wissen auszutauschen.
Altherr: Ich denke die Minimalgrösse lässt sich bestimmen, bei der Maximalgrösse wird es schon schwieriger. In einer Firma, die 200 Projekte bewältigen muss, ergäben sich grosse Schwierigkeiten. Die Organisationsform skaliert nicht unendlich. Der Erfolg hängt schliesslich auch bei grösseren Firmen, das wissen wir alle, von ein paar wenigen Personen ab.
Bei uns heissen sie «Da Vincis», es sind sozusagen Universalgenies. Sie kommen jeweils aus dem Beratungs-, IT- oder Visual-Design-Bereich, haben aber auch die anderen zwei Bereiche gut im Griff. Und vor allem haben sie das, was uns ausmacht, diesen speziellen Mix, mittlerweile im Blut. Das sind nicht viele. Aber es hängt viel von ihnen ab.
Grüter: Die optimale Grösse in einem Industriebetrieb lässt sich ja relativ einfach herleiten aus einer Kostenstruktur. Da gibt es irgendwelche «sprungfixen» Kosten, die bestimmen, dass 30 Mitarbeiter nicht optimal wären und es entweder nur 20 oder dann 70 bräuchte. Bei uns gibt es viele Parameter, die die Grösse beeinflussen. Es hängt auch davon ab, wie man die einzelnen Parameter wie Integrationstiefe oder Spezialisierung gewichtet. Jeder macht sich Gedanken über die optimale Grösse, aber die optimale Grösse gibt es aufgrund all dieser verschiedenen Einflüsse nicht.
Herr Salvato hat die Projektgrösse bereits angesprochen. Wie läuft es denn so mit der Akquise? Gleiche Arbeit für weniger Geld wie früher?
Salvato: Die Kunden haben schon damit angefangen, mehr und mehr von uns zu fordern.
Altherr: Wir wissen alle, dass Webdienstleister früher zu Kunden mit einem Budget unter einer halben Million sagten, «Es tut uns leid, aber solche Projekte machen wir nicht.»

Bucher: Und heute haben wir die Retourkutsche für die Arroganz von damals.


Altherr: Genau, da kommt jetzt einiges retour.

Aber wieso hat man denn damals sowas überhaupt gesagt? Wenn Sie ehrlich sind, hat es doch auch früher nicht gestimmt, dass grosse Agenturen nur Projekte ab einer halben Million realisiert haben.
Altherr: Weil es damals tatsächlich sehr viel, sehr grosse Projekte gegeben hat. Und die meisten Agenturen haben zusätzlich noch externe Leute angestellt, die Teams verstärkt. Es gab Fälle, in denen grosse Webagenturen Projekte ohne einen einzigen eigenen Mann durchgezogen haben — nur damit die Projekte überhaupt durchgezogen werden konnten. Dann leidet u.a. nicht nur die Kultur der Unternehmen, sondern auch die Qualität der Projekte. Das war eine Zeit, die den Markt verdorben hat.
Diese Zeit ist nun defintiv vorbei. Heute wollen die Kunden Fixpreise für vorgegebene Leistungen.
Bucher: Ein Kostendach muss man heute immer haben. Und die Nachfrage nach Fixpreisen ist mittlerweile auch relativ hoch.
Altherr: Dass wir mal wirklich vollständig in die Ecke «Fixed Price, Fixed Content, Fixed Time» kommen, wage ich zu bezweifeln. Der entscheidende Qualitätsunterschied wird sein, wer diesen Prozess wirklich intelligent managen kann.
Bucher: Man muss wissen, mit wem man es zu tun hat, wo kommt er her, was muss er wissen, damit er «getriggert» wird, dann kommt es gut. Und was den Differenzierungsfaktor angeht, nehmen wir mal ein Beispiel, wo Ihr (gemeint ist Unic, Anm. der Red.) gewonnen habt. Wir haben bei Cablecom etwa ähnlich offeriert. Ob nun wir mit dem CMS «X» oder Ihr mit dem CMS «Y» offeriert habt, ist völlig egal. Es kam darauf an, wer beim Entscheid mit dabei war.
Salvato : Es ist immer sehr weitgehend ein «Bauchentscheid». Es sind immer Menschen, die an den Entscheiden beteiligt sind.
Altherr: Und hier kommt eben der Differenzierungsfaktor. Er reduziert sich auf ein paar wenige, starke Köpfe. Darum ist es sehr schwierig, diesen Unterschied herauszuarbeiten.
Salvato: Ich denke, dass es in diesem Jahr sicher nochmal eine Marktbereinigung geben wird. Und momentan kämpfen wir noch gegen Firmen, denn das Wasser am Hals steht und die wirklich um jeden Preis ein Projekt wollen. Die sogar bereit sind, den Auftrag zum halben Preis auszuführen, nur damit sie einen Auftrag haben. Wenn wir da mal durch sind, haben wir wieder normale, faire, vernünftige Preise.

Vielleicht sind Ihre Preise auch schlicht zu hoch?

Grüter: Eben, ist es wirklich so, dass die anderen zu billig sind oder ist das nur «wishful thinking»?
Salvato: Das ist so. Wir staunen manchmal. Wir kennen die Leute von Namics, und jetzt haben wir durch Marcel Altherr auch besseren Kontakt zu Pixelpark, wenigstens die von Unic kennnen wir auch. Wenn sich unsere «Da Vincis» mit den «Da Vincis» der Konkurrenz absprechen, nachdem ein Konzept abgegeben wurde, wissen wir und die Kollegen, was der Aufwand eines Projekts in etwa ist.
Damit kommt man auf einen ungefähren Stundensatz, und wenn es dann Eingaben gibt, die 35% tiefer liegen für dieselbe Leistung, dann ist das für uns schlicht nicht machbar, denn wir haben nicht 35% Marge auf unseren Projekten.
Bucher: Aber das gibt Business in einem halben Jahr. Denn diesen Kunden kannst du wieder anrufen, das Projekt bestimmt in den Sand gesetzt wird.
Salvato: Bei den Firmen, die eine Aktiengesellschaft sind, wird sich spätestens im Sommer, wenn die Revisionsstelle die Jahresrechnung abnehmen muss, herausstellen, ob eine Unterdeckung besteht.
Bucher: Ich kann ein Beispiel geben, wo es offensichtlich war. Bei einem Auftrag in der Grössenordnung von einer halben Million haben drei der vier, die hier am Tisch sitzen, mitgeboten. Dann kam eine Mini-Firma, die denselben Auftrag für 150’000 Franken offeriert hat. In einem halben Jahr sind die gleich weit, wie 150’000 Franken zuvor. Das ist purer Blödsinn. Es sind noch nicht alle Kunden soweit, dass sie bereit sind, für eine gute Dienstleistung auch einen guten Preis zu bezahlen.
Vor allem wenn man bedenkt, dass Ihr nicht mal mit einem viel höheren Preis was daran verdienen würdet...

Bucher: Ja, also ein bisschen etwas würden wir schon verdienen.

Salvato: Sicher nicht nichts, aber solche Differenzen zur Marge haben wir nicht mehr.

Konkret, wie hoch sind die Margen denn heute?

Grüter: Wieviel Marge es geben wird, kann ich nicht sagen, denn ich habe einen Businessplan geschrieben, und die Marge, die dort drin steht, wird kommen, oder auch nicht. Aber ich kann sagen, wie hoch sie sein sollte. Meine Meinung ist, dass wir uns an einem klassischen Beratungsgeschäft orientieren müssen, nämlich bei 20% EBIT im Durchschnitt, um vernünftig Business zu machen.
Aber wenn ich mir Geschäftsberichte von Public-Companies ansehe — bei uns weiss man es ja nicht so genau, wir können ja irgend etwas erzählen — da ist es z.T. schon erstaunlich, mit wie wenig man zufrieden ist. Also z.B. bei einem Umsatz von 21 Millionen Franken einen EBIT von 400’000 Franken.
Salvato (lacht): Das ist eben kein Webdienstleister mehr, sondern ein IT-Dienstleister, das kann man nicht vergleichen.

Nein, das ist eine Bank!
(alle lachen)

Grüter: Nein, ernsthaft. Das ist schon ein wesentlicher Punkt, der zur Bereinigung führt – nicht bei Crealogix, aber bei anderen. Bei Lichte besehen dürfte es schon lange nicht mehr so viele Player geben.
Altherr: Meiner Meinung nach wäre 20% EBIT-Marge auch eine Grössenordnung, die anzustreben ist. Aber im Moment muss man schon sehen, dass der Aufwand, den wir für Akquisitionen betreiben, enorm ist. Dafür können wir nichts verlangen. Die zwei vollen Jahre Hype haben dem Markt nicht wirklich gut getan.
Die sollte man «canceln», streichen, vergessen. Jedenfalls kann man nicht mehr Leute mit Tagessätzen von 3500 Franken einsetzen. Das ist reine Träumerei, die direkt in den Abgrund führt. Umgekehrt ist es allerdings genauso, dass Dienstleister mit zu tiefen Ansätzen vom Markt wegradiert werden.
Nun hat es bei Ihren Firmen auch eine Bereinigung in der Grösse gegeben. Trotzdem werden Sie mit Ihrer Firmenstruktur nicht jede Projektgrösse gegen unten annehmen können. Wieviele Webdienstleister Ihrer Grössenordnung braucht es denn überhaupt?
Altherr: Man kann einen Vergleich mit den Architektur-Büros machen. Es gibt Büros, die Brücken, Stadien, Kongresshäuser bauen können. Und es gibt viele kleine Büros, die Garagenvorbau machen. Dazwischen gibt es wenig. So ist es in unserer Branche auch. Es gibt viele Nischenanbieter, die sich auf etwas spezialisieren, und es gibt einige wenige, die wirklich grosse Projekte «stemmen» können.
Wenn man die Umsätze der grössten zehn Agenturen in der Schweiz zusammenzählt, kommt man auf ungefähr 150 Mio. Franken, eher weniger. Ein Bruchteil des Gesamtmarktes Also.
Salvato: Es würde uns auf jedenfall allen sehr gut gehen, wenn wir 10 Prozent des Gesamtmarktes hätten. Der Markt ist sicher gross genug für fünf oder auch zehn grosse Anbieter.

Bucher: Und die vielen Kleinen kommen und gehen.

Grüter: Man muss auch sehen, was eine Firma wirklich macht, ob das, was von aussen gesehen völlig was anderes ist, wirklich ganz etwas anderes ist. Also z.B. eine Bison in Sursee hat auch einige Leute, die Webentwicklung machen. Zu Bison würde ich aber nicht gehen und sagen «bitte realisiert mein Intranet». Ich würde zwar auch sagen, dass der Markt gross genug ist, aber er ist trotzdem realtiv brutal.
Bucher: In der Offertstellung treffen wir immer wieder dieselben drei, vier Firmen an. Die hier mit am Tisch sitzen und Crealogix. Und ich bin der Meinung, dass der Markt diese fünf auch ertragen mag. Hinzu kommt die Frage der Systemintegratoren, der Bisons, Abacus, die alle auch einen Internet-Bereich haben. Aber die vier bis fünf Webdienstleister, die man im Moment immer wieder antrifft, sollte es schon noch knapp ertragen. Wie es allerdings in einem Jahr, in zwei oder drei Jahren aussieht — wer weiss das schon...
Altherr: Es sind seit ein paar Jahren immer wieder dieselben drei, vier Anbieter, das stimmt schon. Die Kunden wollen auch Konkurrenz.
Salvato: Was ein Vorteil sein kann, ist der Bekanntheitsgrad durch die Mutterfirma, so wie bei Namics, die börsenkotiert ist, oder bei Pixelpark, die sehr bekannt ist. Es gibt immer noch viele Firmen, die Unic oder Aseantic nicht kennen. Bekanntheit kann auch schaden, Herr Altherr.
Altherr: Ach, wir werden oft als Pixelpark Schweiz mit der Pixelpark Gruppe verwechselt. Es stimmt schon, dass dies auch Erklärungsbedarf bei manchen Kunden hervorruft. Das ist bei jedem Kunden unterschiedlich. Klar, wir hatten durch die Ereignisse in Deutschland gewisse Nachteile in der Schweiz, aber entscheidend ist schlussendlich die Leistung unserer Leute.
Salvato: Was ist der Wert einer Unternehmung? Das sind die Leute. Selbst wenn Pixelpark die Schweizer Tochter würde verkaufen wollen, würden die Schweizer halt eine neue Firma, z.B. Pixelquark gründen, die Kunden gingen zu denen und man hätte noch eine Hülle, die verkauft wurde. Ich weiss es noch aus der voherigen Aseantic-Zeit: Wir wurden Adcore, Adcore ging Pleite, wir wurden wieder Aseantic – den Kunden war das egal. Wenn immer derselbe Ansprechpartner zum Kunden kommt, reicht ihm das.

Welche Bedeutung hat für Ihr Unternehmen der Public-Markt?

Salvato: Für uns ein sehr wichtiger Markt. Da haben wir vielleicht ein wenig einen Standort-Vorteil. Denn der Berner arbeitet schlussendlich schon lieber mit einem Bieler als mit einem Zürcher oder St. Galler. Das eingangs erwähnte Lobbying ist für uns weniger ein Problem, weil wir dies bereits als Sprachfehler angeboren haben. Wir werden noch mehr auf den Public-Sektor fokussieren.
Altherr: Das machen alle. Im Public-Markt haben wir allerdings bisher noch nicht sehr viel gemacht, werden uns aber auch diesem Markt verstärkt widmen — sicher ein interessanter Markt mit interessanten Projekten.
Grüter: Man muss schon sehen, das ist eine andere Welt mit anderen Entscheidungsprozessen. Es ist ein anderer Markt, sicher ein Markt, den man vielleicht lange unterschätzt hat, aber es sind andere Challenges. Der Public-Markt ist relativ stabil, aber das Unternehmensumfeld ist immer noch entscheidender für uns.
Salvato: Ich kann das nicht unterschreiben. Es gibt ca. 300 Ämter. Und es gibt verschiedene Industriezweige, die für uns von der Projektseite her nicht interessant sind. Dasselbe gilt für die Bundesprojekte. Wir haben hier sehr interessante Projekte, aber es gibt auch solche, die uns nicht interessieren, die wir aber auch in anderen Branchen nicht machen würden. Schlussendlich sind die Kompetenzen, die in einem Projekt gefragt sind, entscheidend, ob man es macht oder nicht.
Mit Bern wären wir beim Thema «Local Business». Herr Salvato, Sie haben einen eigenen Verkäufer für die Romandie, nicht wahr?

Salvato: Ja, aber die Romandie ist sogar für uns ein sehr harter Markt.

Altherr: Es gibt nichts dümmeres, als mit Deutschweizer Ideen in die Romandie zu gehn und dort dasselbe nochmals verwirklichen zu wollen. Das Geschäft muss dort entstehen, wachsen, eine Struktur bekommen —  und auch viel Autonomie haben. Wenn man das nicht machen kann, sollte man eher die Finger davon lassen.
Salvato: Von Biel aus ist es auch einfacher als von Bern aus. Es macht einen enormen Unterschied, ob eine Stadt wirklich bilingue ist. In Biel gibt es Leute, die in Neuenburg wohnen, davon haben wir mehrere. Die fahren halt eine halbe Stunde in die andere Richtung zu einem Kunden. Deshalb ist es für uns einfacher, in der Romandie Geschäfte zu machen.
(Gesprächsleitung und Bearbeitung: mh / map)


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